4. Das Mitleidslamm

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Als ich bei der Bushaltestelle ankomme, wartet meine Schwester schon ungeduldig auf mich. Sie dreht sie um und kreischte ungehemmt drauf los.
"Hey beruhige dich mal ich bin's nur", versuche ich sie zu beruhigen, doch sie zeigt immer wieder hinter mich.
Als ich mich um drehe, muss ich erstmal nach Luft schnappen. Der Hirsch steht direkt hinter mir an einer normalen Landstraße und schaut sich wachsam, aber nicht unbedingt panisch um. Eher so, ja, als würde er mich beschützen. Da er ja meine Gedanken lesen, oder hören kann, versuche ich ihn zur Rede zu stellen.
"Was machst du hier. Du solltest doch im Wald sein."
Und er antwortet mir auch in Gedanken.
"Nein, ihr irrt euch. Mein Platz ist nun für immer an eurer Seite. Nichts wird mich je von euch trennen können."
Ich glaube es ja wohl nicht. Wollte er mir etwa auch in die Schule folgen?
Das war eigentlich rhetorisch gemeint. Er antwortet trotzdem.
"Wenn es euch schützen wird, werde ich euch auch in die -Schule- folgen."
Daran wie er >Schule< betont, erkenne ich das er keine Ahnung hatte, was das ist.
"Ähm, ne weißt du, du wärst mir eine echt große Hilfe wenn du hier am äh, Waldrand patrouillieren würdest und öhm, sorg dafür das niemand diesen Wald betritt oder verlässt. Ok?"
Dieser Wald gehört praktisch meiner Familie, da niemand, unter normal Fällen, in diesem Wald spazieren geht. Geschweige denn da wohnt.
"Ja Meisterin. Wenn ich euch so helfen kann, so werde ich dies auch tun."
Ich beobachte ihn wie er im Wald verschwindet, bevor ich mich zu Maddy umdrehe.
Die starrt mich einfach nur an. Echt gruselig.
Auch als wir im Bus sind und sie bei ihren Freundinnen sitzt, starrt sie mich immer noch an.
Als ich hinten bei meinen Freunden ankomme starren die mich auch nur an.
Komisch, denn normalerweise fragen sie mich immer nach meinen Hausaufgaben.
"Oh verdammt wir hatten gestern ja gar keine auf", fällt mir gerade ein. Ich setze mich auch den freien Platz neben Alice und gegenüber von George. Neben ihm sitzt Elizabeth. Wir sitzen -wie immer- in so einem Vierer.
Als ich gerade meinen Rucksack auf den Schoß nehme äußert sich George.
"Was hattet ihr nicht auf? Brauchen Sie Hilfe? Ist etwas passiert, Meisterin?"
"Wie?" Es dauert etwas bis ich merke das es nicht George war der gesprochen hat, sondern der Hirsch.
"Oh nein es ist nichts. Keine Sorge, schön weitermachen."
"Hey Ally, hast du gut gelernt? Ich mein für die Mathearbeit. Du lernst ja immer gut, aber ich habe nicht so gut gelernt.
Könntest du mir helfen?", fragte mich Elizabeth unvermittelt.
Oh nein, die Mathearbeit.
"Klar doch."
"Cool. Ok wie wäre es gleich vor dem Unterricht in der Café. Da ist im die Zeit nie was los."
"Ok klar."
Na toll ich habe zwar gelernt, aber eigentlich, bin ich so gut, dass ich alles auswendig kann. Deshalb ist es echt frustrierend wenn ich mal nicht PERFEKT vorbereitet bin.
"Ähm Ally, was war da eben eigentlich los? Wir haben noch diesen Hirsch gesehen. Und Maddy haben wir gehört. Und dann ihr Zombieblick. Brrrr." Elizabeth schüttelt sich. Schützend legt George einen Arm um sie, den sie jedoch auch abschüttelt.
"Da war nichts. Nur ein Hirsch ok? Macht euch da keinen Kopf drum", versuche ich sie zu beruhigen.
Der Rest der Busfahrt verläuft schweigend.
Gerade gehe ich mit Eliza -die sehr schweigsam ist- in die Café. Plötzlich renne ich in Nick und wäre hingefallen, hätte er mich nicht aufgefangen.
"Hey, ähm, danke."
Doch er lässt mich gar nicht los.
"Hilfe ich ersticke."
"Meisterin ich bin gleich da."
"Ähm, nein. So war das nicht gemeint. Bleib wo du bist. Mir geht es gut."
"Aber..."
"Nein, wirklich alles gut."
Nick jedoch lässt mich noch immer nicht los. Ich denke wenn das so weiter geht, ersticke ich wirklich.
Ein Blick zu Seite zeigt mir, dass Elizabeth ganz rot ist und zur Seite schaut.
"Ähm, hi Nick. Ich freu mich auch dich zu sehen, aber Eliza braucht Hilfe bei Mathe und die wollte ich ihr grad geben."
Aber er ignoriert mich völlig.
"Ally, es tut mir so leid wegen gestern. Ich wollte dich nicht so traurig machen. Ehrlich, dass war nicht so gemeint. Kannst du mir Verzeihen?"
'Er kann gar nicht wissen, dass ich mir die Augen aus dem Kopf geheult habe. Woher weiß er es also?'
"Weißt du, lass uns nachher darüber reden. Eliza braucht Hilfe und ich habe es ihr versprochen." Erst jetzt lässt er mich wieder los.
"Klar bis gleich in Mathe. Wenn du mich brauchst, ich bin nicht weit weg."
Dann schlendert er langsam davon. Bevor er aus meinem Blickfeld verschwindet, dreht er sich nochmal besorgt um. Als er sieht, dass ich nur -vermutlich- verdutzt dreinschaue, lächelt er und verschwindet endgültig. "Was war den das?", frage ich Eliza.
"Warst du heute schon auf insta?"
"Ne, wieso?"
"Na ja, also Maddy...", ungemütlich windet sie sich. "Sie hat ein Bild von dir eingestellt. Und auch was dazu geschrieben. Der Kommentar klang so als hättest du es gesagt. Sorry."
Beschämt schaut sie zu Boden.
"Hey ist doch nicht deine Schuld. Ich finde es gut, dass du es mir gesagt hast. Aber mit Maddy muss ich noch reden."
Dann fiel es mir, wie Schuppen vor die Augen.
Deshalb hatte Nick sich so komisch benommen, auch er hatte es gesehen.
"Was ist auf dem Foto zu sehen?", frage ich prompt.
Während wir zur Café gehen, erzählt sie mir alles was sie darüber weiß.
"Auf dem Foto sieht man dich wie du gerade aus deinem Zimmer gehst. Du hast total verweinte Augen und so. Und als Kommi hat sie geschrieben: O-Ton meiner kleiner Schwester: #heul
Er hat Schluss gemacht.
Ich: Wer?
Sie: Nick
#heul."
Nach einigem zögern, fügt sie hinzu: "Wart ihr wirklich zusammen?"
"Nein, natürlich nicht. Und das habe ich auch nie gesagt."
Was für eine miese Schwester ich doch habe.
"Ehrlich? Wow. Die werden sich jetzt alle die Mäuler darüber zerreißen. Eben als ich gesehen hatte wie er dich, äh, umarmt hat, da dachte ich, er will wieder mit dir zusammen sein." "Himmel, nein, ehrlich da ist nichts."
Wir hatten die Café gerade erreicht und setzen uns nach ganz hinten.
Während des Lernens verliert sie kein Wort mehr darüber.
Wir sind gerade fertig und sie packt ihre Sachen ein, da fing sie noch mal an.
"Was willst du jetzt tun? Ich mein wegen der Sache mit Nick."
"Ich weiß nicht. Das wird sich..." Der Rest geht im Gong unter.
"Was?"
"Ich sagte: das wird sich mit der Zeit legen. Komm schnell wir müssen zu Mathe. Bei einer Arbeit möchte ich nicht zu spät kommen."
Wir nehmen die Beine in die Hände und rennen was das Zeug hält.
Als wir bei der Klasse ankommen, sind alle schon da und warten auf Herr Moorhead. Ich setze mich dazu und hole mein Mathearbeitsheft heraus. Ich habe noch nicht mal Zeit mein Mäppchen herauszuholen, als Nick mich schon so überschwänglich umarmt. "Nick, lass gut sein. Das was Maddy gepostet hat, ist totaler Mist.
Und das du dich jetzt bei mir einschleimst ist genauso.
Totaler Mist."
Ich weiß nicht warum, aber ich bin richtig sauer auf ihn. Mal wieder ignoriert er mich, also befreie ich mich zornig aus seiner Umarmung und blicke ihn finster an.
"Hab ich zu feste gedrückt? Sorry, Ally, ehrlich das wollte ich nicht. Ist wieder alles gut zwischen uns? Bitte."
Als er mich so traurig anschaut, werde ich weich.
Dem Blick habe ich NICHTS gegen zu setzen. Also schlucke ich meinen Zorn wieder runter.
"Na gut."
"Cool.", er lächelt mich so süß an, das ich automatisch zurück lächle.
"Wie wär's mit Kino heute. Nur wir zwei. Allein. Sonst niemand."
"Warum wiederholt er das so oft?, überlege ich gerade und als ich merke was ich gerade getan habe, ist es schon zu spät.
"Ich weiß es nicht Meisterin."
"Äh, du warst nicht gemeint."
Und es wird wieder still in meinem Kopf.
"Klar. Sofort nach der Schule? Oder gehen wir noch kurz zu dir? Oder zu mir?"
"Nein gleich nach der Schule."
"Ok. Dann muss ich aber nachher noch meine Mum anrufen."
Ich weiß nicht was er noch machen wollte und ich werde es wohl nie erfahren, denn ihn diesem Moment, betritt Herr Moorhead das Klassenzimmer. Er begann damit die Arbeit auszuteilen.
Und genau da fängt das grauen an.

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