Wochen früher.
Dunkelheit. Ich starre das Wort an, dass mit ordentlicher Handschrift auf meinem Block geschrieben steht. Ein sehr abstraktes Thema, wenn man ein Gedicht schreiben will. Ich überlege, welche Worte beschreiben die Dunkelheit? Während ich nachdenke, klopfe ich mit meinem Bleistift auf dem Tisch herum. Das klackernde Geräusch geht im Lärm der Klasse unter. Genervt lasse ich den Schreiber los und fahre mir mit der rechten Hand durch die Haare.
Ein paar meiner Mitschüler haben es sich zur Aufgabe gemacht, Papierflieger zu falten und diese durch den Raum zu werfen. Das nicht alle gleichermassen mit Intelligenz gesegnet sind, beweist der Umstand das sich unter den fünf Fliegern ein Boot befindet. Kindsköpfe. Das Frau Spielmann, die sonst immer so streng ist nichts dazu sagt, wundere ich mich. Ein Blick nach vorne und schon weiss ich warum. Sie befindet sich gar nicht im Klassenzimmer. Wahrscheinlich ist sie wieder bei Herr Schneider und flirtet mit ihm. Lehrer eben. Ein Papierflieger trifft mich am Kopf und reisst mich aus meinen Gedanken. Habe ich schon erwähnt, dass ich die Schule hasse? Ich halte nach dem Besitzer des gefalteten Papiers Ausschau. Dieser ist schnell gefunden. Leo. Er ist der einzige der mich anschaut und dabei hämisch grinst. Das Lachen wird dir schon noch vergehen. Ich entfalte den Papierflieger, stopfe meinen Spitzer hinein, knülle das ganze zusammen und werfe. Das überraschte auf quieken zeigt mir das ich getroffen habe.
Die Türe öffnet sich. Innerhalb einer zehntel Sekunde ist alles mucksmäuschenstill. Das sogenannte: „Die Lehrerin betritt die Klasse Phänomen." „Also, heute beginnen wir ein neues Projekt", sagt Frau Spielmann fröhlich. „Das Ziel ist, dass ihr euch untereinander besser kennenlernt. Darum werdet ihr immer zu zweit einen Vortrag über den jeweils anderen halten. Ihr könnt auch einfach ein Video über den anderen drehen oder eine Diashow machen, das ist mir egal. Hauptsache ihr verbringt Zeit mit dem anderen und lernt ihn oder sie besser kennen."
Ein genervtes aufseufzen ist zu hören. Ich vergrabe meinen Kopf in den Händen. Wie ich solche Arbeiten hasse, die sind doch nur dazu da um uns noch mehr zu quälen.
„Damit nicht diejenigen zusammenarbeiten, die sich sonst schon gut kennen, losen wir das ganze aus."
Noch schlimmer!
Frau Spielmann beginnt die Gruppen aufzuzählen. Bei jedem Namen der fällt, bin ich froh, dass es nicht meiner war.
„Nikolaj und Minoh."
Ich zucke zusammen. Nein, nicht der Typ. Mit diesem Gedanken hebe ich meinen Blick und schaue direkt in die braun Augen Minohs. War doch wieder mal klar! Alle haben eine gute Gruppe, nur ich nicht. Wieder einmal typisch! Es ist nicht so, dass ich ihn nicht mag, er ist einfach nett, beliebt, sieht gut aus und ist intelligent. Ich hasse diese Art von Menschen. „So und jetzt fangt an", sagt sie und klatscht in die Hände. Alle wechseln die Plätze um zu ihrem Partner zu kommen, nur ich nicht. Ich vergrabe meinen Kopf wieder in meinen Händen. Ich höre wie sich jemand neben mir niederlässt. „Ich weiss, du willst das genauso wenig wie ich es will...aber wir müssen jetzt da durch", seufzt jemand neben mir. „Also ich nehme mal an du willst keine Diashow machen oder?" Ich reagiere nicht. „Ich nehme das mal als ja."
Jetzt habe ich doch genug von dieser Haltung und hebe meinen Kopf. Minoh sieht mich prüfend an. Seine Schulterlangen brauen Haare sind in dem selben Braunton wie seine Augen. Er trägt ein graues T-Shirt. Schliesslich sage ich: „Lass uns doch ein Video drehen." Zweifelnd schaut er mich an: „Hast du denn eine Kamera?" „Klar doch", antworte ich. Für was hält dieser Junge mich? „Und was willst du filmen?", fragt er und lehnt sich auf seinem Stuhl nach hinten. Ich überlege. Was könnte wir filmen? Plötzlich habe ich einen Geistesblitz. Kälte beschreibt die Dunkelheit passend! Das kommt jetzt aber etwas zu spät, denke ich mir und kratze mich am Kopf. „Wir könnten ein kleines Interview machen, so à la Wo ist dein Lieblingsort und warum? und dann filmen wir das ganze", schlägt er vor. Die Idee klingt gar nicht mal so schlecht, denke ich anerkennend. „Ja so machen wir's", beschliesse ich.
Gelangweilt sinke ich tiefer in den Sitz des Oldtimers. Die Sonne sinkt langsam unter den Horizont und färbt den Himmel rötlich. Ein Farbton, der mit dem vorherigen Blau eine interessante Kombination ergibt. Wie lange braucht Minoh den noch?
Ich denke an den heutigen Schultag zurück. Kurz vor Ende der Stunde, habe ich Minoh meine Nummer gegeben, damit wir uns treffen können. Keine so gute Idee wenn man bedenkt, dass ich jetzt deswegen seit zehn Minuten vor seinem Haus warte. Wut steigt in mir hoch. Kann der Typ nicht mal schneller machen?!
Die Autotür öffnet sich und jemand lässt sich neben mir auf den Beifahrersitz fallen. Ich zucke zusammen. „Sorry ich wollte dich nicht solange warten lassen", meint dieser Jemand schuldbewusst. „Schon...schon gut Minoh", murmle ich und starte den Wagen. „Hast du gerade zweimal das Gleiche gesagt?", frag mein Beifahrer interessiert. Oh Mist, denke ich. Ich hasse es wenn mir sowas passiert. Es ist einfach nur ein blöder Tick. Immer wenn ich nervös oder wütend bin, sage ich manche Dinge zweimal. „Da hast du dich bestimmt verhört", versuche ich mich aus der Situation zu retten. Minoh zuckt mit den Schultern und schaut aus dem Fenster. Jetzt erst fahre ich los.
„Hast du ein paar Fragen vorbereitet?", fragt Minoh, als wir in eine Landstrasse einbiegen. „Wann denn?", antworte ich, „nach der Schule hatte ich besseres zu tun als mir irgendwelche Fragen auszudenken". „Ein Glück, dass ich nicht auch so fleissig bin wie du", murrt der Andere. Wir kommen bei einem kleinen Waldstück an. Ich parkiere den Wagen, ziehe den Zündschlüssel und drehe mich zu Minoh. „Also schiess los!", meine ich und zücke die Kamera. Da die Sonne noch nicht ganz untergegangen ist, haben wir noch das letzte Licht des Tages. Glück gehabt, denn ohne Licht wäre es schwer gewesen, das alles zu filmen. „Die erste Frage: Hast..., warte gib mir mal die Kamera, dann kann ich dich filmen und du anschliessend mich ok?", meint er. Ich drücke ihm das gewünschte Objekt in die Hand. „So: Hast du eine Lieblingsfarbe?" „Ich seh schon, da hast du dir aber sehr viel Mühe gegeben", spotte ich ohne auf seine eigentliche Frage einzugehen. „Könntest du bitte einfach die Frage beantworten, die besseren kommen später", entschuldigt er sich. Abwesend nicke ich. „Ich habe keine Lieblingsfarbe. Es ist ungerecht den Farben gegenüber, eine oder zwei zu bevorzugen. Sie können selbst nichts dafür, dass sie so aussehen wie sie es tun", ende ich. Erstaunt sieht Minoh mich an. Mit dieser Antwort hätte er wohl nicht gerechnet. Ich nehme ihm die Kamera ab und richte sie auf ihn. „Deine Lieblingsfarbe, los!", grinse ich. Vollkommen mit der Situation überfordert, starrt er mich an. Nach ein paar Sekunden fängt er sich. „Meine Lieblingsfarbe ist genau genommen gar keine Farbe. Es ist schwarz uns schwarz ist ja bekanntlich die Abwesenheit von Licht", bringt er heraus und krallt sich sofort die Kamera. Diese Aktion bringt mich zum lächeln. Ich habe wohl seine Schwachstelle gefunden.
„Nächste Frage: dein Lieblingslied?"
Ich überlege kurz. „Schwierige Frage...es gibt mehrere Lieder, die ich immer wieder gern höre. Da wären zum Beispiel Where did you sleep last night von Nirvana, aber ich höre auch gerne immer wieder mal Lieder von Queen. Es gibt für mich nicht das Lieblingslied. Es ist einfach eine wechselhafte Zusammenstellung von Liedern", spreche ich meine Gedanken aus. Während Minoh das was ich gesagt habe verarbeitet, klaue ich ihm wieder die Kamera. „Damit wir beide nicht immer die selben Fragen beantworten, stelle ich dir ab jetzt andere. „Würdest du dir lieber ein Tattoo stechen lassen, oder die Haare lila färben?", stelle ich meine Frage. „Was!? Wie kommst du auf so eine Frage? Egal, ich würde mir eindeutig die Haare lila färben. Die Farbe geht irgendwann raus, aber ein Tattoo behältst du für die Ewigkeit", stellt er klar. „Das ist ja der Sinn der Sache", erwidere ich lächelnd. Er nimmt mir die Kamera ab. „Würdest du dir denn ein Tattoo stechen lassen?" Ich überlege. Würde ich das? „Wenn es ein Motiv gibt, dass mir richtig gut gefällt, dann ja. Aber das war bis jetzt noch nicht der Fall." Ich nehme die Kamera und schalte sie aus. „Ich glaube für heute haben wir genug Videomaterial, ausserdem ist es sowieso schon zu dunkel um noch irgendwelche brauchbaren Aufnahmen zu machen." Minoh nickt und schaut wieder nach draussen. „Ich gebe zu es macht doch mehr spass als ich dachte", sagt Minoh und ich schwöre, dass ich aus diesem Satz ein Lächeln rausgehört habe. Er ist doch anders, als ich dachte. Ich hielt ihn immer für einen Menschen, keine eigene Meinung hat. Doch heute hat er mich eines besseren belehrt.
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Nur weil du es bist (boyxboy)
RomanceNicky und Minoh, zwei Jungs die durch ein Schulprojekt gezwungen sind Zeit miteinander zu verbringen. Anfangs noch sehr widerwillig, doch dann...