Kapitel 6

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"Komm schon Mia....ohne dich wird das total langweilig."

Solvei steht direkt unter meinem Fenster und wirft erschöpft die letzten Kiesel aus ihrer Hand zurück auf den matschigen Boden. Noch bis vor ein paar Minuten hatte sie damit ununterbrochen gegen meine Scheibe geworfen und dabei immer wieder nervöse Blicke zurück zu ihrem Haus geworfen.

Es fahren immer wieder einige Autos vor und jedes Mal, wenn eines anhält und jemand aussteigt, kneift sie die Augen zusammen und ihre Stirn beginnt sich zu runzeln.
Es hat geregnet, weshalb sich eine grau-braune Schlammschicht von ihren nackten Füßen bis zu den Knöcheln hochzieht.

Ich schüttle den Kopf und setze mich auf die Fensterbank, damit ich sie besser sehen kann.
"Ich kenn da doch gar keinen...Ich würde euch nur im Weg stehen."
"Ach was....ich bin ja da und deine Mom wollte doch auch mitkommen und Monica ist sowiso da."
Ich folge ihrem Blick als ein weiteres Auto in die Straße einfährt und eine große, etwas ältere Frau in einem tiefvioletten Mantel aussteigt.
"Okay...ich kann dich ja verstehen.", säuftst sie schließlich und klopft sich ihre staubigen Hände an der Jeans ab.
"Aber ich komme später nochmal vorbei, in Ordnung?Ich hab da nähmlich auch keine Lust zu."
Ich nicke eifrig und auch ein bisschen erleichtert. Ich habe Solvei wirklich gern, aber unter so vielen Fremden würde ich mich sicher nicht wohlfühlen.
Sie lächelt mich an und wendet sich dann ihrem Haus zu an dessen Tür ihre Mutter bereits nach ihr Ausschau hält.

"Auf in die Schlacht.", höre ich sie noch murmeln, bevor sie geht und mich allein auf der Fensterbank zurücklässt.

"KÜSS SIE VERDAMMT!"
Solvei und ich sitzen auf der Couch im Wohnzimmer und stopfen uns in einer nie endenden Dauerschleife Popcorn in den Mund. Nachdem sie vor etwa einer Stunde vor meiner Tür gestanden und mir eine DVD in die Hand gedrückt hatte, hatten wir uns ausgibig mit den Vor- und Nachteilen von Fernbeziehungen beschäftigen müssen. I knew it when i saw ya gehört zu genau der Art von Filmen, die man erst liebt, dann das Ende vorrausahnt, versucht seine eigene Vermutung anhand von völlig sinnlosen Argumenten zu zerstören und dann einsehen muss, dass die eigene Theorie stimmt und das Ende eigentlich totaler Müll ist.

"NEIIIIIN...er darf sie nicht küssen...dann kommt sie nie von ihm los, macht mit Sawja schluss und er heiratet am Ende trotzdem diese miese Zicke aus dem Kosmetikstudio"
Plötzlich schlägt sich Solvei die Hände vor den Mund.
"Scheiiiiße...du hast Recht."
Eine viertel Stunde später sitzen wir mit Tränen in den Augen da und starren auf das schwarze Standbild des Fernsehers.

Er hat sie geküsst.

War ja klar.

Was für ein Arschloch.

Ich rapple mich auf und werfe ihr ein Kissen ins Gesicht.
"Hey",ich wische mir mit dem Handrücken über die Augen,"keine Tränen, okay? Dieser Film hat unsere Tränen nicht verdient."
"Du hast Recht." Jetzt setzt auch sie sich auf und wirft das Kissen zu mir zurück. "Er hat sie uns geklaut."

Ich bin froh, dass Solvei vorbeigekommen ist. In ein paar Stunden werde ich meine Koffer packen und wegfahren und wenn ich nächsten Sommer wiederkomme, wird sie nicht da sein. Es wird so sein, als währe sie nie wirklich da gewesen.

"Wann fährst du los?", fragt sie noch, als sie bereits in der Tür steht um zu sich nachhause ins Bett zu gehen und zu schlafen.
"Gegen 15:00"
Sie nickt und wendet sich dann der Dunkelheit vor unserer Tür zu. Es muss schon etwa 1 Uhr Nachts sein.
"Ich werde da sein", lacht sie noch, aber der Sakasmus in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
Und dann lässt sie micht genauso stehen wie sie es bei unserer ersten Begegnung auch getan hat.
Ich sehe ihr noch nach, bis der Bewegungsmelder an ihrer Hauswand anspringt und sie im Haus verschwindet.

Mir fährt ein Schauer über den Rücken.

Ein paar Meter schräg über ihr steht ein Fenster offen und ich kann die tiefschwarze Silhouette von jemandem erkennen, der mich direkt anstarrt.

Never Saw HeavenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt