Kapitel 11

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Derek

Fassungslos starre ich auf den Monitor, welcher aufflackert und mir die Sicht durch die Augen des nächsten Opfers ermöglicht. All das ist nicht geplant gewesen... Wie hat sie es geschafft, ihre Fähigkeit eigenständig anzuwenden?

Für einen Moment überlege ich, einzugreifen und ihr Bewusstsein in ihren eigenen Körper zurückzuholen. Doch wenn ich das täte – würde ich niemals erfahren, was sie vorhat und was als Nächstes passieren wird. Meine Neugier siegt letztendlich über meine Vernunft.

Der junge Mann, der nun die trüben Augen aufschlägt, richtet sich kerzengerade in seinem Bett auf und sieht mit leerem Blick in den Spiegel, gefangen in Trance.

Man sagt, die Augen seien das Fenster zur Seele – der einzige Teil des Menschen, der sich niemals durch das Altern verändern wird. Und es ist, als würde ich direkt in die Seele des hilflosen Jungen blicken, die nun in diesem übernommenen Körper gefangen ist.

Während der Rest seines Gesichts keinerlei Emotionen aufweist und er regungslos auf seiner Bettkante sitzt, bemerke ich, wie ihm eine einzelne Träne an der Wange herab perlt.

Ich starre ungläubig auf meine Messgeräte, welche mir die Vitalwerte des Körpers angeben, in dem das Mädchen sich befindet. Viel zu viele Endorphine, denke ich mir irritiert und mache einige Aufzeichnungen darüber.

Dies ist ein sehr ungewöhnliches Testergebnis... Es ist fast, als würde der Junge sich nicht wie die vorherigen Opfer in einem einer Paralyse gleichenden Schockzustand voller Panik befinden, sondern aus unerklärlichen Gründen von Glücksgefühlen überwältigt sein.

Wie kann man sich darüber freuen, ferngesteuert zu werden?

Ich runzele die Stirn, als er aufsteht und eine Klinge aus einer Schublade holt. Hat sie wirklich vor, ihn zu töten?
Ist sie vollkommen durchgedreht?

Doch es sieht nicht danach aus.

Während ich weiterhin versuche, seine Identität herauszufinden, geht der Junge einen Schritt auf die Wand zu und setzt die Klinge an. Diese kratzt über das schneeweiße Material und das Geräusch bewirkt, dass sich alle meine Nackenhaare der Reihe nach aufstellen. Ein senkrechter Strich ziert nun die zuvor noch makellose Wand. Der Junge setzt erneut die Klinge an. Nach drei weiteren Strichen lässt er seinen Arm sinken.

Mir läuft ein kalter Schauer den Rücken herunter, als ich auf den fertigen Buchstaben blicke, der nun an dem kalten Stein prangt.

M.

Was hat all das zu bedeuten? Was für eine Art Botschaft oder Code soll das sein?

„Denk daran, was ich dir gesagt habe", flüstert der Junge mit kratziger, monotoner Stimme und nickt eine Sekunde später wie in Trance - als würde er ein Selbstgespräch führen. Ich runzele die Stirn. Hat sie etwa eine Möglichkeit gefunden, mit ihm zu kommunizieren? Zu dumm, dass die Technologie noch nicht so weit ist, auch die Gedanken einer Person zu ermitteln..., denke ich mir verbittert.

Zitternd spannen sich die Muskeln in seiner Hand an, als er seine Finger entschlossen um das Messer legt. Er hält sein linkes Handgelenk vor sich. Die Klinge schwebt nun wenige Millimeter über seiner gebräunten Haut - direkt dort, wo seine empfindliche Pulsschlagader liegt.

Er atmet tief ein und ich will gerade eingreifen, um zu verhindern, dass sie einen unschuldigen Zivilisten tötet – da schiebt er das Messer unter die Schnalle seines ledernen Armbands, an dem der Mikrochip liegt.

Überrascht keuche ich auf, als ich erkenne, zu was für einer Tat sie ihn bringt. Doch ehe ich handeln kann, ist es bereits zu spät. Nie hätte ich damit gerechnet, dass sie so weit geht...

Captured - Fehler des SystemsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt