Mir ist schlecht. Ob es von den Fertiggerichten oder vom Schlafentzug kommt, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich seit fünf Minuten in der Toilettenkabine stehe und unschlüssig bin, ob mein Magen sich ohne Verluste beruhigt. Nach weiteren fünf Minuten entschließe ich mich doch dazu, mich wieder ins Auto zu legen, da ich wenig Lust habe, die Nacht in dem eiskalten Bad zu verbringen. Das Licht ist gedimmt, und trotzdem bereitet es mir Kopfschmerzen. Ich schlendere zurück auf den Parkplatz. Daniel ist weg. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich irre, aber ich hätte schwören können, dass zuvor noch beide Laternen brannten. Hinter mir fährt ein Auto viel zu schnell und ich höre die Reifen quietschen. Als ich mich umdrehe, sehe ich meinen Wagen davon fahren. «DANIEL!», schreie ich, doch er ist schon auf der Straße verschwunden. Fluchend laufe ich um den Parkplatz, um sicher zu gehen, dass es sich um meinen Wagen handelte. Panisch taste ich meine Hosen- und Jackentaschen ab, um festzustellen, dass er alles hat mitgehen lassen, bis auf meine Kamera. Ich sinke auf die Knie. Verzweifelt suche ich nach dem Schlüssel, vergeblich. Ich habe ihn doch tatsächlich im Auto gelassen. Das war's, denke ich. Das war alles, was ich für Meggie tun konnte? Ich bin enttäuscht. Enttäuscht von mir, von meiner Reise. Plötzlich stelle ich all meine Entscheidungen in Frage. Ich hätte mit meiner Verwandtschaft beim Kaffee und Kuchen sitzen können und wir hätten über Meggie geredet. Vielleicht hätte ich so mit ihrem Tod abgeschlossen. Doch stattdessen sitze ich nun ohne Hab und Gut auf einem amerikanischen Autorasthof und weiß nicht mehr weiter. Meggie, seufze ich. Es tut mir so leid.
Es wird immer heller. Ich habe Glück, dass es nicht kalt ist, sonst hätte ich die Nacht bis jetzt vermutlich nicht überstanden. Um mich zu beruhigen, habe ich versucht, Pro und Contra abzuwägen, doch ich konnte beim besten Willen nichts Positives an meiner aktuellen Situation finden. Ich bin perplex. Im Grunde fällt mir nichts Besseres ein, als zu trampen. Im Grunde finde ich diese Idee allerdings ziemlich befremdlich. Meine einzige Hoffnung, an die ich mich klammere ist, dass ich bald wieder Zuhause bei meiner Familie sitzen kann. Mit einem Auto. Mit Geld. Mit einem Dach über dem Kopf. Und nicht nur ausgestattet mit einer Kamera. Immerhin war diese Reise bis hier hin nicht umsonst.
Zutiefst beschämt stelle ich mich an die Einfahrt des Rasthofes und halte Ausschau nach einer möglichen Mitfahrgelegenheit. Ich kann mich nicht überwinden, meinen Daumen höher als hüfthoch zu halten, weshalb vermutlich die ersten drei Autos an mir vorbeifahren. Ebenso das vierte. Als ich einen Blick über den gut gefüllten Rasthof werfe, entdecke ich einen jungen Mann, der winkend vor seinem Auto steht. Ich wende schnell den Blick ab, und sehe mich in entgegengesetzter Richtung nach der Person um, die er zu sich winkt. Als unsere Blicke sich wieder treffen, winkt er noch eindrücklicher, mit beiden Händen, bis ich begreife, dass er tatsächlich mich meint. Mit unsicheren, aber schnellen Schritten gehe ich auf ihn zu. Kurz bevor ich an seinem Auto ankomme, drehe ich mich noch einmal um, um peinliche Situationen zu vermeiden.
«Werden Sie verfolgt?», fragt er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Ich benötige einige Sekunden, bis ich verstehe, was er meint.
«Vom Unglück», lache ich peinlich berührt. «Aber nein, ich wollte nur eine weitere peinliche Situation vermeiden».
«Keine Angst, ich habe schon Sie gemeint», lächelt er und hält sich die Hand über die Augen, da uns die Sonne direkt entgegenstrahlt.
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Tagebuch einer Abenteurerin
AventureDie 21-jährige Anna nimmt kurzerhand Reißaus, als ihre kleine Schwester an einem Herzfehler stirbt. Ihre Mission ist nicht einfach, und doch findet sie somit einen Weg loszulassen. Auf ihrer Reise durch Amerika begegnen ihr tausende neuer Dinge, die...