XVI.

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Das Restaurant war unglaublich atemberaubend. Und ich übertrieb nicht.

Es war eines jener Restaurants von deren Existenz jemand wie ich nicht einmal wusste, weil ich sie mir einfach nicht leisten konnte.
Und um ehrlich zu sein war es mir irgendwie wirklich unangenehm, dass er mich in ein solches Restaurant ausführte. Und zwar aus dem simplen Grund, dass ich es hasste, Leuten etwas schuldig zu sein.

Ich fühlte mich in meiner Jeans und den Espandrilles auch ein bisschen fehl am Platz zwischen peep-toe Pumps und Taschen, die wahrscheinlich teurer waren als mein kompletter Kleiderschrank.

Als uns eine Bedienung in einem kleinen Schwarzen auf die Terrasse zu dem reservierten Tisch führte (er hatte tatsächlich im Voraus einen Tisch reserviert!) vergaß ich jedoch alles um mich herum.

Wir waren hoch über den Dächern der Stadt.
"Miles?" Krächzte ich atemlos als ich an die Glasplatte heran trat, die mir knapp bis zur Brust ging und als Geländer fungierte.
"Ja?" Antwortete er gedämpft und nahm vorsichtig meine Hand.
"Das ist...", ich suchte verzweifelt nach den richtigen Worten um den Ausblick auf die Skyline und die dahinter untergehende Sonne zu beschreiben, doch ich fand einfach nicht die passenden Worte.
"... unbeschreiblich." Beendete ich meinen Satz wahrheitsgemäß.
Er lachte leise und drückte meine Hand.

-
Unbeschreiblich waren auch die Preise. Ich meine: wer kam schon auf die hirnrissige Idee, dass man für ein kleines Wasser 8,50$ verlangen konnte? Die Salate starteten bei 15$
Ich machte mir einen Spaß daraus, das teuerste Gericht auf der Karte zu finden.
Mit irgendeinem komischen "Filet vom Kobe Wagyu Rind an Balsamico Kirschtomaten und Sauce Café de Paris" für sage und schreibe 162,45$ wurde ich fündig.

Mir entfuhr ein belustigter Laut.
"Hm?" Miles sah von seiner Karte auf.
"Ach nichts." Antwortete ich, beugte mich jedoch vor und flüsterte:
"Was rechtfertigt es, dass ein einziges Gericht hundertzweiundzsechzig Dollar kostet? Verleiht dieses Rinderfilet Zauberkräfte oder wie?"
Wir lachten gemeinsam und er warf einen Blick in seine Karte.

"Naja, Kobe Rindfleisch wird aus Japan importiert, ein Pfund kostet mindestens um die 150 Dollar. Außerdem schmeckt das wirklich fantastisch." Er beugte sich zu mir nach vorn, sah sich um, damit ihn auch ja niemand hörte und flüsterte:"Und ja, im Kleingedruckten steht, dass es ein magisches Rind ist."
"Du hast das schonmal bestellt?" Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie erstaunt ich darüber war, wie viel Geld diese Familie wirklich hatte.

"Ja, deine Schwester isst das auch gerne soweit ich weiß."
Ich nickte.
"Typisch, sie braucht es immer extravagant." Ich verdrehte lächelnd die Augen.
"Und Jason liebt es, ihr extravagante Geschenke zu machen und ihr jeden extravaganten Wunsch von den Augen abzulesen." Antwortete er, ebenfalls lächelnd.
"Die Beiden sind perfekt füreinander." Gab ich zurück.
"Oh ja, das sind sie." Lächelte er und sah mir einen Moment lang in die Augen. Mir kam es vor, als wolle er mir damit etwas anderes sagen.

Ich entschied mich für ein simples "Kartoffelgratin auf jungem Gemüse an Weißweinsauce" und war überglücklich mit meiner Wahl, denn als ich den ersten Bissen nahm, hätte ich mich reinlegen können.
Miles aß "Fettuccine al tartufo", Bandnudeln mit Sommertrüffelsoße.
Er kam mit außergewöhnlichen Gerichten deutlich besser klar als ich.

"Und schmeckt es dir?" Fragte er nachdem wir eine Zeit lang schweigend gegessen hatten.
Ich zuckte die Schultern.
"Das Zauber Rind wäre wahrscheinlich besser gewesen. Zu schade, dass ich auch keine magischen Tiere esse", Ich grinste und revidierte meine Aussage, "nein, das Essen ist fantastisch."

Er nickte und prostete mir mit seinem Wasser zu.
"Auf dich."
"Auf dich." Widersprach ich als ich mein Glas hob.
"Auf magische Rinder und Sommerabende wie diesen."
"Damit bin ich einverstanden" lachte ich und stieß klirrend mit ihm an.

-
"Da wären wir." Flüsterte er als wir nach diesem unglaublichen Abend in unserer Einfahrt hielten.
"Mhm." Nickte ich bloß, unfähig mich zu bewegen.

Ich wünschte, ich könnte diesen Abend ins Unendliche ziehen, denn um ehrlich zu sein hatte ich Angst.
Angst, dass dieser wundervolle Tag endete, Angst, dass alles so werden würde wie letzte Woche. Dass wir in einen Teufelskreis aus Verleugnung und Versöhnung geraten würden.

Was wäre wenn ich ihm tatsächlich peinlich war? Vielleicht mochte er mich ja aufrichtig aber ich war eben einfach nicht vorzeigbar.

"Miles?" Ich musste einfach nachfragen.
"Allie?" Ein Lächeln Schwang in seiner Stimme mit.
"Es wird nicht so wie letzte Woche oder?" Gegen meinen Willen klang ich verzweifelt, beinahe flehend.

"Was meinst du?"
Ich sah ihn an, er hatte die Augenbrauen zusammengezogen.
"Na, dass wir uns in der Schule so ignorieren."
"Wie kommst du darauf?"
"Ich weiß nicht, ich hab gedacht, also ich...hmm...", plötzlich kam ich mir furchtbar dumm dabei vor, ihm das zu sagen, "... Ach es ist nichts. Total dumm." Ich sah auf meine im Schoß gefalteten Hände.

"Allie, rede mit mir. Bitte."
Er legte seine Hand über meine.
"Ich hab bloß gedacht, dass ich dir vielleicht peinlich bin oder so."
Sagte ich und wurde dabei immer leiser.
"Wie bitte?"
"Ich hab gesagt, dass -"
"Nein, nein, ich habe dich verstanden. Also zumindest akustisch. Aber wie kommst du auf so eine Idee?"
"Ist doch egal, ich sage ja es ist dumm."
Meine Wangen glühten und ich war froh, dass das Veranda Licht nicht weit genug schien, als, dass er es bemerken würde.

"Allie. Sieh mich an."
Ich hob den Kopf.
"Allie ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich bloß auf Abstand gegangen bin weil ich der Meinung war du würdest es so wollen. Was soll an dir schon peinlich sein? Du bist wunderschön."
Ich wusste absolut keine Antwort und konnte nichts anderes tun, als ihn anzustarren.

Ich musste mich ziemlich beherrschen, damit mein Atem einigermaßen unter Kontrolle blieb, als ich mich langsam über die Mittelkonsole beugte um ihn zu küssen.
Er kam mir entgegen, umschloss meine Wangen mit seinen Händen und erwiderte den Kuss erst vorsichtig, dann immer intensiver.

Meine eine Hand lag auf seiner Schulter, die andere in seinem Nacken und ich konnte nicht aufhören ihn zu küssen bis ich außer Atem war und mich langsam von ihm löste.
"Gute Nacht." Hauchte ich dicht vor seinen Lippen.
"Schlaf gut." Flüsterte er zurück und grinste.
"Träum schön." Lächelte ich.
"Das werde ich." Antwortete er leise und küsste mich noch auf die Stirn.
Ich stieg aus dem Wagen und schwebte mit wackeligen Knien und rasendem Herzen auf einer rosaroten Wolke davon.

The Absence of Heat - Die Abwesenheit von WärmeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt