XVIII.

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Clarice freute sich beinahe mehr als wäre ihre eigene Schwester schwanger als ich ihr am nächsten Tag die freudige Nachricht überbrachte. Zumal sie Einzelkind war.

Beth meinte zwar, ich solle diese Information diskret behandeln, Clary war jedoch ebenfalls wie eine Schwester für mich, demnach zählte sie nicht.
Ich war mir sicher meine leibliche Schwester hätte nichts dagegen wenn Clarice es wusste. Außerdem konnte sie - zumindest was Geheimnisse betraf - schweigen wie ein Grab.

Bei dieser dummen Redewendung musste ich an Mr. Timothy denken und das trübte meine Stimmung ein wenig. Zu wissen, dass ich in der letzten Stunde, die er uns je unterrichtet hatte unaufmerksam gewesen war bereitete mir nicht direkt ein schlechtes Gewissen, aber es war doch auf eine seltsame Art unangenehm.

"Na komm, erzähl schooon!" Bettelte sie, "wann ist der Termin? Und weiß sie vor allem schon was es wird?"
"Nein, sie ist ja erst in der 7. Woche, hofft aber natürlich auf ein Mädchen. Und der Termin ist im Februar meinte sie."

"Das ist so toll Allie ist dir das eigentlich bewusst? Wir werden Babykleider kaufen gehen und kleine Söckchen und Schühchen und Mützchen und werden auf das Baby aufpassen! Gott ich freu mich schon so darauf, irgendwann eigene Kinder zu haben, das glaubst du mir gar nicht..."
Driftete sie verträumt in die Luft starrend ab. Ich lachte bloß und war mal wieder unendlich froh, sie zu haben.

-

'Was denkst du wies heute mit Miles wird?'

Stand in der kritzeligen Handschrift meiner besten Freundin auf einem Fetzen kariertem Papier, der während des Mathekurses auf meinem Tisch landete.

Darauf hätte ich nur allzu gerne eine Antwort. Wo ich doch selbst über nichts anderes nachdachte, anstatt Mrs. Collins zu zu hören, wie sie zum x-ten Mal etwas zum Thema Zufallsvariablen erklärte.

Ich war mir sicher, dass es mittlerweile jeder im Kurs verstanden haben musste, als ich hinter mir Aaron flüstern hörte: "Man ich check das einfach immer noch nicht. Was für eine abgefuckte Scheiße."

Und um ehrlich zu sein hob die Schadenfreude meine Stimmung ein kleines Bisschen. Zumindest solange, bis ich realisierte, welche äußerst kompetente Nachhilfe ihm das später würde erklären müssen.

Ich unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen und widmete mich Clary's Post.

'Verdammt gute Frage, hoffentlich nicht so wie letzte Woche. Gleich Chemie, hab irgendwie Angst.'

Schrieb ich schnell auf die Rückseite und warf den Zettel zu ihr zurück.

'Ach was! doch nicht nach dem was er im Auto gesagt hat. Wette ihr fallt euch total romantisch in die Arme.'

Das brachte mich zum schmunzeln und die Pause über hoffte ich, sie würde recht behalten.

-

"Hi" hauchte ich, wobei ich über das Rasen meines Herzens meine eigene Stimme kaum hören konnte und versuchte nur, nicht allzu breit zu grinsen.

"Hey." Miles lächelte als er sich auf seinen Stuhl fallen ließ und strich mir eine Locke hinters Ohr, während er sich erkundigte wie es mir ging.
Ich errötete und unterdrückte das Bedürfnis mir die Hände vors Gesicht zu schlagen. Die Berührung seines Zeigefingers auf meiner Wange hinterließ eine kribbelnde Spur, mein "Gut!" wurde von der Schulglocke verschluckt.

Gut war untertrieben, denn sein Lächeln rettete meinen Tag. Ich war in Stimmung, singend auf einem Einhorn über eine Wiese zu reiten, auf der glitzernde Regenbogen Blumen wuchsen. Und das obwohl ich definitiv nicht singen konnte.

Der Chemielehrer unterbrach in hartem Ton unser Gespräch und ich wandte meinen Blick bedauerlicherweise ihm zu.

Es kam nicht besonders viel von dem Versuchsablauf, den er erklärte bei mir an, denn Miles' Hand lag unter dem Tisch warm auf meinem Oberschenkel, knapp über dem Knie. Somit war meine Konzentration endgültig futsch, ich dachte bloß noch darüber nach, welche Hitze diese Berührung auslöste und wie glücklich er mich machte.

Auch den Versuch setzten wir in den Sand, da wir mehr Zeit damit verbrachten zu Lachen als zu Arbeiten.
In einem kleinen Moment, in dem wir uns in die Augen sahen und grundlos Lachen mussten traf mich die Erkenntnis mit voller Wucht.

Diese unglaublich grünen Augen, die gerade, kräftige Nase, die hellbraunen Haare. Der Klang seines Lachens und die Art wie sich die Haut um seine Augen herum dabei kräuselte. Und vor allem diese Lippen von denen ich nur allzu gut wusste wie weich sie sich auf meinen anfühlten.

Es war schlimmer als ich gedacht hatte.
Es war mehr. Mehr als ein bisschen Herzklopfen, mehr als ein bloßes Kribbeln im Bauch.
Ich war dabei mich unaufhaltsam in ihn zu verlieben.

Und so stand ich im Chemiesaal, in einem albernen Laborkittel, sah ihn einfach nur an und konnte mein Glück kaum fassen.

"Was ist?" Sein Zahnpastalächeln war strahlend.
"Ach Nichts." Ich senkte den Blick, mir wurde bewusst wie ich ihn gerade angestarrt haben musste.
"Wir haben vergessen es vorher zu filtrieren." Setzte ich noch lächelnd nach und zeigte auf unseren misslungenen Versuch.
Mit einem klatschenden Geräusch traf seine Hand auf seine Stirn.
"Stimmt. Das kommt dabei heraus wenn du mich ständig ablenkst."
Der Schalk glänzte in seinen Augen.

Ich sah ihn gespielt empört an.
"Wer lenkt denn hier bitte wen ab?" Fragte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Na ich dich bestimmt nicht mit meinen schönen braunen Locken, die mir ständig ins Gesicht springen und meinem süßen Lächeln." Antwortete er entwaffnend.

Er strich mir erneut eine meiner Locken hinters Ohr und diesmal gab ich dem Bedürfnis nach, mir die Hände vor das errötende Gesicht zu schlagen.

"Nein aber solche Sprüche tragen nicht unbedingt zur Förderung meiner Konzentration bei." Antwortete ich als ich meine Hände vom Gesicht nahm.

Miles lächelte bloß und ich hatte das Gefühl, als wäre ihm die Wirkung, die er auf mich hatte nur allzu bewusst.

Als ich nach der Stunde zur Türe raus lief hielt er mich am Handgelenk zurück.
"Allie?"
"Hm?" Ich drehte mich zu ihm um.
"Sehen wir uns in der U-Bahn?"
"Klar." Gab ich knapp zurück und widerstand dem  Bedürfnis, mein Gesicht in seine Halsbeuge zu schmiegen.

"Okay."
Ich wollte schon zum Abschied Lächeln und davon gehen, als er mir eine Hand in den Nacken legte, mich näher heran zog und sanft auf die Stirn küsste.

"Bis dann." Hauchte er noch schnell und dann war er davon gerauscht, bevor ich überhaupt wieder zu mir kam.
Ich kniff die Augen zusammen und schlug die Hände vors Gesicht, ungläubig.

Er hatte mich geküsst, mitten auf dem Schulflur. Es mag lächerlich sein, wie glücklich mich das machte. Doch diese Tatsache änderte nichts daran, dass ich das Gefühl hatte, nichts würde je wieder meine Stimmung trüben können.

The Absence of Heat - Die Abwesenheit von WärmeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt