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Noch immer mein Kinn in seinem festen Griff haltend, sah er mich an. Lange. Ich wusste nicht ob seine Augen Fassungslosigkeit oder nur Erschrecken spiegelten, denn ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Die Worte auszusprechen, die so weh taten und, die ich mit allen möglichen Mitteln versucht hatte zu vergessen, hatten etwas in mir ausgelöst. In meinem tiefsten Innersten brannte es. Alle Erinnerungen wurden wie ein Tsunami hineingespült und brodelten sich zu einem heftigen Sturm zusammen. 

"Daria?"

Seine Stimme holte mich wieder ins hier und jetzt. Außerdem bemerkte ich, dass ich wieder meine Augen fest zusammen gekniffen hatte. Wahrscheinlich aus Angst, dass die ganzen Erinnerungen sich wieder vor meinem geistigen Auge abspielen würden. Naja, meine Augen zu zukneifen, würde mir auch bald nicht mehr helfen, doch das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wie ein scheues Reh sah ich in seine Augen und rutschte unbewusst noch mehr in den Ledersessel hinein. Er musterte mich mit einem sehr eigenartigen Blick. Ich wusste gar nicht wie man diesen beschreiben sollte. Vielleicht mordlustig? Es hatte etwas sehr Angst einflößendes. 

"Ich denke das reicht für heute", erklärte er schlicht wobei sich auch die Art seines Blickes änderte. 

Jetzt hatte es etwas fürsorgliches. Mit einem vergewissernden Blick auf die Uhr nickte er kurz und meinte dann: "Es ist schon Mittag. Ich habe noch ein paar Reste von gestern. Wenn du nichts dagegen hast, sollten wir etwas essen und dann fahre ich dich wieder nach Hause"

Es war mehr ein Befehl als eine Frage, aber ich nickte. Ich wollte nicht wirklich nach Hause und wieder alleine in meiner kleinen Wohnung hocken. Was sollte ich da? Da keine weitere Reaktion von mir kam, strich Hannibal wie so oft in letzter Zeit über meine Wange und küsste leicht meine Lippen. 

"Du solltest dich zu Hause hinlegen, Kleines", flüsterte er mir ins Ohr bevor er dann hinter seiner Küchenzeile verschwand. 

Etwas tapsig bewegte ich mich aus dem Ledersessel und folgte ihm nur um mich dann wieder auf einen der Esstischstühle fallen zu lassen. Ich beobachtete wie Hannibal ein paar kleine Schalen und Dosen aus dem Kühlschrank nahm und sie dann sehr akkurat auf der Platte neben seinem Kochfeld ordnete. 

"Ich hoffe, du isst Nieren?", fragte er und drehte sich dabei leicht zu mir. 

"Ich habe es ehrlich gesagt noch nie probiert", wisperte ich. 

Meine Stimme war immer noch angeschlagen und es war mehr als ein Kratzen als ein richtiger Ton. Vielleicht sollte ich mir heute Abend noch zu Hause eine heiße Milch mit Honig machen? 

"Das ist ja eine Schande!", lachte er und versuchte damit die Stimmung zu heben. 

Unsicher fing ich mit hochroten Wangen an zu lächeln. Hannibal widmete sich wieder seinem Gericht und holte ein paar Pfannen aus dem Schrank über ihm. Er sah wirklich sportlich aus in dem weißen gestreiften Hemd. Hatte er nicht auch irgendwann erzählt, dass er gerne joggen ging? Oder war es fechten? Vorher hatte er sich extra noch die Ärmel hochgekrempelt um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. 

"Du musst wissen Nieren, und besonders Lammnieren sind eine richtige Delikatesse", erklärte er und fing an das rote Fleisch zu schneiden. 

"Das muss ein großes Lamm gewesen sein", murmelte ich leise. 

Die Nieren erschienen mir wirklich etwas zu groß für ein Lamm zu sein. Diese waren ja schon fast so groß wie bei einem normalen Menschen. Hannibal schmunzelte und erwiderte: "Ich denke ich habe einfach einen sehr begabten Metzger"

Ich konnte mir mein Lächeln nicht verkneifen. Etwas müde stützte ich mein Kinn auf meinem Handrücken ab und beobachtete ihn weiter dabei wie er das Fleisch würzte und es dann laut zischend in der Pfanne landete. Es verwirrte mich alles. Ich war so müde von den letzten Tagen und diese ganzen Erinnerungen trugen nicht gerade dazu bei, dass sich mein Zustand besserte. Ich hatte immer noch nicht verstanden wieso es, denn so wichtig war darüber zu sprechen. Trotzdem genoss ich die Zeit mit ihm, auch wenn ich immer noch nicht so genau wusste, was das zwischen uns war. Außerdem fiel mir immer mehr auf wie viel er denn im Gegensatz zu mir von mir wusste, was bei ihm nicht der Fall war. 

Ich wusste gefühlt nur einen kleinen winzigen Bruchteil seiner Geschichte. Wohingegen ihm nur noch kleine winzige Bruchteile meines Lebens verschlossen geblieben waren. Hannibal wendete das Fleisch und fing an eine gelbe Paprika zu waschen. Als er meinen Blick bemerkte, warf er sie schnell hoch und fing sie dann gekonnt mit der Klinge seines Messers. Ich klatschte in die Hände und lächelte ihn an. So lange ich bei ihm war, konnte ich wenigstens all die schlechten Erinnerungen verdrängen. Der Geruch von gebratenem Fleisch und Rosmarin stieg in meine Nase. Wie lange hatte ich nicht mehr selbst gekocht? 

Seit dem Vorfall mit Ellen Parker hatte ich mir immer nur noch schnell etwas auf dem Weg geholt. Mein Kühlschrank war die letzen zwei Wochen also leer geblieben. Ich sollte also unbedingt morgen nochmal einkaufen gehen. Während ich so verträumt in meinen Gedanken saß, bemerkte ich gar nicht wie Hannibal einen duftenden Teller vor mir abstellte und sich mir  direkt gegenüber hinsetzte. 

"Bon appetit, Kleines", wünschte er.

Ich lächelte ihn an und begann zu essen. Es schmeckte wirklich ausgezeichnet so wie er gesagt hatte. Ich hätte nie gedacht, dass Innereien so lecker sein könnten. Das essen verlief ohne weitere Gespräche und als wir fertig waren und Hannibal wortlos das Geschirr in das Spülbecken gestellt hatte, ging ich in den Flur um mir meine Jacke anzuziehen. Ich konnte ihn nicht immer mit mir selbst belästigen. Außerdem wollte ich auch nicht so neugierig erscheinen wie Miss Jenkins. 

"Hast du alles?", fragte Hannibal bevor er sich seinen grauen Tweed Mantel überzog. 

"Ja, ich denke schon"

Er griff nach den Autoschlüsseln, die auf seiner dunklen Kommode lagen und öffnete mir charmant die Tür. Innerlich bereitete ich mich schon auf meine stickige kleine Wohnung vor, darauf wie ich wieder nicht einschlafen konnte und natürlich auch auf meine geliebten Albträume. Sollte ich nicht vielleicht doch Hannibal fragen ob er bei mir bleiben könne? 

Nein, es würde ihn bestimmt nur in seiner Annahme bestärken, dass ich psychologische Hilfe brauchte. Also doch lieber alleine sein.





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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 07, 2019 ⏰

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