Kapitel 1

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Gedanken. Was ist das?

Sind es Sätze, die in kleinen Wölkchen über unseren Köpfen schweben und meistens nur das wiedergeben, was wir sagen wollen, aber nicht können?

Oder sind es unbeschreibliche Dinge, die unser Leben erzählen und das ausmachen, was wir sind? Sind sie unsere Persönlichkeit und unser Handeln? Sind sie das, was wir sind?

Ich verstand es selbst nicht. Meine Gedanken sind so verwirrend, dass ich schon wieder verwirrende Sachen denke. Ihr merkt schon worauf das hinaus läuft. Ein drehendes Karussell im Kopf und Dampf, der einem mit einem lauten Zischen aus den Ohren quillt. (So würde es auf jeden Fall aussehen, wenn auch die Gedanken in kleinen Wölkchen stehen würden... okay ich halt die Klappe.)

Wer ich überhaupt bin? Muss das sein? Na gut, wenn ich euch schon etwas über meinen komischen Kopf erzähle, dann solltet ihr wenigstens meinen Namen wissen.

Ich heiße Grace Sophie Beckett und nehm es meinen Eltern immernoch übel, dass sie mir diese Namen gegeben haben, weil jedes mal, wenn man versucht meinen vollständigen Namen auszusprechen, ein ziemlicher Buchstabensalat heraus kommt. Und am Ende hat man nur eine verknotete Zunge.

Ich wohne mit meinen Eltern und meinem großen Bruder in einem kleinen Kaff im Süden Englands, weit abgelegen von jeglicher Zivilisation. So beschrieb hin und wieder Paul James, mein Bruder mit der gleichen unmöglichen Kombination von Namen, unseren Wohnort.

Ich bin sechzehn Jahre alt und befinde mich derweil in einer kritischen Phase meines Lebens. Es ist diese poetisch emotionsvolle Phase, in der man ständig deepe Sätze raushaut und es von einem dunklen Loch ins nächste geht. Manchmal kann man vor Lachen nicht mehr auf dem Stuhl sitzen bleiben, doch häufig will man sich bewaffnet mit einer Tafel Schokolade und Casper in eine Ecke verkriechen und sich selbst und sein Leben bemitleiden.

Es ist nicht so, dass ich depressiv bin oder ständig traurig. Nein, eigentlich bin ich ziemlich normal und doch durchgeknallt. Normal eben...

Ich finde nur, dass die Songs von Casper so eine wundervolle, traurige Stimmung machen, in der man sich einfach unglaublich wohl fühlt.

Genug über mich.

Ich stand unter dem kleinen Unterschlupf der Bushaltestelle und starrte gegen die Regenwand, die vor meinem Gesicht hing. Nach der Schule war ich zu einer Freundin gegenagen, um mit ihr ein Referat vorzubereiten. Gegen fünf Uhr hatte ich mich dann auf den Weg zur Bushaltestelle gemacht. Ich war fast da, als es angefangen hatte, wie aus Eimern, zu regnen. Natürlich hatte ich keinen Schirm dabei gehabt und so hatte ich mich durch unzählige, schwere Tropfen kämpfen müssen und war nun so nass, dass ich zitterte.

So spektakulär, wie es sich anhörte, war es gar nicht. Ich neige dazu, hin und wieder zu übertreiben. Eigentlich war es einfach nur total kalt, jetzt, so kurz nach Silvester.

Ja Silvester war eine tolle Nacht gewesen. Es hatte ein atemberaubendes Feuerwerk gegeben und fröhliche Gesichter überall. Ich hatte mit meinen Freundinnen gefeiert. Mittlerweile hatten wir wieder seid einer Woche Schule und das, was wir uns unter genug Alkohol, um diese Fantasie zu haben, dass es wirklich so sein könnte, wie wir es uns sagten, geschworen hatten, war schon längst wie ein trockenes Blatt im Herbstwind verflogen.

Das hier wird unser Jahr! Wir werden nur wir sein und Spaß haben und Melina wird endlich ihren Jeremy bekommen. Das hatten wir uns geschworen, während wir glücklich unsere Hände übereinander gelegt hatten.

Seitdem wieder Schule war, war ich grundlos niedergeschlagen. Die Schule war immernoch die selbe und auch alle anderen waren so wie immer. Ich hatte nicht einmal versucht nur ich selbst zu sein, sondern wieder diese Maske aus Gleichgüligkeit und durchschnittlicher Zufriedenheit aufgesetzt, damit niemand fragte, was denn los sein, wenn er meinen traurigen Blick sehen würde.

Der Bus war endlich da und ich stieg ein. Er war relativ voll, ich wollte unbedingt sitzen, also gesellte ich mich zu einer älteren Dame, die nicht so aussah, als würde sie mir belästigende Sprüche an den Kopf werfen, wie die drei Jungs im Vierer.

Weit gefehlt. Die Dame machte mich zwar nicht mit doofen Sprüchen an, stattdessen stellte sie sich mit dem Namen Elisabeth vor. Kurz darauf erfuhr ich, wie sie ihre letzten Tage mir ihrem Mann (den Namen hatte ich leider vergessen, es war irgendwas Komisches, Unaussprechliches gewesen) in einem gemütlichen Landhaus verbrachte, morgen aber mit ihm nach Bexhill fahren musste, weil irgendein Willybert Geburtstag hatte. Gerade hatte sie noch ein Geschenk in der Stadt und gleichzeitig Zwiebeln für das Abendessen gekauft.

Ich war dem Schicksal dankbar, als sie endlich ausstieg, weil sie nun umsteigen müsse. Einige neue Leute stiegen ein, unter ihnen ein Typ in meinen Alter, der sich nach einem Sitzplatz umsah. Ich rutschte durch auf den Platz von Elisabeth und bot ihm den frei gewordenen Platz an.

Gedankenverloren starrte ich aus dem Fenster und hoffte, dass er nicht so gesprächsfreudig war. Da lag ich leider weit daneben.

Alles, nur nicht das, was ihr erwartetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt