Kapitel 17: Rote Farbe

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"Ich wollte nur mal kurz vorbeischauen."
Chen lächelt mich freundlich an. "Ach ja?" Ich glaube meinen älteren Bruder nicht die Worte, welche er spricht.
"Ja." - "Arbeitest du nicht eigentlich um diese Zeit?"
"Ja, aber heute habe ich mir mal frei genommen", antwortet der Ältere und schlendert den Flur entlang. Da sieht man mal wieder, wie lieb wir uns alle haben.
Chen und ich haben uns wochenlang nicht gesehen und er tut so, als ob er täglich hier wäre. "Ich gehe mal kurz zu ihr", wendet er sich schließlich vor der geschlossenen Wohnzimmertür zu mir und wir müssem nicht einmal ihren Namen erwähnen, um zu wissen worum es geht. Sofort verschränke ich meine Arme. "Was willst du denn von ihr?"
"Ach, nichts besonderes." Alles klar. Das ist auch der Grund, warum er herkommt und nicht anruft. "Warum kommst du eigentlich immer nur her, um irgendeinen Nutzen auszuüben? Kannst du nicht auch einfach mal herkommen, fragen wie es uns geht, wie es mir geht und mal einen schönen Tag mit deiner Familie verbringen?"
Chen blickt mich mit seinen braunen Augen an, die sind wie die meine. Wortlos dreht er sich von mir weg und verschwindet im Wohnzimmer.
Das soll wohl Nein bedeuten und führt bloß zum nächsten meiner innerlichen Gefühlsausbrüche. Dieses mal ist es nicht nur Wut, sondern auch Trauer und mir ist Weinen zumute. Alle anderen Geschwister würden sich in den Arm nehmen und erst einmal darüber reden, was sie alles in den vielen Wochen gemacht haben, aber bei uns gibt es so etwas natürlich nicht. Warum auch, huh?

Frustriert gehe ich zurück in mein Zimmer und ziehe die Hasrbürste von ihrem Platz. Ist mir doch egal, was alle sagen. Rye nervt eh nur und Chen kann ja Maurice zu sich nehmen, wenn irgendetwas ist! Ich sehe nicht ein, warum ich auf irgendetwas hier verzichten sollte. Einmal kann ja wohl nicht schaden. Meine Mutter raucht auch den ganzen Tag und der geht es bis auf die kaputten Zähne und ihrer Fettleibigkeit prächtig. Droge ist Droge und soweit ich weiß, kifft Danny ohnehin schon.

So kommt es, dass ich das Päckchen nehme und mir ohne weiter nachzudenken neben dem schlafenden Kleinkind das gebe, was ich einfach gebraucht habe. Ich rüpfe die kribbelnde Nase, während ich den kleinen Rest zurückpacke und mich in mein Bett lege, um mein Gesicht im Kissen zu vergraben. Gleich wird alles wieder gut sein und die Welt wieder schön, wenn auch nur für ein paar Stunden.
Gerade, als ich mich auf alles Beste der Erde einstelle, rieche und schmecke ich das Blut, welches mir langsam aus der Nase läuft. Ohne viel dabei zu fühlen setze ich mich auf und blicke auf meine Hand, nachdem ich kurz auf die feuchte Stelle getippt habe.
Rote Farbe.

Mit unglaublich langsamen Bewegungen, welche mir selbst gar nicht so verzögert vorkommen, erhebe ich mich und trotte mir die Nase zuhaltend in das Badezimmer, um mir die mittlerweile blutverschmierte Hand zu waschen. Ich fühle keinen Schmerz, ich weiß nicht warum das plötzlich so ist. Ich bin auch gerade kaum in der Lage, gerade über irgendetwas nachzudenken und nehme mir einfach ein nasses Handtuch, um es in mein Gesicht zu drücken, während ich mich neben die Toilette auf den Boden setze und die Knie heranziehe. Ich schließe meine Augen und noch immer ist die Welt einfach wundervoll. Mir geht es einfach gut, egal was gerade passiert. Mir ist sogar lächeln und lachen zumute. Über mein Nasenbluten oder das vergraute Weiß des Klos mit gelblich-braunen Abschwächen am unteren Rand. Hehe, hier könnte mal wieder jemand sauber machen! Grinsend ziehe ich mich an einem kleinen Badeschrank hinauf und lege das einst hellblaue, nun in roter Farbe getränkte Handtuch auf den Rand des Beckens, um mich darüber zu beugen. Einige dunkelrote Tropfen treffen auf den weißen Untergrund und vermischen sich mit dem durchsichtigen Wasser.

Was passiert hier eigentlich gerade?
Irgendwie kann ich mir diese Frage nicht wirklich beantworten, doch mein Interesse dafür ist auch sehr begrenzt. Habe ich jetzt etwas genommen oder nicht? Ich weiß es gar nicht genau. Vielleicht sollte ich mal im Wohnzimmer nachsehen, ob Chen tatsächlich da ist oder ob ich mir das nur eingebildet habe, aber nein, um nichts in der Welt würde ich freiwillig in das Gesicht meiner Mutter sehen.
Irgendwie ist mir schlecht.
Trotzdem muss ich lächeln.

Mein Blick fällt auf eine runde Uhr an der Badezimmerwand und ich kann nicht entscheiden, welche Zeit es gerade ist. Ich sehe nur, dass die Zeiger Sekunden später einfach um einige Stellen verschoben sind, hehe.
Mit schwachen Beinen setze ich mich auf die herunter gelassene Klobrille und ziehe oft das übrige Blut die Nase hoch, um es zu schlucken. Ich könnte ja ein Vampir werden und damit mein Geld verdienen.

Zusammenzuckend öffne ich die Augen, als ich neben der Toilette liegend aufwache und der Boden mit Blut verschmiert ist. Schwerfällig ziehe ich mich am Waschbecken hoch, wo ebenfalls alles rot und blutig ist. Ich erschrecke mit dem Blick in den Spiegel und auf die Uhr. Mir ist schwindelig und übel, das kenne ich sonst doch gar nicht ... Habe ich zu viel genommen?
Es ist schon abends, aber ich höre draußen meine Geschwister. Wer sie wohl rein gelassen hat?

Disallowed Love (BoyxBoy. Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt