Kapitel 1

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Hastig setze ich einen Fuß vor den anderen.
Die großen, schwarzen Fliesen unter meinen Füßen sind eiskalt.
Ich hätte mir wirklich besser Schuhe anziehen sollen.
Der Supermarkt ist so gut wie ausgestorben,aber das liegt wohl weniger an der Hitze,die die Menschen heute alle ans Wasser zieht, als daran,dass sowieso nur selten jemand hier ist.
Es ist nur eine Kasse besetzt.
Hinter dem Laufband sitzt eine große,schlanke Frau.Sie trägt riesige Ohrringen,die ihr fast bis zur Schulter reichen.
Sie erinnert mich ein bisschen an die Kuh auf dem Feld gleich neben dem Haus meiner Tante.

Die trägt auch so einen Ohrring.
Ich schleudere meine Packung Eier aufs Band und muss grinsen.
Toni, mein Cousin, hätte sie definitiv am Ende des Laufbandes platziert, nur um zu sehen wie dieses Mädel reagiert.
Genervt lässt sie ihren Kopf in meine Richtung fallen,schnappt sich die Eier und lässt eine Kaugummieblase platzen.
Ich drücke ihr einen Fünfer in die Hand,stecke mein Wechselgeld in die Hosentasche und verlasse schnellenschrittes den Laden.

Das Wetter draußen ist merkwürdig. Die Luft liegt schwer auf meinen Schultern und der Asphalt ist so heiß, dass es knapp über dem Boden nur noch flimmert. Ich krame in meiner Tasche, um meine nicht vorhandenen Schuhe anzuziehen.

Mist.

Also mache ich mich ohne meine geliebten Treter auf den Weg, aber ich laufe nicht auf dem Bürgersteig der meine Füße ohne jeden Zweifel sofort verkohlen würden (NEIN .... ich übertreibe nicht), sondern auf dem schmalen Grünstreifen direkt daneben.

Gott, liegen hier viele Steine..... also als Grünstreifen kann man das auch nicht wirklich bezeichnen. Ein Fahrrad fährt an mir vor bei. Auf ihm sitzt ein Mädchen mit langen, leicht gewellten, dunkelbraunen Haaren, dass sich verwundert nach mir umdreht und ein paar Meter weiter anhält, um mich genauer zu beobachten.

Was würde ich nur alles für solche Haare geben. Meine haben noch nichtmal einen vernünftigen Farbton. Irgendwas zwischen dunkelblond und hellbraun. Nicht wirklich aufsehenerregend.

Ich bleibe stehen und ziehe eine Augenbraue hoch. Sie sieht mich immernoch an.

Wir schweigen. Ich schultere meine Tasche und schaue auf meine ebenfalls nicht existierende Uhr.

"Also wenn du noch was sagen wolltest? Ich muss dann jetzt gleich auch mal weiter."

Sie lacht.

"Tschuldige, ich hab mich nur gefragt, ob dir irgendwas wehtut oder so.... du humpelst irgendwie ganz komisch."

Ich deute auf meine Füße. "Keine Schuhe."

"Achsooo"

Sie steigt vom Rad und greift in den Korb auf ihrem Gepäckträger, dann wirft sie mir ein Paar Flipflops zu.

"Hier, ich hab zwei Paar."

"Danke, aber wie soll ich die dir denn jetzt wiedergeben...ich bin nur noch das Wochenende über hier."

"Ach, das is nich so schlimm.Ich hol sie mir einfach ab...wo...äh.. wo wohnst du?"

"Hamshirestreet, also auf dem Hof hier um die Ecke."

Ich grinse bei dem Gedanken an das Grundstück. Meine Tante hatte das Haus vor ein paar Jahren von ihrem Vater geerbt und lebte jetzt mit ihrem Mann Phil und ihrem Sohn Toni dort. Wir sehen sie nicht oft, wegen der großen Entfernung können wir nur in den Ferien vorbeikommen, aber Toni hat uns schon immer viel mitgenommen, wenn wir zu Besuch waren, deshalb kenne ich mich auch ganz gut aus.

"Du meinst bei Monica?"

"Ja, kennst du sie?"

"Kennen? Sie ist meine Nachbarin."

Sie nimmt den Korb vom Gepäckträger, hängt ihn über den Lenker und setzt sich wieder auf den Sattel.

"Komm,ich nehm dich mit."
Lächelnd setze ich mich auf ihren Gepäckträger und winkle meine Beine an, damit sie losfahren kann.

"Ich bin übrigens Solvei"

"Mia", antworte ich und sie tritt in die Pedale.

Solvei

Den Namen habe ich noch nie gehört, aber er passt zu ihr.
Er klingt so ehrlich und klar.

Als wir um die Ecke biegen ist irgendetwas anders als sonst.
Zunächst weiß ich nicht,was es ist, aber dann entdecke ich die riesigen Kartons, die vor einem Haus direkt gegenüber der Wiese stehen.
Die Kuh hat ihren üblichen Platz im Schatten aufgegeben und blickt neugierig über den Zaun.

"Was machen die den da?",murmle ich mehr zu mir selbst, als dass ich es wirklich ausspreche, aber Solvei scheint mich trotzdem verstanden zu haben.

"Tja, du bist nicht die Einzige, die hier verschwindet."
Sie hält an.

"Wir ziehen um."

Verwirrt sehe ich sie an...ich meine..mir war klar,dass ich sie in Zukunft sowiso kaum noch sehen würde, aber gar nicht?

"Aber hey, hier gibt's außer dir und mir sowiso niemanden in unserem Alter und du bist in zwei Tagen auch weg, also wen kümmerts, oder?"

Wir steigen ab und sie schiebt das Rad über die Straße.

"Sehen wir uns nachher?"

Warum eigendlich nicht.

"Klar..um 3 bei mir?"

"Ich werde da sein", lacht sie und verschwindet im nächten Moment in der Garage.

Never Saw HeavenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt