19.Kapitel

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Clarissa

Das Haus meiner Mutter war klein aber fein. Die Decken des Cottages waren sehr niedrig und die Räume waren nicht besonders groß.
Doch das Haus war so entzückend wie kein zweites. In der Wohnküche stand ein großer Kachelofen, der eine behagliche Wärme verströmte. Meine Mutter hatte alle Räume liebevoll dekoriert. Und die alten Möbel und kleinen feinen Dinge versprühten einen ganz besonderen Charme. Doch das schönste war der riesige Weihnachtsbaum, der bis an die Decke reichte und mit dem Baumschmuck meiner Großmutter geschmückt war.

An unserem alten Küchentisch saß ein Mann, den ich noch nicht kannte. So war meine Mutter und das Alter hatte sie kein bisschen verändert. Immer wieder angelte sie sich neue Männer. Und ich fragte mich, wie viele Freunde sie bisher hatte.

"Das ist Harold" stellte meine Mutter mir ihren neuen Partner vor, der schon ziemlich alt aussah. Aber vielleicht täuschte der erste Eindruck auch. Sein Haar war grau und die Haut in seinem Gesicht war faltig. Doch seine Augen funkelten lebhaft und er lächelte ohne Pause. Ich hoffte nur, dass meine Mutter mit ihm glücklich werden würde.
"Soll ich Tee kochen" fragte ich meine Mutter. Denn mir stand der Sinn nicht danach mich mit dem neuen Mann meiner Mutter zu unterhalten. Deshalb wollte ich mich nützlich machen.

Während meiner Kindheit hatte meine Mutter ständig neue Liebhaber gehabt. Und ich habe diese Zeit nur überstanden, weil ich mich auf keinen dieser Männer eingelassen habe. Diese Taktik war so gut, dass ich auch jetzt noch an ihr festhielt.

"Wie geht es dir" fragte ich meine Mutter, während wir gemeinsam das Essen vorbereiteten. Ich würde also doch noch zu einem anständigen Weihnachtsessen mit Truthahn und allem was dazu gehörte kommen.
Meine Mutter seufzte und holte den großen Vogel aus dem Ofen.

"In letzter Zeit war es schwierig. Markus hat mich verlassen, für eine jüngere..." Meine Mutter sah plötzlich so verletzt aus. Wenn es um ihr Alter ging, war sie immer schon sehr verletzlich gewesen. Doch je älter sie wurde, umso schwerer viel es ihr zu akzeptieren, dass sie nicht jünger wurde.

"Das tut mir leid" murmelte ich und half ihr die Klöße aus dem Topf zu nehmen.
"Und bei dir so" wollte sie wissen. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte ich mich, dass ihr neuer Freund nicht lauschte.
"Nicht so gut" gab ich zu, "ich habe meinen Job verloren, kurz nachdem Dylan und ich uns getrennt hatten und er mich aus unserer gemeinsamen Wohnung geschmissen hatte."
"Das tut mir leid, Schätzchen" sagte meine Mutter ehrlich betrübt, "brauchst du etwas Geld?"

Ich schüttelte den Kopf. Denn ich war zu stolz um etwas von ihr anzunehmen.
"Hast du schon jemand neuen gefunden?"

Ich zögerte einen Moment und antwortete: "ja, er heißt John und er ist absolut wunderbar..."

"Ich wusste doch, dass du nach mir kommen würdest" hauchte meine Mutter.
"Erzähl mir doch ein wenig von ihm."
Eine Weile schwärmte ich ihr von John vor, wie fürsorglich und liebevoll er war. "Es scheint, als hättest du tatsächlich großes Glück gehabt..."

***

Das Essen verlief friedlich. Harold erzählte die ganze Zeit von seinem Leben, von seinen Hobbys und seiner Tochter. Seine Worte rauschten an mir vorbei, ohne dass ich ihnen besondere Beachtung schenkte.
S

tattdessen konzentrierte ich mich auf das Essen, das außergewöhnlich gut war... Erst als Harold von seinem Job erzählte, wurde ich hellhörig. Denn er arbeitete für Johns Bank. Allerdings erzählte ich ihm nicht, dass ich mit seinem obersten Chef zusammen war...


Weihnachtskuss (John und Clarissa II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt