XXI.

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"Allison verdammt wach sofort auf!" Die aufgebrachte Stimme meiner Schwester wurde von einer plötzlichen, unerträglichen Helligkeit begleitet.
"Hmpf?" Brachte ich hervor und versuchte vergeblich die Augen zu öffnen und zu realisieren, was hier gerade ablief.
"Was denkst du dir eigentlich dabei?"
Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Neben mir bewegte sich auch Miles und wachte allmählich auf.
"Beth was ist denn los?" Ich schielte sie aus einem halb geöffneten Auge an. "Shit und wieviel Uhr haben wir überhaupt?"
Als ich mein Handy aus der Tasche meiner Jeans gefischt hatte musste ich feststellen, dass der Akku leer war.

Meine Schwester stand in einem kurzen Schlafanzug da, eine Hand provokant in die Hüfte gestemmt und wedelte mit ihrem Handy.
"Mom ist dran, es ist viertel nach zwölf, du hättest vor über einer Stunde zuhause sein sollen, sie hat versucht dich zu erreichen und ist vor Sorge wahrscheinlich schon fünf mal gestorben."

Sie hob sich das Handy ans Ohr.
"Ja Mom, sie ist hier und hat geschlafen."
Sie lauschte in den Hörer, machte einen zustimmenden Laut und nickte obwohl unsere Mutter sie logischerweise nicht sehen konnte.
Im nächsten Moment streckte sie mir das Handy entgegen.

"Hi Mom, sorry wir sind eingeschlafen."
"Allison wieso ist dein Handy aus?" Sie klang aufgebracht und ich war viel zu müde für eine ihrer überbesorgten Standpauken.

Ich rieb mir erneut die brennenden Augen.
"Der Akku muss leer gegangen sein, ich hab es nicht geladen bevor ich zuhause los bin."
"Weißt du was ich mir für Sorgen gemacht habe?"
"Ich kann's mir vorstellen. Tut mir echt leid."

Sie war ständig so überbesorgt und panisch was uns betraf.
"Jetzt bleib eben dort, aber morgen hab ich ein ernstes Wort mit dir zu reden."
"Mom ich kann nicht hier bleiben, ich hab keine Schulsachen."

Plötzlich murmelte Miles neben mir:
"Holen wir morgen früh und jetzt komm wieder her."
Er streckte den Arm nach mir aus und ich musste mir das Lachen verkneifen.
"Hat sich erledigt, Miles meint wir können sie morgen vor der Schule holen. Ist das echt okay für dich?"
"Allemal besser als wenn du jetzt noch draußen unterwegs bist, aber das wird trotzdem Konsequenzen haben."
"Okay Mom bis morgen."
"Bis morgen."
Ich legte auf und gab Beth das Handy zurück.

"Allison würdest du ihr in Zukunft vielleicht freundlicherweise Bescheid geben wenn du auswärts schläfst? Oder wenigstens mir? Ich wusste ja nicht mal, dass du hier bist und plötzlich ruft mitten in der Nacht meine Mutter an und verlangt, dass ich den Babysitter für meine fast volljährige Schwester spiele."
Sie klang viel zu gereizt und ich war mir beinahe sicher, dass das mit den Schwangerschaftshormonen zusammenhängen musste.

Ich stützte meinen Kopf in die Hände und antwortete erschöpft: "Man Beth ich hatte nicht vor hier zu schlafen, wir haben einen Film geguckt und sind eingepennt okay? Außerdem hätte ich dir ja Bescheid gegeben, dass ich hier bin wenn du und deine kochenden Hormone nicht schon um halb neun geschlafen hättet."

Sie funkelte mich böse an und nickte dann zu Miles, der immer noch mit geschlossenen Augen und verstrubbelten Haaren neben mir lag und dabei verboten süß aussah.

Ich verdrehte die Augen.
"Ach komm schon." Als ob er überhaupt eine Idee hätte worüber ich redete.
"Nichts 'Ach komm schon' Allison. Gute Nacht." Sie schmetterte ihre Hand auf den Lichtschalter, stürmte aus dem Zimmer und schloss die Türe hinter sich.

"Sorry für meine stressige Familie." Seufzte ich als ich mich zurück in die Kissen kuschelte.
Miles' kehliges Lachen ertönte.
"Schon okay, sie macht sich doch nur Sorgen."
"Meine Schwester ist aber wirklich stressig."
"Da muss ich dir leider recht geben. Aber nicht immer."
"Ich weiß." 

Durch das Fenster und die Balkontür schien der Mond ins Zimmer und ließ alle Konturen verschwommen und den Moment irgendwie surreal wirken. Seine Zähne blitzten auf als er grinste und er war so schön, dass mir der Atem stockte.

Ich gab dem plötzlichen Bedürfnis sein Gesicht zu berühren nach, fuhr mit den Fingerspitzen von seinem Kinn über seinen Kiefer und legte meine Hand in seinen Nacken. Er schloss lächelnd die Augen und ich spürte eine Hand auf meiner Hüfte.
"Komm", sagte er plötzlich, "wir ziehen uns was bequemeres an."

Wie um seine Aufforderung zu bekräftigen schob er seine Finger in den Bund meiner Jeans. Sie lagen an der nackten Haut meiner Hüfte, was zwar dazu führte, dass mir ein warmer Schauer über den Rücken lief, jedoch trotzdem auf seltsame Weise unangenehm war. Ich wollte nicht, dass er fühlen konnte, wie weit mein Beckenknochen hervorstand. Dass er spürte wie dünn ich war, rief eine gewisse Unbehaglichkeit in mir hervor.

"Ja, lass uns das machen."
Ich machte Anstalten aufzustehen und er nahm seine Hand zu sich und tat es mir gleich. Am anderen Ende des Raumes ging eine Tür ab, von der ich gedacht hatte sie führe in ein Badezimmer. Doch als er jetzt darauf zusteuerte und sie öffnete, offenbarte sich mir dahinter ein Raum, der zwar kleiner aber nicht minder beeindruckend war wie Alicias begehbarer Kleiderschrank.

Mit großen Augen sah ich mich um und bestaunte die Tatsache, dass er mehr Krawatten zu haben schien, als ich insgesamt Klamotten besaß.
Er machte eine abweisende Handbewegung.
"Das ist nicht so schlimm wie es aussieht, ich ziehe wenn es hoch kommt ein Viertel von alledem hier überhaupt an." Argumentierte er während er zwei Boxershorts aus einem Fach zog und mir eine reichte.

"Ist das okay oder willst du eine Jogginghose?"
"Um Gottes Willen, doch nicht bei der Hitze."
Er schmunzelte und reichte mir eines seiner Shirts hinterher.
"Du kannst dich hier umziehen, ich geh raus in mein Zimmer."
Ich nickte bloß lächelnd.

Als er schon beinahe zur Tür raus war und ich gerade den Saum meines Shirts anhob drehte er sich plötzlich um, stand mit zwei großen Schritten wieder vor mir und presste seine Lippen auf meinen Mund.
Ich ließ vor Überraschung die Schlafklamotten fallen, dann schlang ich meine Arme um seinen Nacken, sein Griff um meine Taille verstärkte sich und wir versanken ineinander.

Nach einigen Minuten oder Stunden, vielleicht waren es auch Tage, löste er sich von mir und wisperte:
"Sorry, ich weiß nicht aber... das musste gerade sein."
Ich lachte mit warmen Wangen kurz auf und hauchte ihm noch einen Kuss auf den Mundwinkel, bevor er sich umdrehte und diesmal wirklich den Raum verließ.

The Absence of Heat - Die Abwesenheit von WärmeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt