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Die Sommerferien müssen angefangen haben...

Ich sehe jetzt täglich Mitschüler, wenn ich auf dem Weg zum Friedhof bin. Ich bin jetzt fast täglich da, vielleicht merkst du ja, dass du nicht alleine bist.

Unsere Mitschüler gucken mich wann immer sie mich sehen ganz mitleidig an. Das macht mich wütend, ich will ihr Mitleid nicht. Ich brauch es nicht. Ich brauche dich.

Doch dass ist unmöglich.

Heute ist mir etwas Seltsames passiert. Ich saß wie immer vor deinem Grab, schweigend und starrend, als sich plötzlich ein Junge neben mir niederließ. Er sagte nichts und starrte nur mit auf dein Grab. Ich habe ihn noch nie vorher gesehen. Vielleicht war er ja ein Ex von dir. Aber kannte ich nicht alle deiner Freunde? Als es langsam anfing zu dämmern stand er dann auf und ging, er hatte nichts gesagt. Ich auch nicht. Immerhin hatte er sich zu mir gesetzt. Komisch war es trotzdem gewesen. Es hatte den ganzen Tag genieselt. Und außer mir, war niemand lange dort geblieben. Meine Eltern kommentierten es nicht mehr, wenn ich völlig durchnässt nach Hause komme. Sie schütteln auch nicht mehr missbilligend die Köpfe, wie in der ersten Zeit. Sie gucken mich immer besorgt an, wenn sie denken dass ich es nicht sehe. Wenn ich abends nach Hause komme, zieht mich meine Mutter in die Küche, wo ein Teller mit einem riesigen Haufen Essen steht, genauso wie zwei halbe Liter Gläser Wasser. Bevor ich nicht aufgegessen und getrunken habe, darf ich nicht aufstehen. Nicht nach oben in mein Zimmer gehen, sonst kriegt meine Mutter Panik Attacken und fängt an zu weinen. Kurz nach deiner Beerdigung habe ich mich noch geweigert was zu essen. Ich hatte keinen Hunger. Dann haben mich meine Eltern angefleht, angeschrien etwas zu essen. Ich hatte sie dann immer nur angeguckt und nicht verstanden was ihr Problem war, bis ich dann irgendwann mal wieder in den Spiegel geschaut hatte und mich zu erst gar nicht wieder erkannt hatte.

Ich war so dünn geworden. Ich war auch schon vor deinem Tod ein Spageltarzan gewesen, doch da sah ich aus wie ein Skelett. Seit dem Tag hatte ich dann immer brav aufgegessen und getrunken, manchmal auch um Nachschlag gebeten, was meine Eltern erleichtert registriert hatten. Seit dem ließen sie mich wieder in Ruhe, was ich meinerseits erleichtert feststellte. Sie hatten versucht mit mir zu reden, über deinen Tod und so, aber ich hatte immer abgeblockt. Sie konnten meinen Schmerz nicht nachvollziehen. Sie hatten dich nicht so verloren, wie ich. Das hat niemand.

Und es wird ja langsam auch besser.

Merkt man, ich schreibe Briefe an eine Tote. Haha.

Tut mir Leid.

Deinen Brief habe ich immer noch nicht geöffnet. Ich weiß nicht, ob ich Angst vor seinem Inhalt habe. Wird das darin stehen, was ich erwarte? Und was genau erwarte ich? Dass du mich darin zurück weist? Wird es das alles nur schlimmer machen? Oder was wäre, wenn du doch in mich verliebt gewesen wärst? Dass Wunschdenken hat immer noch nicht aufgehört. Doch ich glaube, dass das alles nur viel schlimmer machen würde.

Auch frage ich mich, ob man den Text noch lesen kann. Ich trage den Brief den ganzen Tag mit mir herum, also ist er genauso dem Regen und der Sonne ausgesetzt wie ich. Doch im Gegensatz zu mir, kann der Brief vom Regen zerstört werden. Seine Worte, deine Gedanken können vom Regen vernichtet werden. Ich wüsche mir manchmal auch, dass das so einfach wäre. Das ich mich nur in den Regen zu setzten und warten bräuchte. Und dann all meine Sorgen und Ängste aus meinem Gedächtnis getilgt werden. Doch vielleicht könntest du mit meinen Gedanken verschwinden. Dann würde ich nie mehr bei Regen rausgehen.

Ich hoffe ich vergesse dich nicht.

Luke

(K)ein LiebesbriefWo Geschichten leben. Entdecke jetzt