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Ich saß in einem harten schwarzen Ledersessel und blickte auf meine in sich verschränkten Hände. Hannibal hatte mich zu sich nach Hause gefahren, da ich für den Rest der Woche beurlaubt war. Außerdem sollten wir laut ihm ab heute mit den Sitzungen anfangen, die am besten täglich stattfinden sollten. Unruhig rutschte ich auf dem Sessel hin und her. Ich wusste immer noch nicht so wirklich was das zwischen uns war, aber es gefiel mir. Mir gefiel seine Art mich zu küssen, seine Art meinen Namen auszusprechen und seine Art mich festzuhalten und mir das Gefühl zugeben, dass er mich um keinen Preis der Welt loslassen würde. 

Hannibal saß in einem Meter Abstand zu mir auf einem zweiten Ledersessel und schaute angestrengt auf seine Notizen. In Gedanken verloren kaute er auf dem Bleistiftende herum. Ich hatte noch kein Wort gesagt und trotzdem schien ihm irgendetwas aufzufallen. Etwas das so wichtig war, dass es wert war es aufzuschreiben. Aus Nervosität hatte ich angefangen meine Fingernägel in meine Handflächen zu pressen. 

"Hör bitte auf damit", wies er mich mit einem strengen Ton an ohne von seinem Papier aufzusehen. 

Ich tat es und atmete einmal tief aus. Wann war ich, denn so ein sensibles Nervenbündel geworden? 

"Was ist das letzte an was du dich während deines Anfalls erinnern kannst?", fragte er dann und schaute mir direkt in die Augen. 

"Die Küche", schoss es ohne nachzudenken aus mir heraus. 

Hannibal sah mich mit einem fragenden Blick an und notierte es dann. 

"Erzähl mir mehr von dieser Küche", wies er mich an.

"Ich stand in der Küche meiner Kindheit. Es war relativ dunkel, aber ich konnte aus dem Fenster meinen Hof erkennen. Sogar die Leute konnte ich sehen", erzählte ich stockend.

Er schaute wieder hoch und musterte mich mit einem prüfenden Blick. 

"Und weiter"

Ich wusste, dass da etwas in dieser Küche passiert war, aber ich wollte es tief in meinem Inneren behalten. Ich wollte es nicht raus lassen. Ich wusste, dass wenn diese Wunde aufbrach, sie mich vollkommen zerstören würde. 

"Da gibt es nichts. Es ist nur die Küche meiner Kindheit", log ich.

"Du lügst, Kleines", lächelte Hannibal mich an, "Es ist irgendetwas in dieser Küche vorgefallen und das weißt du auch" 

Ich schüttelte langsam den Kopf, fest darauf bedacht bloß keine Gefühle, die mich verraten könnten nach außen zu lassen. In meinem Kopf spielte sich wieder das Szenario ab. Ich stehe in der Küche. Es ist dunkel. Niemand ist da. Ich weiß was mich darin erwartet. Ich halte mir die Augen zu. Ich will es nicht sehen. Ich weiß, dass wenn ich hochschaue, ich es nie vergessen werden kann. 

"Daria, denk nach. Was ist in dieser Küche passiert?"

Vor meinem bildlichen Auge spielt sich wieder das gleiche Szenario ab: Es ist schon Winter. Mein Vater wurde eingezogen. Vor einer Woche bekam meine Mutter den Brief, der unsere Leben für immer verändern würde. Mein Vater sei gefallen heißt es darin. Ich höre sie laut aufschreien, sie weinen. Die Nachbarn hören es nicht. Sie wollen es nicht hören. Es ist wieder morgens, aber am nächsten Tag. Es ist kalt. Ich frage mich wo Mama ist. Ich gehe in die Küche. Es riecht komisch. Ich will nicht nach oben schauen. Ich schreie. Ich halte mir die Augen zu. Ich weiß, dass ich dieses Bild nie vergessen werde. 

Hannibal hatte sich jetzt vor mich gekniet und umfasste mein Gesicht dabei schaute er mir eindringlich in die Augen. 

"Was ist in dieser Küche vorgefallen?", fragte er und betonte dabei jedes einzelne Wort. 

Heiße Tränen laufen mir jetzt wieder die Wangen herab bis zu meinem Kinn wo sie sich in einem schmalen Pfad sammeln und meinen Hals hinunter kullern. Ich starre ihn einfach an. Die Schmerzen fangen wieder an und ich spüre das altbekannte Stechen in meinem Kopf. Ich will nicht weiter darüber nachdenken. Und schon gar nicht will ich mich an diesen schrecklichen Moment erinnern. 

Er streicht die Tränen wieder mit seinen Daumen weg, doch ich reagiere nicht darauf. Ich befinde mich wie in einer Art Trance. Und wieder wie bei einer kaputten Schallplatte spielt sich das gleiche Szenario ab. Ich tapse mit meinen kleinen Füßen in die Küche. Eigentlich hatte ich nur Hunger und wundere mich wieso meine Mutter uns nicht weckt. Verschlafen reibe ich mir die Augen und spüre, dass es sehr kalt in der Küche ist. Ich bin aufgewacht, weil ich gehört habe wie der Stuhl umgefallen ist. Das ist auch das erste was ich sehe als ich in die Küche gehe. Einen einfachen umgefallen Holzstuhl. Ich bemerke den komischen Geruch und schaue nach oben. Mir stockt der Atem. Ich schreie. 

Die Nachbarn hören es plötzlich. Mein Bruder auch. Er kommt in das Zimmer gelaufen, bleibt neben mir stehen und schaut wie angewurzelt nach oben. Ohne jegliche Regung stehen wir da und schreien. Ich weiß nicht wie lange wir so dastehen und schreien, aber eine Nachbarin kommt. Sie hatte einen Zweitschlüssel. Sie zieht uns weg. Sie hat Tränen in den Augen. Sie sieht mich an, redet auf mich ein, weiß nicht was sie tun soll. Sie nimmt uns mit in ihre Wohnung und ruft die Polizei. Dann ruft sie meine Tante an, dass sie uns abholen soll. Sie betet für uns. Hat Angst, dass wir jetzt verflucht sind. Ich sage nichts, ich kann nichts mehr sagen. Mein Bruder weint. Meine Tante kommt, sie redet wieder auf mich ein. Es kommt keine Reaktion von mir. Ich starre die Wand an. Realisiere was passiert ist. 

Meine Tante schreibt meiner Großmutter einen Brief. Sie wird bald kommen und uns mitnehmen. Ich will nicht hier weg. Ich weine. Ich renne wieder in die Küche, sehe wie Männer meine Mutter mitnehmen und in einen Sack stecken. Ich werde sie nie wieder sehen. Ich falle um. Ich versuche das alles zu verdrängen. 

Ich spüre einen unsanften Griff an meinem Kinn. Er weckt mich aus meiner Trance und ich sehe direkt in Hannibals Augen. 

"Dascha rede mit mir", zischt er fast. 

Der Kosename legte einen Schalter um. 

"Sie hat sich erhängt", wispere ich leise und kaum hörbar. 

Unmerklich weiten sich seine Augen und ich kann den leichten Schrecken darin sehen. 

"Wer?", fragt er. 

"Meine Mutter. Sie hat sich damals in der Küche erhängt", flüstere ich leise.



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A monster like meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt