II.

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Clarice wohnt zu Fuß bloß fünf Minuten von der Schule entfernt, weshalb wir uns immer an der Kreuzung trennen mussten.

Ich ging zur Haltestelle während sie schon beinahe Zuhause war.
Deshalb saß ich in der U-Bahn meistens alleine. So auch heute wieder.

Ich saß allein auf einem vierer Platz und las. Ich liebte Bücher, was wahrscheinlich dazu beitrug, dass mich einige schräg fanden, ich wunderte mich zwar wieso, aber Bücher wurden als lächerlich angesehen.

Aber wie gesagt, mit den meisten von den komischen Möchtegern Hipstern mit ausgelatschten Airforce One und Turnbeuteln auf meiner Highschool wollte ich sowieso nichts zu tun haben.
Denn meiner Ansicht nach war es lächerlich wie gleich sie alle aussahen, sowohl Jungs, als auch Mädchen.

Ich war total vertieft in mein Buch als sich jemand auf den Platz mir gegenüber fallen ließ.
Ich sah nicht ganz auf, denn ich erkannte bereits an den schwarzen Timbaland Schuhen wer es war. (Ich meine, wer trug schon im Sommer sowas wie Stiefel?)

Aaron. Der Mensch, der es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, mir das Leben zur Hölle zu machen.

Ich tat, als bemerkte ich ihn nicht und versuchte weiter zu lesen.
Die Tatsache, dass er mit dem rechten Bein wippte, förderte meine Konzentration nicht besonders. Das tat er seit der Grundschule.

Damals war er unauffällig. Eine Stufe über mir.
Er gehörte zwar nicht zu den Kindern, die mich fies mobbten, aber genauso wenig gehörte er zu denen, die mich gegen ebendiese verteidigt hatten.

Ich wusste nicht mehr genau, wann es angefangen hatte, irgendwann zwischen Anfang der fünften und Ende der siebten Klasse, aber als er in der Middleschool die Achte wiederholen musste und so in meine Stufe kam, wurde es immer schlimmer.

Mittlerweile hatte er sich zu dem Menschen entwickelt, den ich nicht ansehen konnte, ohne dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief und ich würde sogar so weit gehen, zu sagen dass ich ihn abgrundtief hasste.

Das nächste und letzte Schuljahr würde wohl absolut keine Ausnahme werden, denn die Sommerferien standen kurz bevor und er war gehässig wie eh und je.

"Na Morrison, steckst du deine Nase so tief in das Buch um mich nicht ansehen zu müssen?"
Er nannte mich beim Nachnamen. Ich hasste das.

Erst wollte ich ihn weiter ignorieren, doch mir wurde bewusst, dass ich ihm damit seine Aussage bloß bestätigen würde. Andererseits hatte er das nur gesagt um mich dazu zu bringen ihn anzusehen während er mich demütigt.
Also egal was ich tat, es war ein Triumph für ihn. Ich entschied mich dafür langsam den Kopf zu heben.

Und dann sah ich in seine kalten, dunkelbraunen Augen.
Sie waren außergewöhnlich dunkel, fast schwarz, die selbe Farbe wie seine leicht gelockten Haare.
Die Augen sind das Fenster zur Seele.

Auf seinem Gesicht prangte ein provozierend schiefes Grinsen, eine Augenbraue hochgezogen.
"Was willst du Aaron?"
"Ich weiß nicht, vielleicht möchte ich mich ein bisschen mit einer Klassenkameradin unterhalten." Antwortete er und zog dabei die Augenbrauen zusammen als wunderte er sich über meine Frage.

"Red' keinen Scheiß."
"Ist das Wetter nicht schön heute? Perfekt um sich in seiner Höhle zu verkriechen und ein Buch zu lesen oder?"
Fragte er vollkommen neutral, sah dabei aus dem Fenster und tat als betrachtete er den Himmel, obwohl durch das Fenster bloß immer wieder kleine Lampen im U-Bahn Tunnel huschten.

Aber ich wusste, dass das Wetter tatsächlich schön war und höchst wahrscheinlich würde ich im Park lesen.
"Was ist dein Problem?" Wollte ich von ihm wissen und klang gereizt.
"Ich hab kein Problem, mir geht's blendend. Immerhin bin ich nicht du."

The Absence of Heat - Die Abwesenheit von WärmeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt