Kapitel 4

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Niedergeschlagen liege ich mit einem blauen Auge auf meinem Bett. Den Kopf habe ich in meinem Kissen vergraben. Mein Vater hat sein Versprechen mit den Konsequenzen eingehalten. Dieses mal bin ich noch wortwörtlich mit einem blauen Auge davon gekommen. Was das nächste mal passiert, möchte ich gar nicht erst wissen.

Das Klingeln meines Handys reisst mich aus meinen Gedanken. Da sollte ich höchstwahrscheinlich rangehen, aber ich habe keine Lust dazu. Nach einer weile nervt mich das Klingeln so sehr, dass ich doch nach meinen Handy greife. In dem Moment, in dem ich den Anruf entgegen nehmen will, legt der Anrufer auf. Doch ein kurzer Blick auf das Smartphone offenbart mir wer angerufen hat.

Minoh.

Vierzig Nachrichten in Whatsapp, zehn SMS und drei entgangene Anrufe, teilt mir mein Smartphone mit. Anscheinend bin ich beliebter als ich dachte.

Mein Handy beginnt wieder zu klingeln. Ohne gross nachzudenken nehme ich den Anruf entgegen. „Hallo?", melde ich mich. „Hey Nicky ich bin's, Minoh...sag mal hast du geweint?", ertönt aus dem Hörer. Ich zucke zusammen. Wie merkt er sowas? „N...n-nein", antworte ich schluchzend. Wow Nicky sehr überzeugend. „Lüg mich nicht an Nicky. Bist du Zuhause? Dann komme ich vorbei. Bleib wo du bist." Ich brauche einen Moment um zu realisieren was er gerade gesagt hat. Das geht nicht wegen meinem Vater!

„W-was nein ich komme zu dir", werfe ich schnell ein. „Weisst du was? Ich hole dich einfach mit dem Auto ab, ok?", beschliesst er. „Ok", antworte ich und lege auf. Ich vergrabe meinen Kopf noch tiefer im Kissen. Wieso kann das alles nicht einfach vorbei sein? Eine Weile liege ich einfach da. Aber mit der Zeit wird mir das doch zu blöd. Ich stehe auf. Wenn Minoh mich schon abholt, dann sollte ich wahrscheinlich bereit sein wenn er hier ist. Ich ziehe mir ein T-Shirt und eine Jacke an, stecke mein Handy in die Jackentasche und setze mich wieder aufs Bett. Intuitiv klaube ich ein schwarzes Büchlein unter meinem Bett hervor. Ich blättere hindurch. Auf jeder Seite ist oben links das Datum zu sehen. Der erste Eintrag ist von vor vier Jahren. Meine Schrift damals? Grausam. Meine Schrift heute? Leserlich. Nur eines haben beide Handschriften gemeinsam: Die Buchstaben sind verschmiert, was wohl davon herrührt, dass ich Linkshänder bin.

Es klingelt an der Haustüre. Ich stopfe das Büchlein in meine hintere Hosentasche. Schnell springe ich auf und verlasse mein Zimmer, renne die Treppe hinunter, schlittere um die Ecke und stosse mit meinem Vater zusammen. Ich falle um. Von dieser Position aus, wirkt mein Vater noch bedrohlicher als sonst. Ich beginne zu zittern. Mein Vater sieht mich verachtend an und meint: „Du erinnerst mich an deine Mutter. Was bin ich froh nicht mehr mit ihr verheiratet zu sein." Dann geht er an mir vorbei. Dieser Satz ist wie ein Schlag in mein Gesicht. Meine Mutter...

Ich sehe ihr Gesicht vor mir. Ihre blauen Augen, ihre schwarzen Haare, ihr lächeln, als sie mir das Lesen beibrachte. Tränen steigen mir in die Augen. Erneut klingelt es an der Haustüre. Dieses Geräusch reisst mich aus meiner Starre. Ich stehe auf und sprinte zur Tür. Mit der linken Hand reisse ich sie auf, während ich mit der rechten Hand meine Schuhe einsammle, die ordentlich nebeneinander stehen. Ein besorgt dreinblickender Minoh, erwartet mich. „Was ist passiert?", fragt er, als er mein Gesicht sieht. „Nicht hier", antworte ich, schlüpfe in meine Schuhe und stopfe die Schnürsenkel hinein. Das Schuhe binden wird überbewertet. Ich trete aus dem Haus. Minoh schliesst die Tür hinter mir.

Sofort fällt eine grosse Last von mir ab. Ich fühle mich befreit. Er zieht mich an der Hand mit zum Auto. Ich öffne die Tür und lasse mich auf den Beifahrersitz fallen. Einen Moment später sitzt Minoh am Steuer und fährt los. „Wer war das?!", knurrt er. „Was?", frage ich, aber in diesem Moment wird mir klar was er meint. Ich klappe die Sonnenblende herunter, an der praktischerweise ein Spiegel befestigt ist. Dann inspiziere ich mein Gesicht. Die Haut um das rechte Auge zeigt einen Farbverlauf von rot bis blau. Ich berühre mit meiner linken Hand die Stelle. Sofort flammt ein stechender Schmerz auf.

Ich zucke zusammen. Notiz an mich: Wenn verletzt dann nicht berühren, sonst aua. „Ich bin gegen eine Laterne gelaufen", beantworte ich Minohs Frage. Er wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu und meint: „Das glaubst du doch selber nicht!" Das hätte mir eigentlich klar sein sollen. „Es tut mir leid, aber ich kann's dir nicht sagen", flüstere ich.

Nur weil du es bist (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt