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Karla

Nach dem Gespräch mit Doktor Waters irrte ich weiter ziellos durch die Gänge. Sie wollte mich auf keinen Fall zu Leni lassen, da diese zuvor aufgrund ihres instabilen Zustandes, der Stimmungsschwankungen mit sich brachte, bereits Krankenhauspersonal angegriffen hatte.

Zunächst müsse Leni mit dem Psychologen reden, hatte sie gesagt, danach könne über einen Besuch bei ihr verhandelt werden.

Ich war nicht begeistert.

Erst einige Stunden nach dem Gespräch kam mir der Gedanke, was das Ganze für Niall bedeutete.

Zwei bis drei Wochen.

Sie kannte ihn nicht mehr.

Ich hatte mehrmals bei uns angerufen, aber er war nicht ans Telefon gegangen. Jedes Mal konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich erleichtert sein sollte, es ihm nicht sagen zu müssen, oder nicht.

Gegen Mittag schickte mich Dr. Waters nach Hause.

Sie sagte, der Psychologe würde Besuch frühestens in zwei Tagen erlauben und ich solle mich um mich selbst kümmern und um Mia.

"Ach, da seid ihr ja!"

Ich wartete seit einer halben Stunde ungeduldig darauf, dass Mia und Niall zurück kommen würden. Sobald ich zuhause gewesen war, hatte ich mein Handy eingesteckt und Niall angerufen.

Niall ließ die Babytasche auf den Boden fallen, brachte die schlafende und offensichtlich erschöpfte Mia wortlos in ihr Kinderbettchen und setzte sich dann zu mir aufs Sofa.

Ich wollte nicht, aber er hatte mich bereits am Telefon gedrängt, ihm zu erzählen, was denn nun mit Leni war.

"Sie kennt mich also nicht mehr? Sie hat panischen Angst vor Männern? Fuck!", murmelte er.

Ich hatte so etwas erwartet, hatte versucht, mich darauf vorzubereiten und trotzdem wusste ich jetzt nicht, was sagen, was tun.

Niall redete jedoch einfach weiter und ich war gewissermaßen erleichtert, nicht auf seine Aussage reagieren zu müssen.

"In meinem Leben muss immer alles schief laufen, oder?"

Ich war versucht, ihn darauf hinzuweisen, dass sein Leben eigentlich doch recht beneidenswert war: keine Geldsorgen, praktisch Unkündbar, ein Star - der Trau unzähliger Mädchen, ...

Aber irgendwie wusste ich, was er meinte, ich wusste, dass alles Schattenseiten hatte und auch, dass solch ein Hinweis nicht im geringsten dazu beitragen würde, dass er sich besser fühlte. Also ließ ich es bleiben.

Niall führte seinen Monolog ungeachtet meiner Gedankengänge weiter. Seine Stimme war tränenerstickt, tief, rau.

"Ich meine, da finde ich endlich ein Mädchen, dass ich mag. Ich finde ein Mädchen, dass mich für mich mag und ich bin ein bisschen glücklich und was passiert? Sie ist Prostituierte. Schön und gut, das hätten wir hinbekommen, aber nein... An dem Abend, an dem ich das herausfinde, an dem Abend, an dem ich beschließe, dem ein Ende zu machen..."

An dieser Stelle unterbrach er sich, vergrub den Kopf in den Händen und begann, leise zu weinen. Ich umarmte ihn, so gut ich konnte und weinte mit.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte (in meinem Bett, Niall musste mich hergetragen haben), war er nicht mehr da. An der Lampe auf meinem Nachtkästchen lag ein Zettel.

Es tut mir leid, aber ich kann nicht bleiben. Ich schaffe das nicht.
Sag ihr, dass ich für sie da bin, wenn sie sich wieder an mich erinnert.
Sag ihr, dass ich zurückkomme, wenn sie mich noch will.
Solltet ihr jemals etwas brauchen, für Mia oder Paula oder sonst etwas, dann meldet euch.
Sag Leni noch dies: Ich liebe sie und ich werde auf sie warten.
Ich weiß, mein Verschwinden ist feig. Bitte vergib mir.
Niall


Niall

Ich spürte, wie das Flugzeug unter mir über die Startbahn rollte, wie es Schwung aufnahm und schließlich abhob.

Erst, als die Pilotin verkündete, wir hätten unsere Reisehöhe erreicht öffnete ich meine Augen.

Vor dem Fenster konnte ich den Sonnenaufgang beobachten.

Ich war davongeschlichen.

Ein feiger Abgang.

Nachdem Karla eingeschlafen war hatte ich sie in ihr Bett getragen. Ich hatte meine Sachen zusammengesucht, die eine Babyphone-Hälfte neben Mia und die andere zu Karla gestellt. Ich hatte Karla einen Zettel an die Nachttischlampe geklebt, hatte mein ganzes Bargeld in einen Umschlag auf den Küchentisch gelegt (mit einem Zettle, der angab, dass es für Paulas Unterbringung war) und war verschwunden.

Ich fuhr mit einem Taxi zum Bahnhof, mit der Bahn nach Dublin und dort stieg ich in ein Flugzeug.

Ich fliege zurück zu den Jungs.

Es handelt sich um keine Kurzschlussreaktion, das Ganze ist gut durchdacht.

Mir ist genug über Psychologie im allgemeinen und die freudsche Psychoanalyse im besonderen bekannt, um zu wissen, wie meine Chancen stehen. Es kann Wochen, Monate dauern, bis Leni sich an mich erinnert und es kann noch länger dauern, bis sie mich wieder um sich haben will. Vielleicht passiert es auch nie.

Ich könnte warten, könnte versuchen, mit ihr zu reden, aber das würden sie mich nicht lassen und ich bezweifle, dass es schlau wäre, es trotzdem zu versuchen.

Außerdem hielte ich so einen Tag wie gestern nicht noch einmal aus. Nicht, wenn alles an sie erinnert und diese ganze verdammte Stadt erinnert mich an sie.

Ich gehe die Straßen entlang und ich denke daran, wie sie sie einst langgegangen ist. Ich sehe eine Mutter mit einem kleinen Kind und ich frage mich, ob sie sie wohl kennt.

Nein, ich musste weg. Aber ich liebe sie und ich werde auf sie warten.

Leni - etwa zwei Monate später

Es ist tiefe Nacht. Ich schreckte aus dem Schlaf und zitterte am ganzen Körper.

Ich hatte eine Albtraum.

Nein, keinen Albtraum. Es war die Realität. Eine Erinnerung

Mein Unterbewusstsein hatte die verschlossenen Erinnerungen freigelassen.

Sie hatten es mir erzählt. Immer und immer wieder.

Es noch einmal zu durchleben war schrecklich gewesen. Nichts konnte darauf vorbereiten.

Ich schrie.

Es hatte nicht lange gedauert, bis ich eine Beruhigungsspritze im Arm hatte und kurz darauf nicht mehr zurechnungsfähig war. Als ich am nächsten Morgen, nach einer langen Sitzung mit meinem Psychologen, wieder auf meinem Zimmer war, dachte ich nach.

Ich starrte die noch immer weißen, leeren Wände an und versuchte, alles hinzubekommen.

In meinem Kopf waren auf einmal Bilder von diesem Jungen. Sein Lachen und Gefühle, die ich für ihn empfand. Gefühle, wie ich sie nie zuvor empfunden hatte.

Gestern Nacht war da nichts gewesen, als diese Angst, der Schmerz, die Demütigung, die ich empfunden hatte, aber jetzt konnte ich mich auch an ihn erinnern und die schönen Tage, die wir zusammen verbrachten.

Karla hatte von ihm erzählt. Natürlich hatte sie das.

Sie kam, so oft sie konnte. Sie kümmerte sich um Mia und Paula und um mich.

Der Aufenthalt in der Psychiatrie hat mir sehr geholfen.

Zunächst einmal, mit den Dingen, die schon länger zurück liegen, die in Deutschland passiert sind, bevor ich floh. Mein Psychologe hatte gesagt, diese müssten wir zuerst aufarbeiten.

Jetzt wird er mir auch mit den neuen Erinnerungen helfen. Zumindest wird er mir helfen, mir selbst zu helfen. Das genügt.


Zweimal love-to-go, bitte?! (1D FF Niall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt