Kapitel 3

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Es ist ein heisser Nachmittag. Die Sonne brennt auf uns herab. Mein T-Shirt klebt unangenehm an meinem Rücken. Minoh sitzt neben mir und richtet die Kamera auf mich. „Sagen wir, du hättest drei Wünsche frei. Was würdest du dir wünschen?" Ich überlege. Gibt es etwas das so wichtig ist, um dafür einen Wunsch zu verschwenden? „Als erstes würde ich mir wünschen, dass du dir bessere Fragen ausdenkst. Mein zweiter Wunsch wäre ein Eis und der dritte Wunsch...eine Sonnenbrille." Hätte ich diese Frage wirklich ernst beantwortet, dann wäre etwas ganz anderes dabei rausgekommen. Zweifelnd schaut Minoh mich an. „Was denn? Ich bleibe lieber mal realistisch", lache ich und greife nach der Kamera. Wiederwillig lässt er diese los. „Es gibt ein Heilmittel, mit dem jede Krankheit geheilt werden könnte. Doch dafür müsste ein Mensch geopfert werden. Würdest du jemanden Opfern um damit Millionen von Menschen retten zu können?", frage ich ihn. Mich interessiert seine Antwort. Ich lehne mich etwas näher zu ihm. „Auch wenn ich damit eine Milliarde Menschen retten könnte würde ich es nicht tun. Klar du kannst mir jetzt sagen, dass das egoistisch ist. Aber stell dir vor, du müsstest dafür deine Eltern, deinen besten Freund oder jemand anderen den du liebst opfern? Für sehr viele Menschen wird dieser jemand nicht von belang sein, aber einem einzigen Menschen bedeutet dieser Jemand alles. Ich könnte nie einen Menschen opfern, egal für welchen Zweck". Ich bin von seiner Antwort beeindruckt. Ich hätte nie gedacht, das er so eine Rede schwingen könnte. Ich lächle ihn an.

Ein schrilles Piepsen ertönt. Ich schlage meine Augen auf. Im ersten Moment kommen mir die weissen Wände, der helle Holzboden und die blaue Bettdecke unbekannt vor. Doch dann erkenne ich mein Zimmer wieder. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern wie ich nach dem Gespräch mit Minoh hier gelandet bin. „Auch egal", seufze ich und rolle mich vom Bett. Einen dumpfen Knall später heisst es: Gesicht meets Boden. Ich spüre diese Schmerzen schon gar nicht mehr, da ich diesen Prozess schon so gewohnt bin. Hellwach stehe ich auf, greife wahllos irgendwelche Kleider, die sowieso immer zusammenpassen werden, da ich nur schwarze Kleider besitze und gehe ins Bad. Nach der üblichen Morgenroutine, sammle ich mein Schulzeug ein und sprinte nach unten. In der Küche bleibe ich wie angewurzelt stehen. Mein Vater sitzt über eine Zeitung gebeugt am Küchentisch. Mein Herz rast. So leise wie möglich, versuche ich mich an ihm vorbei zu schleichen. An der Küchentheke angekommen, nehme ich mir einen Apfel aus der Obstschale und trete den Rücktritt an. Eine Last fällt von mir ab, als ich den Raum verlasse. Mein Vater hat mich nicht bemerkt. „Was schleichst du dich so herum? Und du musst ja nicht denken, dass ich nicht gemerkt hätte, dass du vor ein paar Tagen in der Nacht abgehauen bist. Das wird Konsequenzen haben!", ruft mein Vater. Völlig verängstigt verlasse ich das Haus. Wie hat er das gemerkt? Ich war doch leise, ich...ich. Ein Schluchzer entfährt mir. Sofort presse ich mir meine Hand vor den Mund. Wie schwach bist du denn?!

Das erste mal seit einem Jahr, entscheide ich mich gegen den Bus, und gehe zu Fuss. Ist doch nur eine halbe Stunde Weg, versuche ich mich zu motivieren. Doch der Versuch alleine ist armselig. Den Apfel habe ich unterwegs fallen gelassen. Mir ist der Appetit vergangen. Ich denke nach, denke über meine Vergangenheit nach, über die Aussage meines Vaters und Minohs Verhalten gegenüber mir.

Vor mir taucht das triste Schulgebäude auf. Mit jedem Schritt den ich in Richtung Schule mache, steigt mein Unwohlsein. Ich hasse diesen Ort. Lehrer, die dich egal was du machst, auf dem Kieker haben, Schüler, die sich für ach so beliebt halten. Ich befinde mich jetzt auf dem Pausenhof. Mädchen und Jungs stehen in grossen und kleinen Grüppchen verteilt herum. Niemand ist alleine. Alle haben jemanden, nur ich nicht. Ich versuche die Blicke der anderen zu ignorieren. Dann betrete ich das Schulhaus. Ein unerträglicher Lärm schlägt mir entgegen. Doch das bin ich gewohnt. Während ich zu meinem Spind laufe, halte ich nach Minoh Ausschau. Ich will ihn fragen, wie er nachhause gekommen ist, oder besser: Wie bin ich nachhause gekommen? Nachdem ich mich an einer Gruppe Mädchen vorbeigequetscht habe, stehe ich vor meinem Spind. Ich gebe meine Zahlenkombination, die rein gar nichts mit meinem Geburtsdatum zu tun hat, ein und öffne ihn. Der Inhalt meines Spindes ist alles andere, als interessant: ein paar Bücher, eine Kassette und eine CD. Aus all dem Lärm, dringt eine Stimme hervor, Minohs Stimme. Schnell drehe ich mich um, nur um zusehen, wie er sich mit ein paar seiner Freunden nähert. Soll ich zu ihm gehen? Nein ich stör ihn lieber nicht, wenn er mit seinen Freunden redet. Minohs Blick gleitet über mich hinweg. Er sieht mich nicht. Dann geht er weiter. Traurig sehe ich ihm nach. Wäre auch zu schön gewesen, wenn er zu mir gekommen wäre, mich begrüsst hätte. Doch ich bin und bleibe unsichtbar für jeden. Anscheinend auch für ihn.

Nur weil du es bist (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt