Kapitel 9

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"Hey!"
Jane schnippst mit ihren Fingern vor mir in der Luft herum.
"Erde and Alien. Was war denn das gerade?"Verwirrt wickelt sie den Strohhalm aus der Folie und sticht ihn in ihr Trinkpäckchen.
Irgendwie ist das so ein Ding zwischen ihr und mir.
Normalerweise käme niemand aus unserem Jahrgang auch nur im entferntesten auf die Idee, so etwas mit zur Schule zu nehmen, aber wir bleiben dabei.
Ich zucke die Schultern und nehme ebenfalls einen Schluck aus meinem Päckchen. Der dickflüssige Saft ist süß und klebrig und schmeckt viel zu sehr nach Aromastoffen und anderen Chemikalien, aber genau das liebe ich auch an ihm. Er erinnert mich an meine Kindheit.
"Ich weiß nicht wovon du redest", antworte ich so unschuldig wie möglich, kann mir aber ein Lächeln nicht verkneifen.
"Hallo?Der Typ hat dich angestarrt als wärst du der einzige lebende Mensch in diesem Raum gewesen."
"Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen",gebe ich entschieden zurück.
"Das war das erste Mal."
Und es ist sogar war, denke ich noch, als es bereits zum Ende der Pause klingelt und alle ihre Taschen vom Rasen zusammensammeln und in ihren nächsten Kurs eilen.
Im Grunde genommen vergeht der Rest des Tages relativ schnell und unkompliziert. Mrs. Herman beschwert sich wie jede Woche über den übermäßig komplizierten Stundenplan und Mr. Shear, unser Hausmeister, kommt in der vierten Stunde vorbei um uns den neuen Busplan zu erklären.
Eigentlich hat sich nichts geändert.
Ich fahre immernoch die selbe Strecke nur eben nicht mehr allein.

Als ich aus dem Bus steige regnet es.
Ich ziehe den Reisverschluss meiner Jacke zu und verstecke meinen Kopf unter der Kapuze. Die Wassertropfen perlen an der glatten Oberfläche ab und ich bin froh, dass ich überhaupt an etwas zum überziehen gedacht habe.
Der Bus setzt sich wieder in Bewegung, woraufhin sich der Stoff meiner Hose an der Wade mit dem Wasser einer schlammigen Pfütze vollsaugt.
Ganz ruhig bleiben Mia...du bist ja gleich zuhause.
Sehr darum bemüht meine Wut zurückzuhalten, balle ich meine Hände zu Fäusten und mache mich auf den Weg.
Ich zucke zusammen, als ich hinter mir ein leises Lachen wahrnehme.
Wer ist das?
Ich bin bisher immer alleine nachhause gegangen. Außer mir steigt hier niemand aus.
Ich drehe den Kopf, kann durch den inzwischen ziemlich dichten Regen allerdings niemanden erkennen.
"Hast du nichts besseres zu tun, als dich über mich lustig zu machen?"
Ich bin erstaunt über meine eigenen Worte. Normalerweise reagiere ich nie so agressiv. Es ist mir fast ein bisschen peinlich, dass ich mich so bissig anhöre, aber das darf ich mir jetzt nicht anmerken lassen.
"Tschuldige", prustet er und räuspert sich als ich ihn endlich erkennen kann.
Es ist Dean.
Er trägt eine graue Sweatshirtjacke über dem inzwischen völlig durchnässten Shirt und feuchte Haarstränen fallen ihm wirr in die Stirn.
Ich schlucke, richte mich auf und gehe weiter.
Er heftet sich an meine Fersen.
Ich habe mir den ganzen Tag den Kopf darüber zerbrochen, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege und kann es jetzt überhaupt nicht gebrauchen, dass dieser Typ mir noch mehr Gründe dafür liefert, ihm mit meinen Gedanken nachzuhängen.
Es ist eh total unrealistisch, dass sie ausgerechnet hierher gezogen sind.
Solvei hat mir nicht viel von ihrem Bruder erzählt. Sowiso hat sie ihn bisher nur ein einziges Mal erwähnt.
Ich weiß, dass er Dean heißt und gerne mal verdrängt das Geschirr abzuwaschen oder auf ihre Schwester aufzupassen. Das ist dann auch eigentlich schon alles. Und nur weil der neue Typ an unserer Schule zufällig Dean heißt, heißt das nicht, dass ausgerechnet er ihr Bruder ist. Egal wie wenig Deans es es auf dieser Welt auch geben mag.......und seinen Nachnamen hat er schließlich auch nicht erwähnt.

Und doch werde ich dieses Gefühl nicht los.
Verstohlen werfen ich einen Blick auf eine seiner Hände, die er etwa bis zu den Knöcheln in seiner Jackentasche verschwinden lassen hat.
Sie ist blass und als er seine Schultern nach hinten rollt um seinen Rucksack zu richten fällt mir auf das seine Finger vor kälte blau gefärbt sind.
Merkwürdig.
Ihm kann gar nicht so kalt sein. Trotz des Regens müssen es immernoch um die 20 Grad Außentemperatur sein und wir sind gerade erst aus dem Bus gestiegen. Verwirrt wende ich den Blick wieder ab.

Er sagt nichts. Den ganzen Weg über schweigen wir uns an, aber als er dann natürlich ausgrechnet in die Einfahrt des leerstehenden Hauses gegenüber von unserem abbiegt, bleibt er mitten auf der Straße noch einmal stehen und sieht mich an.

"Auf Wiedersehen Mia."

Never Saw HeavenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt