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Ich arbeitete jetzt schon drei Wochen hier und mir gefiel es wirklich sehr. Meine Kollegen waren nett auch, wenn die meisten etwas eingeschüchtert von mir waren. Besonders Maggie schien unsere erste beziehungsweise letzte Begegnung nicht kalt gelassen zu haben. 

Sie versuchte jetzt schon seit einer Woche ein Gespräch mit mir anzufangen, doch ich wimmelte sie immer gekonnt ab. Ich hatte keine Zeit und auch keine Lust ihren belanglosen Gesprächen zu lauschen, wenn ich Darias Stimme hören konnte. Besonders jetzt wo sie immer offener zu werden schien.

Ich zupfte den Kittel zurecht und strich mein weißes Hemd glatt. Mit schnellen Schritten lief ich durch die mir jetzt so vertrauten Flure und blieb vor Ellen Parkers Zimmer stehen. Ihr Zustand hatte sich in den letzten Tagen stark verschlechtert und es gab keine Hoffnung, dass sie dieses Jahr, geschweige denn diesen Monat überleben würde. Ich hatte Daria bewusst nicht gesagt, dass ich Ellen heute aufsuchen würde. Sie hätte alles nur unnötig erschwert. Ich klopfte an die Tür und öffnete diese. Mit einer geschmeidigen Bewegung betrat ich den raum und schloss die Tür leise hinter mir. In meiner Hand hielt ich mehrere wichtige Dokumente. Unter anderem auch die Besitzansprüche und das Testament von Ellen.

"Guten morgen, Miss Parker", begrüßte ich sie charmant.

Sie brachte ein schwaches Lächeln auf. Seit zwei Tagen hatte sie nichts mehr gegessen und wurde nur noch von einem Beutel und einem kleinen Schlauch in ihrer Vene am Leben gehalten.

"Ich muss mit Ihnen noch über ihr Testament und ihre Besitzansprüche nach ihrem Tod reden", erklärte ich ihr.

Sie nickte schwach. Ich lächelte sie wissend an. Sie war schon viel zu schwach um irgendeine meiner Handlungen zu hinterfragen. Ich wusste, dass sie alles einfach so hinnehmen würde, nachdem man lange genug gewartet hatte. Besonders da ich gesehen hatte, dass sie auch mit der Transplantation keine Chancen hatte. Ich hatte es schon damals gesehen und sofort meine Chance ergriffen. Wie ein Raubtier hatte ich Tag um Tag gewartet bis meine Beute, in diesem Fall Ellen schwach genug war um angegriffen zu werden.

"Hier steht, dass Sie keine lebenden Verwandten haben und auch sonst keine Erben gewählt hätten", informierte ich sie, "Deshalb würde ich Ihnen vorschlagen ihr Geld dem Krankenhaus zu spenden, für dessen Buchhaltung ich verantwortlich bin", log ich.

Sie nickte wieder leicht. Perfekt.

"Trotzdem brauche ich ihre Unterschrift, insbesondere weil sie eine Firma haben, die man auch dem Krankenhaus zur Verfügung stellen könnte"

Oder verkaufen könnte, hing ich in Gedanken an. Ich reichte ihr einen Kugelschreiber, den sie mit zittrigen Händen entgegen nahm. Sie unterschrieb in einer schnellen Bewegung, was ihre Unterschrift sehr unordentlich aussehen lies. Trotzdem war ich zufrieden. Ich hatte gerade ein Erbe von 121.500$ zugeschrieben bekommen.

"Ich danke Ihnen", meinte ich als ich den Kugelschreiber und die Unterlagen wieder entgegen nahm und mit einer geschmeidigen Bewegung den Raum in Richtung Keller verließ. Dort angekommen platzierte ich alle Unterlagen gut versteckt unter meinen Klamotten in meinem Spint. Ich sah mich noch einmal prüfend in dem Raum um und beugte mich zu Darias Spind. Vorsichtig öffnete ich ihn und erblickte den sauber gefalteten Stapel ihres hellbraunen Trenchcoats, der auf ihren schwarzen Stiefeletten lag. An der Innenseite des Spints hing neben dem bestickten Taschentuch, ein Foto von einem breit grinsenden Mädchen (Ich schätzte sie so auf 8 oder 10 Jahre), die neben einer älteren kleinen und recht dürren Dame stand. Sogar auf dem Foto ähnelte sie ihr. Beide guckten glücklich in die Kamera. Das Mädchen trug zwei gepflochtene lange Zöpfe und eine Schuluniform während die ältere Frau eine einfache weiße Bluse und einen schwarzen knöchellangen Rock trug. Das Bild war schwarz weiß gehalten und an den Rändern etwas abgeknickt. Anscheinend zeigte dieses Foto eine kleine Daria mit ihrer Großmutter. Vorsichtig nahm ich das Foto und drehte es um. In einer krakeligen Schrift stand:

Daschinkas letzter Tag im Kindergarten, 1939 Leningrad

Ich griff schnell nach dem silbernen Schlüssel für die Patientenzimmer und ließ ihn in meiner Tasche verschwinden. Lamgsam schloß ich den Spint wieder und verließ den Raum in Richtung Mrs. Duckson. Ich musste dieser Frau noch unbedingt einen Besuch abstatten. Das Desaster von vor drei Wochen war inakzeptabel gewesen. Sie hatte Daria hysterisch angeschrien wie sie denn auf die Idee käme zu sagen sie wüsste wie sie sich fühle. Ein schwerwiegender Fehler wie ich dank der geschwätzigen Krankenschwestern wusste. 

Darias Eltern hatten den Krieg nicht überlebt. Ihr Vater war im Krieg gefallen, ihre Mutter an dem gebrochenen Herzen. Nach der Ankunft in Frankreich bei ihrer Großmutter sei ihr Bruder erkrankt und dann auch unter die Erde gekommen. Die Tante und ihr Sohn seien während der Überfahrt nach Quebec gestorben. Somit blieb die kleine Daria alleine mit ihrer Großmutter.

Niemand wirklich niemand außer mir durfte so mit Daria reden. Und genau das musste diese  Frau lernen. Ich öffnete die Tür zu ihrem Patientenzimmer und schloss sie leise hinter mir. Mrs. Duckson saß mit dem Rücken zu mir auf ihrem Bett und schaute geistesabwesend aus dem Fenster.

"Guten morgen, Mrs. Duckson. Ich hoffe Sie haben mich vermisst?"

Mit einem Ruck wachte sie aus ihrer Starre auf und schaute mich mit riesigen Augen an.

"Gehen Sie. Sofort", zischte sie wütend.

Ihre Augen hatte sie zu kleinen dünnen Schlitzen gezogen. Ich näherte mich ihr und schüttelte den Kopf.

"Oh nein. Ich werde nirgendwo hingehen. Sie werden sich morgen bei Miss Barker entschuldigen und dann mit ihr die Behandlung fortsetzen. Sonst wird das ganze hier sehr ungemütlich für uns beide"

Sie zuckte noch nicht mal mit der Wimper. Ich stand vor ihrem Bett. Ruhig griff ich in meine Kitteltasche und fühlte das kalte Metall. Mrs. Duckson schüttelte den Kopf, doch ich ließ ihr keine Zeit. Schnell zückte ich den Stoffknebel aus meiner Tasche und stopfte ihr den Mund damit. Bevor sie sich weiter regen konnte, machte ich sie mit den Metallschnallen an ihrem Bett fest. Die geschlossene Psychiatrie hatte schon seine Vorteile.

"Denken Sie wirklich, sie sind die einzige, der so schlimme Dinge widerfahren sind? Wie egoistisch sie doch sind!"

Und wieder schüttelte die Frau den Kopf. Langsam zog ich wie eine Drohung das Skalpell aus meiner anderen Jackentasche und hielt es direkt vor ihren Augen. 

"Immer noch?" 

Keine Regung. Ich fuhr mit dem Skalpell ihr Handgelenk entlang und setzte dann direkt an ihrer Ader an. Langsam bildeten sich kleine rote Tröpfchen die in einer feinen Bahn ihr Handgelenk runter rollten. Zufrieden lächelte ich. Noch einen Schnitt, jetzt etwas höher und noch einen... Es war wie im Rausch. Mrs. Duckson murmelte die ganze Zeit etwas, doch ich war einfach nur froh die Tür abgeschlossen zu haben. Sie rollte die Augen und fiel dann kerzengerade auf das Bett. Ich wischte sauber meine Fingerabdrücke weg und legte ihr das Skalpell, welches eigentlich Jack gehörte, in die Hand. Falls sie Fragen stellen würden, dann nur Jack. Ich hatte bemerkt, wie er sich Daria immer mehr näherte und sie auch langsam gegen mich aufstachelte, doch das sollte jetzt eine Lehre sein. Ich entfernte den Stoffballen aus ihrem Mund und ließ ihn in meinem Kittel verschwinden. Mit einer schwungvollen Bewegung öffnete ich zuletzt noch die beiden Metallschnallen. Es war perfekt, es sah wirklich so aus als hätte Mrs. Duckson sich selbst versucht das Leben zu nehmen. Dann schloss ich die Tür wieder auf und stellte mich mit weit geöffneter Tür in den Flur.

"Ich brauche sofort Hilfe!", schrie ich laut und griff noch einmal vorsichtig an ihren Arm um die Wunden noch weiter zu öffnen.

Sofort kamen mehrere Schwestern in den Raum gestürzt.

"Das ist Jacks Messer. Da sind seine Initalien drauf", flüsterte eine Schwester leise.

Ich lächelte kurz siegessicher. Gewonnen.



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A monster like meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt