Geht es denn nicht noch direkter?
"Natürlich will ich nicht sterben", kommt nach einem ungewollten, kurzen Zögern von mir. "Dann gib her." Er deutet auf meine Tasche, welche ich sofort mit meiner Hand verdecke. "Nein!"
"Dann willst du also doch sterben?"
"Alter, nein."Der Junge lächelt und geht mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt einmal um mich herum, bis er wieder genau neben mir steht, wo er sich ein Stück nach vorn beugt und seine Augen zu mir auffunkelten lässt. Ich hasse ihn jetzt schon. Nach so kurzer Zeit so viel Abneigung zu entwickeln ... Das grenzt schon an Rekord.
"Armer, armer Jin-Jin", grinst er dann im ironischen Ton und stellt sich wieder auf. "Könntest du d-...", will ich ihn darum bitten, mich nicht so zu nennen, da unterbricht er mich einfach.
"Du sagst, dass du nicht sterben willst, tust aber dann alles dafür?"
Er soll aufhörem Dinge zu sagen, die mir nach und nach immer mehr den Hals zuschnüren. Ich drehe mich weg und spreche nicht, in der Hoffnung, dass er dann von alleine geht."Wenn du so weitermachst, bist du spätestens in einen Monat tot. Eine Überdosis reicht."
Die Haare in meinen Nacken stellen sich auf und wieder antworte ich dem für mich namenlosen Jungen wieder nicht.
"Du redest ja gar nicht mehr mit mir", dabei legt er wieder die Hand auf meine Schulter, "gefällt dir die Wahrheit nicht?"
Ich schiebe ihn wieder zur Seite und gehe mit schnellen Schritten still schweigend an ihm vorbei.
"Ich will dich leben sehen", höre ich leiser seine Stimme hinter mir und halte wieder inne. Dieser Junge ... Dieses unberechenbare Ding kennt mich doch gar nicht! Ich drehe mich wieder zu ihm um und sehe, dass er noch immer dort hinten steht und mir nicht weiter gefolgt ist. "Was willst du!?", rufe ich gereitzt, irritiert, verwirrt und zur gleichen Zeit verunsichert.
"Ich will dir helfen zu leben."
Er lächelt und kommt mir wieder näher. Beide meiner Hände nimmt der Blonde in seine und sieht plötzlich mit einem ehrlichen, lieben Blick zu mir hoch. "Morgen Mittag warte ich da bei der Bank auf dich", er deutet auf eine Eisenbank unter einem Baum, "um zwei Uhr."
"Ich komme nicht", sage ich sofort, doch er neigt nur den Kopf und lässt ein bezauberndes Lächeln über seine Lippen gleiten. "Freut mich, dass du kommst."
Was!? Nein, ich habe gesagt, dass ich nicht komme! Ich beiße auf meine Unterlippe und will es wiederholen, da dreht er mich weg und schiebt mich den Weg entlang.
"Ich finde dich wirklich cool", maunzt er und winkt mir am Parkausgang. Er lässt mir kaum die Chance etwas zu erwidern und als er sich endlich zum Gehen umdreht, ignoriert er mein "Ich komme wie gesagt nicht! ... Tschau", total, als hätte er es nicht gehört. Der Junge, dessen Namen ich mir nicht merken konnte, verschwindet hinter der nächsten Ecke.Irritiert blicke ich ihm kurz nach, bis auch ich meines Weges gehe. Die Bauchschmerzen dringen bei den Gedanken an seine Worte immer tiefer in mich ein, doch ich versuche darüber hinweg zu lächeln. Das ist bloß Quatsch, ich wäre sicherlich nicht so schnell im Grab, auch wenn der Junge mich dort wohl gerne sehen würde.
Meine Gedanken drehen sich noch länger um das Thema, während ich in die immer dreckigeren Straßen komme und eine der vielen Klingeln an der Hauswand drücke. Als die Tür das typische Signal für das Eintreten in Form eines auf Dauer nervigen Geräuschs von sich gibt, ziehe ich diese auf und hechte das schmutzige Treppenhaus hinauf. Dass hier täglich in die Ecken gepinkelt und auch oft gekotet wird - vor allen von Tieren, welche die Besitzer nur bis vor die Haustür lassen, ist bereits der Standart meiner Umgebung, in der ich aufgewachsen bin. Es ist normal für mich und ich mache es schon beinahe zu einem Hüpfspiel genau dort hinzutreten, wo keine Haufen sind und auch allen möglichen Flüssigkeiten auszuweichen, welche nach und nach den PVC-Boden aufweichen. Dieses Mehrfamilienhaus ist sehr laut und vor der Haustür unseres direkten Nachbarns stehen mindestens sieben Paar Schuhe, welche auf einer schmutzigen Matte die Wand entlang aufgereiht sind. Ich stecke den Schlüssel in das leicht durch Rost zerfressene Schloss und drehe ihn mit mehr oder weniger Kraft herum. Die Tür öffne ich gewöhnlich mithilfe eines zusätzlichen Trittes, weswegen die Farbe, welche einmal weiß gewesen war, immer weiter abblättert und das beschädigte Sperrholz schon lange zum Vorschein kommt. Der unangenehme Geruch von Kot und Urin, welcher meine Lungen sofort gefüllt hat, wird durch noch lauteres Kindergeschrei ersetzt, als es im Flur sowieso schon herrscht. Das alles ignorierend gehe ich keinen Meter den Flur entlang, bevor sich nach links und rechts Eingänge spalten. Gerade aus geht es in das Wohnzimmer - der Ort der Vermeidung und der Grund, weshalb ich den Korridor nur selten bis um Ende hindurch schreite. Rechts ist mein Zimmer, links das all meiner Geschwister. Ansonstem folgen im Flur noch eine kleine Küche und eine Toilette ohne Badewanne, nur mit einer Dusche, einem Klo und einen Waschbecken. Das Geschrei kommt aus der Küche, doch ich steuere erst einmal mein eigenes Reich an, wo ich die Schlüssel auf den Schreibtisch werfe. Es ist eng und unordentlich hier. Mein Kleiderschrank steht vor dem Zimmer im Korridor, denn er findet hier keinen Platz mehr. Ich habe ansonsten noch ein Bett und einen kleinen Tisch ... Das ist alles. Wenig, aber genug, dass das hier mein Zufluchtsort ist, an dem ich gerne bin.
Ich werfe meine Jacke auf das Bett, anstatt sie an den Haken an der Eingangstür zu hängen und komme dank dem Wissen, dass das Pulver in meiner Tasche ist, ungewöhnlich gut gelaunt in die Küche. Sie ist gleich nach dem Wohnzimmer der größte Raum dieser Wohnung. Alle meine Halbgeschwister sind hier versammelt und wie immer weint bereits einer, wenn ich in der letzten Zeit nach Hause komme. "Hey", begrüße ich alle laut und sofort wird jegliches Geschrei unterbrochen.
Mein fünfjähriger Bruder hüpft vom Stuhl, kommt auf mich zu gerannt und umarmt mich an den Beinen. Ich lächle und fahre durch sein Haar, während ich zu meiner kleinsten Schwester blicke. Sie ist erst im Frühling zehn geworden und fühlt sich nun erwachsen. Ihre ältere Schwester, welche im Sommer 13 wird, ist gerade auf dem Nuttentrip, denn sie geht nicht mehr ohne knallig rote Lippen und kurzen Röckchen aus dem Haus. Ich weiß nicht, ob sie sich bereits von Jungen anfassen lässt und der Gedanke ist mir auch äußerst unangenehm, doch selbst wenn es so wäre könnte ich sowieso nichts dagegen tun. Als letztes mein jüngerer Bruder. Er ist 15 Jahre alt und tatsächlich auf dem Vögeltrip, kifft und ist in den letzten Monaten sehr arrogant geworden, aber das ist eben meine Familie. Ich sage ihm und meinen Schwestern nicht, dass sie das Rauchen und den Alkohol lassen sollen, denn obwohl sie es nicht wissen, ich bin doch selbst nicht besser, denn auch ich pumpe alles in mich, was in irgendeiner Art und Weise ein gutes Gefühl bei mir hinterlassen könnte.
Die mit den roten Lippen ist heute die, die wieder heult. Ich frage bereits nicht mehr warum, denn ich denke, dass es mal wieder so etwas unwichtiges ist und hebe den Kleinen hoch. "Schon was zum Abend gegessen?"
"Nein", brummt mein kleiner Halbbruder und öffnet die Augen. Den Kopf hat er auf den Tisch gelegt und sieht mich nun an. "Was wollt ihr denn essen?", frage ich wieder in die Runde, als der Kleine seine Hände in die Höhe streckt. "Eis!"
Ich lache und setze ihn ab.
"Nudeln?", mit einem Blick in den Schrank sehe ich, dass es eine kaum größere Auswahl geben wird. "Klar", höre ich die eher unbegeisterten Stimmen.
Nach dem Essen kann ich dann endlich in meine eigene Welt abtauchen...
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Disallowed Love (BoyxBoy. Yaoi)
RomanceEr aus dem Ghetto - der andere aus guten Verhältnissen. Eine Liebe nach diesen Klischee ... Ist das möglich? Um seine Sucht nach der Selbstzerstörung zu befriedigen hat Jin, ein 19 Jahre junger Mann, sich wieder sein Pulver besorgt, welches sein Inn...