Zwei Punkt Drei

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„Hast du auch wirklich alles?"

„Ja, keine Sorge."

„Brieftasche? Handy? Wechselschlüpfer?"

„Mama! Ich bin keine sechs mehr!"

„Ich will doch nur sichergehen, dass du dort nicht untergehst."

Wir stehen am Bahnhof. Gerade fährt der Regionalzug ein. Meine Eltern stehen neben mir und helfen mir mit den Taschen.

„Werd ich schon nicht, keine Sorge. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich bei Oma bin."

„Es ist aber schon eine ganze Weile her."

„Ja.. ein Jahr."

„Jetzt lass sie doch endlich gehen. Sonst fährt der Zug ohne sie los." Papa zieht Mama zurück und legt den Arm um sie. Dass sie auch immer so ein Drama machen muss. Sie ist froh, wenn sie mich mal los ist.

„Okay, dann bis bald. Ich meld' mich, wenn ich angekommen bin."

„Mach's gut, Kleine. Und viel Spaß."

„Den werd ich haben." Dann schließen die Türen und ich gehe nach oben.

Glücklicher Weise ist der Zug nicht all zu voll. Ich lege die Reisetasche zu meinen Füßen unter den Vordersitz. Ich will gerade die Kopfhörer aufsetzen, als jemand neben mir im Gang steht.

„Darf ich?" er zeigt auf den Platz neben mir, wo ich meinen Rucksack platziert habe. Ach, komm schon! Fast der ganze Zug ist frei. Such dir was anderes.

„Sicher." ich nehme den Rucksack runter und er setzt sich. Unauffällig versuche ich den Kerl neben mir zu mustern und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen.

„Robin Hood?" frage ich zaghaft.

„Das hat aber lang gedauert." sagt er grinsend und sieht zu mir rüber.

„Was machst du denn hier?"

„Ich bin auf den Weg nach Berlin und du?"

„Das sagt dir eh nicht's. Irgendein Dorf mitten im Nirgendwo."

„Klingt doch spannend."

„Da ist meine Mutter aber andere Meinung." ich wende den Blick ab und sehe nach draußen. Er beugt sich vor und ich sehe in der Spiegelung vom Fenster, wie er die Augenbrauen zusammenzieht.

„Wieso das?"

„Mama ist kein Fan vom Land. Ihr wäre es lieber, wenn wir in den Ferien von einer Stadt zur nächsten reisen würden."

„Und trotzdem bist du hier.."

„Mein Vater. Er hat sich für mich eingesetzt." in seinem Gesicht lässt sich Erkenntnis ablesen.

„Wo warst du überhaupt die letzten Wochen? Wir konnten uns gar nicht mehr unterhalten."

„Tja, weißt du.." Ich saß größtenteils im Garten und hab mich von der Welt abgeschottet, weil ich mit niemanden reden wollte. „Es ist kompliziert."

„Aber du bist mir nicht aus dem Weg gegangen, oder?"

„Was? Nein." Ich muss lachen. „Wir kennen uns doch kaum. Und die Schule ist auch vorbei. Wo hätten wir uns denn treffen sollen?"

„Bei der Lilie zum Beispiel." jetzt muss ich noch mehr lachen und er grinst.

So geht das die ganze Zeit hin und her. Ich erzähle von meinem verkorksten Leben und er hört zu. Bis..

„Oh nein." sagt er und sieht auf die Anzeigetafel.

„Was ist? Musst du aussteigen?"

„Ja und zwar jetzt gleich. Mach's gut, Picasso! Und komm zur Lilie. Vielleicht erfährst du dann meinen richtigen Namen." und weg ist er.

Der Platz neben mir, kommt mir auf einmal so leer vor. Doch innerhalb der nächsten zwei Stationen füllt er sich wieder mit jemand Fremden. Ist er das nicht auch? Ein Fremder?

Nein, ist er nicht. Jedenfalls fühlt es sich nicht so an.

Ich zucke geistesabwesend mit den Schultern und setzte mir die Kopfhörer auf.

Me and MyselfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt