Das Leben ist zu verkorkst um es wirklich genießen zu können. Diesen Satz hatte ich einmal irgendwo gelesen und war seitdem davon überzeugt, dass das Leben nur aus existieren besteht. Es gibt keinen Plan. Keinen Sinn. Man macht Sachen, die man gar nicht machen will, und die einem am Ende sowieso nichts bringen. Jeder Tag ist gleich. Jeder Mensch ist doch auch irgendwie gleich. Und zur Abwechslung gibt es genug Probleme um damit eine gesamte Turnhalle zu füllen. Für jeden Menschen eine eigene. Nein, das Leben lohnt sich nicht. Was hat man am Ende davon? Genau, man stirbt. Und was bringt einem schon der Tod?
Ja, oft denke ich so über das Leben. Oft ist mein Leben auch so. Ich existiere einfach nur, mehr nicht. Aber manchmal, ja, da ist auf einmal alles anders. Da blühen die Kirschblüten plötzlich hellrosa, die Sonne wärmt das Herz und die Augen glänzen vor Tränen. Tränen der Freude. Dann genießt man das Leben aus vollen Zügen. Es sind Momente in denen man fliegt, Momente in denen alles anders ist. Momente, die voller Liebe stecken, die man nie wieder vergessen will.
Liebe. Die Liebe, die durch mein Blut strömt und meine Wangen erröten lässt. Die wie eine wilde Mischung aus Schmetterlingen und Kirschblüten durch meinen ganzen Körper flattert.
Liebe, wenn ich ihn sehe. Liebe, bis in die kleinsten Ecken und Enden meines Körpers.
Die Sonne schien auf die kleine Wiese, auf der wir gemeinsam saßen. Sie war auf einem Hügel, hinter uns war ein Wald. Vor uns lagen große Felder und noch mehr Wald und ganz in der Ferne, fast schon durchsichtig und vernebelt, schimmerten die Dächer der Stadt im Sonnenlicht. Die Pferde grasten ruhig und friedlich neben uns.
Wir redeten nicht. Ich wollte ihn nicht anschauen. Ich hatte zu sehr Angst davor, dass dieses zernagende Gefühl wieder kam und mich von innen heraus zerstörte. Schuldgefühle hatte ich, auch wenn er immer sagte, dass sie es nicht wert waren, mich zu plagen. Gott, ich liebte ihn. Das war mir so schnell klar geworden. Und nichts wird sich je wieder zwischen uns schieben.
Der einzige Haken an der Sache war, dass ich es ihm noch nicht gesagt hatte. Ich hatte ihm nichts über meine Gefühle erzählt und er schaute immer nur geradeaus, mit den Gedanken in einer anderen Welt. Ich wusste nicht, was er für mich empfindet. Er redete immerzu von Freundschaft, aber war da mehr? Oder war ich alleine mit meinen Gefühlen?
"Ich vermisse den Regen", flüsterte ich fast wie von selbst und ich hatte keine Ahnung, warum ich das gesagt hatte.
"Den Regen?", fragte Noah verwundert. "Aber der Regen ist so grau und trostlos."
"Nein. Eigentlich ist der Regen durchsichtig und die Wolken leuchten von oben, wie Watte. Bist du schonmal Flugzeug geflogen?"
"Ja, einmal. Da war ich noch sehr jung und hatte tierische Angst." Er lachte etwas.
"Ich noch nicht. Aber ich würde es gerne einmal tun", schwärmte ich.
Eine Zeit lang waren wir wieder still. Ich genoss die Sonne. Sie würde bald verschwinden, bis dahin musste ich jeden einzelnen Strahl auskosten.
"Grace?", fragte er plötzlich.
"Ja!", rief ich und sah ihn an. Die blauen Flecken verstümmelten mein Herz.
"Komm mal her", bat er mich und ich rutschte etwas näher an ihn ran und sah ihn abwartend an. Er griff nach meiner Hand und führte sie zu seinem Gesicht. Dann legte er sie vorsichtig auf seine Wange. "Wenn du es tust, tut es fast nicht mehr weh", flüsterte er und lächelte.
Mein Körper stand Kopf. Sein Lächeln, meine Haut, die bei der Berührung mit seiner anfing zu kribbeln und zu schwitzen. Die Schuldgefühle, dass ich an jedem einzelnen Zentimeter seines Körpers, der weh tat, schuld war.
"Hör mir zu. Du kannst da nichts für. Sie tun es immer, dich trifft keine Schuld. Spürst du das. Das waren nicht deine Fäuste, sondern ihre. Hör auf, dir den Kopf darüber zu zerbrechen. Wir können es nicht rückgängig machen, wir können nur nach vorne sehen und hoffen, dass die Zukunft besser wird", sagte er leise. Mein Herz schlug zu schnell. Ich hatte Angst, dass er es hörte. Und meine Wangen fingen an zu glühen. "Und vor mir sehe ich dich."
"Noah...", murmelte ich. Mein Kopf war leer. Mir fehlten Worte, die ich sagen konnte. Sie waren wie weg gefegt. Nur mein Herz schlug weiter und mein Atem ging wohl auch etwas zu schnell.
Er ließ meine Hand los, sie rutschte etwas runter, aber ich ließ sie an seiner Wange. Plötzlich spürte ich seine Hand auf meinem Bein und ich bekam eine Gänsehaut. Seine Augen schauten tief in meine und verzauberten mich, während er ganz langsam immer näher kam. Ich schloss meine Augen, unsere Lippen berührten sich.
Magie, Strom, Schmetterlinge. Alles explodierte in mir. Ich legte meinen Arm um seinen Hals und zog ihn an seinem Hinterkopf näher an mich ran. Eine seiner Hände griff meine freie Hand, die unglaublich schwitzte, aber das war mir egal. Sein anderer Arm umarmte mich und zog meinen Oberkörper näher an sich heran.
Wir küssten uns. Erst vorsichtig und schüchtern, dann intensiver und fordernder. Ich hatte nie so weiche Lippen gespürt. Er küsste wie ein Gott, anders konnte ich es nicht beschreiben. Ich war nervös und aufgeregt, aber gleichzeitig fühlte ich mich wohler denn je. Es war, als wäre da etwas in mir drin, das raus wollte. Das wollte, dass ich schrie und in die Luft sprang. Ich konnte aber nicht. Ich kam nicht von ihm los. Ich wollte aber auch nie wieder weg von ihm.
Ich drängte mich gegen ihn, ich wollte ihn spüren. Wollte spüren, ob sein Herz genau so verrückt und schnell schlug, wie meins. Aber er drückte gegen mich und war stärker, sodass ich nach hinten auf das noch ziemlich kurze und harte Gras fiel. Er fiel über mich und ich kicherte kurz in den Kuss hinein. Wie albern.
"Grace, ich kann nicht aufhören", murmelte er.
"Na dann tu es nicht", antwortete ich, schlang beide Arme um ihn und zog ihn an mich. Wenn er es nicht konnte, dann sollte er auch nie wieder aufhören.
Wir küssten uns heftig. Seine Lippen umschlossen meine und auf einmal war da seine Zunge. Hatte er schon einmal geküsst? Anders konnte ich mir nicht erklären, woher er das so gut konnte. Ich jedenfalls küsste zum ersten Mal einen Jungen. Ich wusste nicht, wie ich es machen sollte, aber irgendwie klappte es. Ich ließ ihn einfach machen und genoss es in jeder einzelnen Faser meines Körpers.
Und dann löste er sich von mir. Wir atmeten schwer, ich schnappte nach Luft. In den letzten paar Minuten hatte ich zu wenig bekommen. Oder waren es Stunden gewesen? Vielleicht sogar Tage? Oder am Ende nur ein paar Sekunden?
Er kniete über mir, meine Arme lagen immernoch um seinen Hals.
"Grace, vor mir sehe ich dich. Und in mir drin weiß ich, dass du die einzige Person bist, die ich will. In mir drin fährt alles Karussell und jede einzelne dieser Stimmen schreit, dass ich dich liebe", sagte er leise und etwas keuchend.
"Noah, ich...", ich wusste immernoch nicht, wie man redete. "Ich liebe dich", flüsterte ich mit viel Mühe.
Er grinste. Oh Gott, dieses Grinsen! Diese Lippen. Ich zog ihn wieder zu mir runter und küsste ihn erneut. Und diesmal blieb die Welt stehen. Diesmal war es, als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Dieses Mal konnte ich nicht mehr damit aufhören.
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Alles, nur nicht das, was ihr erwartet
Teen FictionEs sind diese Tage, die alle so hassen. Diese Tage, die jeder kennt. Diese Tage an denen man sich wünscht, man könnte für immer in seinem Bett liegen bleiben und sich vor der Welt verstecken. Vor dieser schrecklichen Welt. Es sind diese Tage, die Gr...