Als ich zu Hause ankam, war alles so wie immer. Schon im Hausflur war der stechende Geruch nach abgebrannten Zigaretten zu vernehmen, ob man wollte oder nicht. Wie immer war das Haus verlassen. Wo Mom jetzt schon wieder war, wusste ich nicht, doch sie war nicht zu Hause. Hoffentlich würde sich das nicht während meines kurzen Aufenthaltes hier ändern.
Ich rannte schnell die Treppe nach oben, um in meinem Zimmer die noch zu packenden Dinge zusammen zu sammeln. Schnell hatte ich die wenigen verbliebenden Sachen zusammen geräumt. Tatsächlich war es wahrscheinlich nicht so schnell gewesen, doch es musste ausgereicht haben, um mich in eine Art Trance zu bringen, denn als ich nun mein eiliges Packen beendet hatte, stand meine Mom im Türrahmen.
Sie hatte sich an diesen gelehnt und sah mit schnippischem Blick zu mir. In der Hand hielt sie wie immer einen ihrer angezündeten Kippenstummel. Aus ihrem Blick sprach der blanke Vorwurf. Sie war wütend, dass ich packte, doch hätte sie es verhindern wollen, dann hätte sie mich sicher nicht so groß gezogen, wie sie es getan hatte -nämlich gar nicht- sondern hätte wenigstens versucht, sich um mich zu kümmern. Im warmen Spätsommerlicht schimmerte das mattrosa Lipgloss auf ihren Lippen. Sie hatte getrunken. Zwei Gläser würde ich schätzen. Bei drei Gläsern wäre keine Spur der rosanen Farbe mehr zu sehen. In all den Jahren, in denen ich mit ihr konfrontiert gewesen war, hatte ich das rausgefunden.
Ihr Blick war vernichtend und schien zu brennen. Sie richtete diesen Blick des Todes abwechselnd auf mich und die Taschen.
Fassungslos starrte ich sie an. Trotz ihrer wirklich gold-blonden Locken wirkte sie nicht hübsch. Sie wirkte kaputt und ich wusste, dass sie es auch war. Trotzdem würde ich ihr den Gefallen zu bleiben nicht tun, sondern würde gehen. Weg von hier! Weg von allem, was ich kannte!
Ohne sie weiter zu beachten, ging ich zu meiner Kommode, um dort aus einem Zwischenboden die Autoschlüssel zu angeln. Dann sackte ich meine Taschen an und versuchte mich an Mom vorbei zu drängeln.
Sofort streckte sie gebieterisch die Hand nach meinen Schlüsseln aus und sah mich mit großen Augen an.
"Also gut, dann reden wir!", murmelte ich, da ich diesen Blick nur zu gut kannte.
Kaum merklich nickte sie hinter ihrer Fassade aus Mascara, Haarspray und Make-Up. Sie sah fast noch schlimmer aus, als sie es sonst tat. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wo sie über das Wochenende gewesen war.
Wortlos ließ ich mein Gepäck in der Tür meines Zimmers stehen und schlurfte die Treppe hinunter. Ich hatte Angst, mein Plan, vor dessen Vollendung ich nach mehr als 7 Jahren Planung nun stand, wäre für immer vereitelt.
Wortlos setzte ich mich auf meine Ecke des Sofas im Wohnzimmer. Wie immer stand vor Moms Platz ein Teller Erdnüsse. Das war fast das einzige, was sie aß.
Wenig später setzte meine Mutter sich hinter ihre Erdnüsse.
"Was ist mit dir los?", fragte sie. Den Blick hatte sie während der Frage gesenkt, doch als sie ausgesprochen hatte, durchbohrte mich ihr Blick.
Ich überlegte nicht lange und antworte in einem Wort: "Du!"
Sie sah verwirrt aus, also begann ich mich zu erklären:"Du kommst hier rein, jeden verdammten Morgen, und schenkst mir die gleichen kränkenden Blicke..."
"Die Blicke sind gut gemeint...", murmelte sie kaum hörbar.
"Du siehst mich an, als wäre ich ein Loser!"
Sie zögerte. "Was gibt dir zu denken, du wärst ein Loser? Maximal bist du der Sohn eines Losers." Kurzzeitig legte Mom eine Pause ein und sah nach unten, damit ihr gefährlicher Blick mich kurz später wieder durchbohren konnte. "Du bist viel mehr!", hauchte sie abschließend und schien zu lächeln.
Bitte was? Du bist viel mehr!? Seit wann das denn?! Dieses Gespräch würde eh keinem was bringen.
Kurze Zeit grinste ich, dann wurde mein Blick wütend und ich legte die Finger meiner linken Hand unter ihren verdammten Erdnussteller und schleuderte ihn ihr ins Gesicht.
Sie sah empört aus.
Sofort sprang ich auf und holte meine Sachen nach unten. Schnell brachte ich sie ins Auto, in welches ich auch einstieg.
Wieder hatte ich Pech und meine Mutter folgte mir nach draußen. Wütend klopfte sie auf der Motorhaube herum. Was wollte sie damit erreichen?!
Sie stand da und klopfte. Mit Tränen in den Augen. Irgendwann wurde es mir zu viel und ich stieg aus.
"Hör au...", ich konnte nicht ausreden, da mich ihre plötzliche Umarmung überraschte. Sie drückte mich gegen meinen Willen fest an sich. Kurz ließ ich es über mich ergehen, dann drückte ich sie weg. "Lass mich! Ich will los!", motzte ich sie an und stieg wieder ins Auto.
Sofort startete ich den Motor und fuhr aus der Einfahrt. Eine Weile sah ich noch, wie sie im Vorgarten mit dem verdorrten Gras stand und es mit ihren Tränen goss. Dann verschwand sie aus meinem Blickfeld und ich auf die Hauptstraße.
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The St.Jimmy Story (#Wattys2016)
JugendliteraturWegrennen. Das ist der Gedanke, der Jimmy nachhängt seit er denken kann. Nichts hält ihn. Keiner versteht ihn. Niemand braucht ihn. So beschließt er einestages sich auf große Reise zu begeben. Es gibt kein Zurück. Es wird nur noch vorwärts gehen. O...