H

557 21 0
                                    

"Es ist okay", murmelte ich wie ein Mantra vor ihr. 

Darias Augen flimmerten immer mehr und ich spürte, dass sie dem Druck zu schlafen nicht mehr lange standhalten konnte. Immer noch darauf bedacht sie so sehr wie möglich ruhig zu halten, strich ich über ihre Wange bis ihr Körper plötzlich zusammen zuckte. Wie als hätte ich es schon tausend Mal geübt, was natürlich nur in meinem Kopf möglich war, hob ich sie in einer einzigen geschmeidigen Bewegung hoch und trug  sie in ihr Schlafzimmer. Mit dem Ellenbogen suchte ich nach dem Lichtschalter und flutete den kleinen Raum in warmes, behagliches Licht.

Das Zimmer war wie auch der Rest der Wohnung sehr hell gehalten und konnte als creme-beige Ton beschrieben werden. In der Mitte stand ein kleines nicht wirklich einladendes Bett auf das ich sie behutsam legte. Sie sah so ruhig aus. Ich ließ mich direkt neben ihr auf dem Bett nieder und strich über ihre warme Wange. 

"Wieso ähnelst du ihr so sehr?", fragte ich leise, "Meiner Schwester, meine ich, Mischa"

Sie hatte genauso strohblondes Haar gehabt wie Daria. Auf den Kinderfotos, die ich bis jetzt von ihr gesehen hatte, ähnelten sich die beiden wie Schwestern. 

"Was machst du nur mit mir?", fragte ich sie wieder ganz genau wissend, dass sie mir nicht antworten konnte. 

Meine Augen wanderten über den wundervollen Körper, der hier vor mir lag. Wie gebahnt beobachtete ich ihre volle Brust wie sie sich immer im gleichen Takt hob und wieder senkte. Mit meinen Fingerspitzen strich ich leicht über ihre Wange und dann tiefer über ihren Hals, zu ihrem Dekolleté, nur um dann direkt au ihrer Brust zu stoppen. Ich könnte sie jetzt ausziehen, alles mit ihr machen was ich wollte und sie würde nichts davon merken. Doch irgendetwas hinderte mich tief in meinem Inneren daran. War es etwa genau der Punkt, dass sie nichts davon merken würde? 

Wann war es mir, denn so wichtig geworden, dass sie spürte was ich tat? Wann war sie mir so wichtig geworden? Ich erinnerte mich an den Moment unserer ersten Begegnung. Direkt als sie mir in die Augen sah mit ihrem unschuldigen Blick, hatte es etwas in mir ausgelöst. Diese Verbundenheit zu ihr... so eine Art der Verbundenheit hatte ich nur damals bei meiner Schwester gespürt. Ich stand wieder auf und sah mich in dem Zimmer um. Jetzt würde ich mit dem eigentlichen Plan beginnen. Zuerst widmete ich mich ihrem Kleiderschrank. 

Daria hatte nicht viele Klamotten, das meiste davon waren Kleider und ein paar Röcke, zwei Hosen fand ich dann noch später, ein paar Pullover und Shirts. Etwas weiter unten fand ich ihre Unterwäsche. Hier wird es nun interessanter, dachte ich lächelnd, doch meine anfängliche Vorfreude auf etwas schwarze Unterwäsche erlosch schnell. Es waren ganz normale hautfarbene Bhs und einfache Slips drin. Nichts aufregendes. 

Ich durchsuchte ihre Kommode, die neben dem Kleiderschrank stand. Endlich fand ich etwas nach dem ich gesucht hatte: ihre Einreisedokumente. Sie war 1940 aus Sankt Petersburg nach Frankreich geflohen, wie sie das geschafft hatten, war mir aber trotzdem ein Rätsel. Ich blätterte weiter in dem vergilbten Papierstapel und fand einen alten Pass von Daria. Zarte Neunzehn Jahre alt war sie auf dem Foto. Ihre jetzigen feminineren Gesichtszüge ließen sich schon auf dem Foto erahnen. 

Ich legte den Stapel wieder säuberlich weg und verließ das Zimmer. Vielleicht würde ich ja noch etwas in dem Wohnzimmer finden. Mit einer gewissen Neugier machte ich mich direkt an ihren Schränken zu schaffen. Ich durchforstete mehrere Dokumente über ihre Geldeinlagen (die gelinde gesagt spärlich ausfielen) und über ihr Studium. 

Sie hatte wirklich an der Université de Montréal studiert, was sie mir dabei aber verschwiegen hatte, war die Tatsache, dass sie sich schon dort in psychologischer Betreuung befand. Genau ab dem Zeitpunkt, an dem ihre Großmutter Selbstmord begangen hatte, wurde Daria nachts von Albträumen geplagt. Sie hatte gar nichts davon erwähnt und das machte mich irgendwie stutzig. Ihr damaliger Psychologe beschrieb es als "Kriegstrauma", da wohl auch die Überreise in die Staaten Spuren an ihr hinterlassen hatten. 

Müde überflog ich die ganzen Berichte über ihre Albträume und versuchte so viel wie möglich davon aufzunehmen. Ich musste sie mit irgendetwas an mich binden. Als ich fertig war, stopfte ich auch diesen Stapel wieder so in die Schublade wie ich ihn vorgefunden hatte. Sie würde es trotzdem nicht merken da war ich mir sicher. Ich räumte das dreckige Geschirr vom Tisch und spülte es schnell um es dann sauber in die Schränke zu räumen. Schließlich musste morgen früh alles zu meiner Geschichte passen. 

Mit einem letzten Blick über das Zimmer, vergewisserte ich mich das alles passte und ging noch einmal in Darias Schlafzimmer. Ich kniete mich direkt vor ihr Gesicht auf den Boden und beobachtete wie sich ihre Gesichtszüge plötzlich verkrampften. Das mussten wohl die Albträume sein. Ich strich ihr über die glühende Wange. 

"Es hat alles bald sein Ende, Kleines"

Zum Abschied küsste ich sie zärtlich auf die Wange und stand dann wieder auf um mir im Flur meine Jacke über zuziehen. Dabei sah ich mir noch einmal das Familienfoto an, welches ich schon beim eintreten bemerkt hatte. Auf jeden Fall Mischa. Ich öffnete die Tür und spürte den kalten Luftzug, der mir entgegen kam. Ich öffnete die Tür so weit es ging und ließ sie dann mit einem lauten Knall ins Schloss fallen. Jetzt müsste sie wach sein. 

Leise vor mich hinsummend, stieg ich die Treppen hinunter zu meinem Wagen und ließ mich in die kalten Polster fallen. Ich seufzte zufrieden und griff dann nach der Kartei in meinem Handschubfach. Gelangweilt blätterte ich die Namen durch bis ich endlich auf eine Frau stieß. 

Marcella Wayne

Sie war eine nicht besonders talentierte Opernsängerin und besetzte daher nur kleinere Rollen, doch für ein einfaches Ragout erschien sie mir perfekt zu sein. Ich ließ den Motor an und schaute mich in den dunklen Straßen um. Es würde knappe zwanzig Minuten dauern bis ich an ihrem Anwesen war. Hoffentlich schlief sie schon.



https://66.media.tumblr.com/ea238f6327035e34e49dc455af1f07f8/tumblr_oa2a7tl8wS1rnts5vo1_400.png

A monster like meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt