Kapitel 9: Ein schreckliches Ereignis

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Auch wenn es so aussah, als ob Halya schlief, tat sie es nicht.
Sie wartete ein, zwei Stunden, bis sie sich sicher sein konnte, dass Legolas eingeschlafen war - Was sich als sehr schwierig erwies, da er mit offenen Augen schlief - und ließ sich dann von ihrem Balken auf den Boden nieder.
Faro, ihr Bruder, wollte sich eigentlich heute Nacht mit ihr Treffen. Doch sie musste ihm eine Nachricht senden, dass sie nicht weg konnte.
Da sie keinen Vogel oder eine Eule hatte, nahm sie einen Apfel und ritzte mit einem ihrer Dolche die Nachricht hinein:

"Heute kann ich nicht kommen.
Vielleicht morgen um Mitternacht?
Melde dich morgen so wie heute, gegen Elf."

Dann ging Halya mit dem Apfel in der Hand zum Fenster. Sie lehnte sich über den unordentlichen Schreibtisch und öffnete das Fenster, um den Apfel hinaus zu werfen.
Bei dieser Gelegenheit schaute sie sich auch die Entfernung zum Boden und zum nächsten Baum an.
Fast 15 Meter zum Boden und knapp 2 meter zum Baum.
Schwierig aber nicht unmöglich, ging es ihr durch den Kopf und sie warf den Apfel weit in die Dunkelheit hinaus. Hoffentlich findet er die Nachricht, dachte sie und ließ das Fenster geöffnet, als sie sich wieder auf den Weg zu ihrem Schlafplatz machte. Sie liebte den Geruch der Nachtluft.

*^-*-^*

Als Legolas aufwachte war es in seinem Zimmer kalt. Das Fenster stand sperrangelweit offen und die ersten Strahlen der Morgensonne fielen herein.
Halya saß auf zwei Stühlen, wie auf einer Bank, am Tisch und schaute nach draußen. Als sie merkte das Legolas aufgewacht war sah sie ihn aus den Augenwinkeln an.
"Wie spät ist es?" ,fragte Legolas und stand von seinem Bett auf. Halya schaute ihn an und sagte: "Die Sonne ist vor knapp einer Stunde aufgegangen. Wir haben es fast Sechs Uhr." Dann schnappte sie sich einen Apfel aus der Schale, biss hinein und schaute wieder aus dem Fenster. Legolas' Blick fiel auf die Schale, sie war fast leer. Von ein paar Nüssen abgesehen.
"Warum hast du nichts neues geholt?" , fragte er. Diese Frage beantwortete sie mit einem mürrischen Gesichtsausdruck.
Die Wache ließ sie ja noch nicht mal auf Klo, wenn Legolas nicht wach war. Da sollte sie dann noch was zu Essen holen? Wohl kaum!
"Stimmt." , sagte er und ging zur Tür. "Ich werde mal was zu Essen besorgen." Er öffnete die Tür und kam dann doch wieder zurück, um die Schüssel vom Tisch mitzunehmen. Halya stand von der Bank auf, erklomm den Dachbalken und ließ die Beine baumeln. Legolas verließ das Zimmer und Halya hörte wie sich die Wache genau vor der Tür postierte.
Keine fünf Minuten später kam Legolas mit einer neu befüllten Schüssel zurück und stellte diese auf den Tisch. Sie war schon fast liebevoll befüllt worden: Auf dem Boden lagen verschiedene Arten von Nüssen und oben drauf drei Äpfel. Dazwischen lagen ein paar hellgrüne Pfefferminzblätter. Die Blätter verströmten ihren lieblichen Duft im ganzen Raum.
Halya kam von ihrem "Bett" herunter, schnappte sich einen Apfel und eine Handvoll Nüsse mit Pfefferminze. Dann sprang sie elegant wieder auf ihren Balken und legte den Apfel auf die noch nicht getragenen Socken. Die Nüsse und Pfefferminzblätter steckte sie sich in die Hosentasche.
Legolas konnte nicht verleugnen, dass Halya stark war, wenn sie es schaffte, sich mit nur einem Arm hochzustemmen. Das schafften die meisten Soldaten nur mit Mühe - und mit zwei Armen.
Er nahm sich ebenfalls einen Apfel und fragte sie: "Sollen wir?"
Halya seufzte Schicksalsergeben und schwang sich nach unten. Sie hatte gar keine Lust, Giron wieder zu sehen. Auf diese Feindschaft konnte sie gut verzichten!

Der Tag verlief nicht anders wie der Gestrige. Halya ignorierte die Blicke von Ero, und es gab wieder Auseinandersetzung zwischen ihr und Giron. Die aber, Lystergio dankte den Valar, Kampflos ausgingen.
Um Elf kam Faro's Nachricht und Halya öffnete wieder das Fenster und die Klasse erstarrte.
Faro hatte ihre Nachricht erhalten und er hatte in Erfahrung gebracht, dass auch draußen, vor Halya's Zimmer, Wachen postiert waren. Doch Nachts wurden sie abgezogen und Patrouillierten die restliche Umgebung ab, um das Königreich vor dem "bösen Wolf" zu schützen, wie er es nannte. Als sie das hörte schmunzelte Halya. Heute Nacht würde sie Faro und seine Gefährtin Fanya besuchen. Dann würde sie auch ihre Neffen und ihre Nichte sehen.
Die restliche Stunde verlief relativ ruhig. Als Lystergio den Unterricht beendete, rief er Halya wieder zu sich. Ihre Begeisterung stand ihr ins Gesicht geschrieben: Am liebsten wäre sie einfach weitergegangen und hätte ihn ignoriert, doch sie war gut erzogen worden - und er eine Respektsperson. In der Erwartung, eines ähnlichen Gespräches wie gestern, stand sie vor Lystergio und wartete auf die Standpauke.
Doch Lystergio lächelte und sagte: "Du bist die Einzige die zu mir wollte." Er sprach von der Berufswahl. "Soll ich dir deinen Arbeitsplatz zeigen?" Damit hatte sie nicht gerechnet. Erstaunt starrte sie ihn an.
Legolas, der neben Halya stand, sagte: "Ich glaube, eine Aufsichtsperson wird reichen. Wir sehen uns später." Dann ging er aus dem Klassenzimmer hinaus und Halya war mit Lystergio allein.
Sie konnte es nicht fassen, dass Legolas gegangen war. Sie hatte gedacht dass er ihre Aufsichtsperson sei... Und nun ließ er sie hier stehen! Sie wusste nicht warum sie das so aufregte, und sie wollte auch nicht darüber nachdenken. Sie beobachtete, wie Lystergio seine Bücher zusammen packte und sich auf den Weg ins Lehrerzimmer machte.
Artig ging Halya hinter ihm her. Es ging ihr auf die Nerven, dass sie nicht selbst herumlaufen durfte, sondern wie ein Hund hinter anderen herlaufen musste.
Als Lystergio seine Bücher in seine Regale verstaut hatte, machten sie sich auf den Weg zum Schulhof. Sie traten auf den Hof hinaus und schlugen einen versteckten Weg rechts von ihnen ein. Der führte sie an den Schlossmauern vorbei und durch einen lichten Teil des Waldes, der zu einem Scheunen ähnlichen Gebäude führte, und dahinter lag eine große Koppel. "Dort versorgen wir verletzte und kranke Tiere." , erklärte Lystergio und deutete auf die Scheune.
Auf der Koppel kam ein weißes Pferd zum Zaun galoppiert und wieherte freudig. "Und was ist mit den gesunden Pferden?" , fragte Halya.
"Die stehen auf der Koppel oder im Stall. Wobei wir versuchen ihnen soviel Auslauf wie möglich zu geben." , war die Antwort und ein Nicken auf den Wald, nahe der Stelle, von wo sie gekommen waren. Dort standen die großen Stallungen des Königs. Halya schätzte dass circa sechzig bis siebzig Tiere im Stall einen angemessenen Platz gefunden hätten.
Lystergio wandte sich von dem Pferd ab, welches er liebevoll gestreichelt hatte, und machte sich auf den Weg zu der Scheune. Die Scheune war nichts anderes als ein großer Stall, mit vielen großen Boxen. Als Lystergio eintrat, fiel Halya sofort die Box mit einer bis zur Decke reichenden Absperrung auf. Die Absperrung bestand aus feinem Draht, nur die Tür war aus Holz. Aus der Box ertönte ein leises Rufen. "Das ist mein neuestes Sorgenkind." , erklärte Lystergio und zog sich eine Art Schutzweste über die grün-gelbe Kleidung und -Handschuhe an. "Er ist nicht sonderlich freundlich zu Fremden. Du solltest etwas Abstand halten." , riet er, nahm eine Schüssel mit Futter in die Hand und öffnete die Tür, um sogleich wieder zurück zuweichen. Das Rufen wurde lauter, energischer. "Darf ich mal?" , fragte Halya und trat an den Käfig heran. Lystergio nickte, drückte ihr die Futterschüssel in die Hand und begann sich die Handschuhe und Weste auszuziehen. Doch als er sie ihr geben wollte war sie schon im Käfig verschwunden.
Die Tür fiel hinter ihr zu, Federn stoben auf und das Rufen wurde zu einem Geschrei, welches nicht gerade freundlich klang. Die Futterschüssel fiel mit gepolter zu Boden... und Halya kam mit einer Schleiereule auf dem Arm zu Lystergio nach draußen.
"Wie hast du...?" , fragte er erstaunt. "Wir haben uns lange nicht gesehen, Inafer.", wandte sie sich an die Eule. "Was machst du hier?"
Die Eule klapperte mit dem Schnabel und pulsterte ihr schneeweißes Brustgefieder auf. Halya lachte und strich Inafer über den Kopf. "Zeigmal welche Verletzung du hast." Inafer ließ sich von Halya auf einen Vorsprung setzten und breitete einen der braunen mit weiß-grauen Tupfen gesprenkelten Flügel aus. Der Flügel hatte einen unnatürlichen Knick: Der Knochen war gebrochen. "Was können wir dagegen tun?" , fragte Halya Lystergio. "Ich versuche schon seit Tagen den Flügel abzutasten, um zu schauen ob der Bruch gesplittert ist oder nicht. Doch ich bekam nie die Gelegenheit dazu. Wenn er nicht gesplittert ist, würde ich eine heilende Slabe auftragen und eine Schiene anlegen.", erklärte er und holte aus einer Ecke besagte Materialien.
Halya nahm die Salbe, die Schiene (ein kleines stabiles Hölzchen) und den Verband entgegen und legte sie Inafer zufüßen. Dieser sah sie sich genau an und blickte dann zu Lystergio, danach zu Halya.
"Du kannst anfangen." , sagte Halya zu Lystergio und begann, Inafer zukraulen und beruhigende Worte zu murmeln.
Als Lystergio fertig war besah Inafer sich den Flügel genau: Hatte er auch keine Feder abgebrochen? Saß die Schiene richtig? Konnte er den Flügel bewegen?
Er befand seine Arbeit für gut und kletterte wieder - etwas schwerfällig - auf Halya's Arm. Dann klapperte er mit dem Schnabel, drehte den Kopf von einer Seite zur anderen und sträubte seinen weißen Gesichtsschleier, sodass die schwarzen Augen funkelten.
"Er bedankt sich sehr für deine Hilfe." , sagte Halya zu Lystergio und brachte Inafer zurück in seinen Käfig. Wasser und Futter war noch genug vorhanden.
Lystergio war immer noch erstaunt, dass Halya es geschafft hatte die Schleiereule so zu beruhigen, dass er sie verarzten konnte. "Gibt es noch weitere Sorgenkinder?" , fragte Halya, die nun wieder vor ihm stand. Er schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen und sagte: "Ja. Eines noch." Sie machten sich auf den Weg zu einer weiteren Box, die weiter hinten war. Dort lag im Stroh ein weißer Hirsch. Er war noch jung. Sehr jung. Sein Geweih hatte sich noch nicht entwickelt. Er hatte sich die Fesseln bei einem Sturz böse aufgeschürft. Die Verbände waren mit hell rotem Blut durchwirkt.
"Die Verbände müssen gewechselt werden." , sagte Lystergio und begann schon die neuen zu holen. Gemeinsam wechselten Halya und Lystergio die Verbände, dann durfte Halya gehen. Sie verabschiedete sich von Lystergio und machte sich schnell auf den Weg auf ihr Zimmer. Wer wusste schon was passiert, wenn man sie ohne Aufsichtsperson sah.
Doch sie musste sich gar nicht beeilen: Legolas wartete im Hof auf sie. "Sollen wir zum Abendessen?" , fragte er.
War es schon so spät geworden? Halya schaute in den Sonnenuntergang. Die Bäume, Wolken und der Himmel wurden in Orange ertränkt. Ein wunderschönes Bild, das Erinnerungen in Halya hervor rief. Einmal war sie mit Faro in solch einen Sonnenuntergang geritten. Ganz ohne Sorgen, einfach nur wegen des schönen Augenblickes.
Legolas betrachtete Halya's wunderschönes Gesicht, welches von der untergehenden Sonne beleuchtet wurde. Ihr Blick war in weite Ferne gerichtet, als wäre sie ganz woanders - in einer anderen Zeit. Dann schüttelte sie den Kopf und kehrte in die Realität zurück.
"Ja, wir können gehen." , antwortete sie auf seine Frage. "Dann mal los."
Sie gingen über den Hof, durch die Tür, in den Gang der Schüler. Und anstatt nach rechts, auf den Weg zu ihrem Zimmer abzubiegen, bog Legolas links ab. Verwundert über den Weg folgte Halya ihm, fragte ihn jedoch nicht, wohin es ging.
Nach einer Weile gab es eine Kreuzung die nach links und rechts führte. Geradeaus war eine große Flügeltür und der Boden war mit schwarz-weißen Kacheln gefliest.
"Links ist die Treppe die zu unserem Korridor führt." , erklärte Legolas und deutete auf die Treppe die ein paar Meter im nächsten Gang nach oben führte. "Und wenn du den Gang weiter gehst, kommst du zu Laurea's Arbeitszimmer. Bei ihr kannst du dir neue Kleidung besorgen wenn du welche brauchst. Und hier," , er zeigte auf die helle verschnörkelte Flügeltür, "ist der Speisesaal."
Halya war von der Aussicht wenig begeistert, mit anderen am Tisch zu sitzen und zu essen.
Legolas öffnete die Tür und ließ Halya eintreten.
Der Speisesaal war hell beleuchtet und lange Tische standen im Raum, an denen alle Elben des Waldlandreiches versammelt zu sein schienen. Als Halya eintrat verstummten die Gespräche und alles wurde still. Legolas trat hinter ihr ein und ließ die Tür ins Schloss fallen. Sie spürte ihn in ihrem Rücken, doch mehr spürte sie die Blicke die auf sie gerichtet waren: Einige neugierig, andere verwundert und wieder andere Feindselig. Sie musste sich gar nicht erst umschauen, um zu wissen, dass dieser von Giron und seiner Clique kam.
Plötzlich kam ein lang gezogenes "Halyaaaaa! Hier drüüüüben!" durch den ganzen Raum gerufen. Ganz hinten, am Ende des Raumes, stand Vinnea an einem Tisch und winkte sie zu sich.
Halya verdrehte die Augen, machte ein Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen, legte genervt die Ohren zurück und fragte mürrisch: "Ist die immer so?" Legolas lachte leise bevor er antwortete: "Ja sie hat schon ihre Macken, aber dafür lieben wir sie." Innerlich seufzend setzte Halya sich in Bewegung. Mit hoch erhobenem Kinn und die Blicke der anderen ignorierend, ging Halya selbstbewusst auf Vinnea zu.
"Hallo." , begrüßte Halya sie knapp und betrachtete das Essen auf der langen Tafel. Es gab viele verschiedene Salat Variationen und anderes Gemüse aber auch Hähnchenbrustfillet und Fisch.
Halya setzte sich an den Tisch und ihr gegenüber saß Laurea, neben die sich gerade Vinnea setzte. "Hallo, Laurea." , begrüßte Halya sie und neigte den Kopf. Diese erwiderte ihre Begrüßung.
Legolas saß Links neben Halya.
Die Stimmung lockerte sich wieder auf und die Gespräche gingen weiter.
"Machst du eigentlich bei dem Wettbewerb am Samstag mit?" , fragte Vinnea an Legolas gewandt. Einmal in der Woche wurde ein Fest veranstaltet und einmal im Monat konnte sich das Volk aktiv daran beteiligen. "Ich glaube nicht. Ich habe keinen Projektpartner." , erklärte er und fragte: "Mit wem arbeitest du zusammen?"
"Ich glaube ich arbeite mit Laurea zusammen. Du könntest doch mit Halya daran teilnehmen." , schlug Vinnea vor. "Was ist denn das Thema?" , fragte Legolas und warf einen schnellen Seitenblick zu Halya, die dem Gespräch interessiert lauschte. "Hm. Ich glaube es ging um Könige, Geschichten und Legenden." , überlegte sie.
"Kingt interessant." , mischte sich Halya in das Gespräch mit ein. "Warum nicht?"
Legolas sah sie erstaunt an. Er hätte nicht gedacht, dass sie sich darauf einließ. So hatte er einen Projektpartner und konnte doch teilnehmen. "Aus was muss das Kunstwerk bestehen?" , fragte er zum Abschluss. "Aus Schokolade." , war die Antwort.

Eine der Gaurwaith (Legolas ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt