Kapitel 6

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Langsam wache ich auf. Mit einem Blick auf den Wecker stelle ich seufzend fest, dass ich eine gute halbe Stunde verschlafen habe. Am liebsten würde ich einfach weiterschlafen. Schließlich stehe ich aber doch auf. Mürrisch schlurfe ich in Pantoffeln die Treppe nach unten. "Morgen, Damon.", sage ich gähnend, während ich durchs Wohnzimmer laufe. Ich bleibe abrupt stehen, dann gehe ich ein paar Schritte zurück und runzele die Stirn. Tatsächlich! Auf dem Sofa sitzt Damon, in der einen Hand eine Tasse Kaffee, in der anderen eine Zeitung. Wie immer sieht er verboten gut aus. "Guten Morgen, Luna.", antwortet er freundlich. Fast so als wäre gestern gar nichts zwischen uns vorgefallen und vor allem, als wären wir mal befreundet gewesen. Vermutlich sind das die Auswirkungen von seinem Gespräch mit Stefan. Aber so viel Nettigkeit? Ich hätte es nicht einmal Stefan zugetraut ihm so etwas nahe zu bringen. "Verschlafen?", fragt Damon jetzt lächelnd. "Ja.", murmele ich ein wenig misstrauisch. So viel Freundlichkeit hat Damon mir das letzte Mal vor meiner Verwandlung entgegen gebracht. Wirklich gruselig.

Ich gehe in die Küche, um mir eine Tasse Kaffee zu holen. Er folgt mir. Ich drehe ich von der Maschine weg. "Gute Laune?", frage ich. Mittlerweile bin ich hellwach. Irgendwie traue ich Damon nicht, was vermutlich auch besser ist. "Ja, so könnte man das sagen.", antwortet er nach kurzem zögern. "Hat das vielleicht einen bestimmten Grund?" Damon beobachtet jeden meiner Handgriffe. Das beunruhigt mich ein wenig. Er plant doch irgendetwas. "Ja, aber den verrat ich dir nicht.", sagt er spöttisch grinsend. "Wie du meinst.", ich gieße mir eine Tasse Kaffee ein und verlasse die Küche. "Ich mach mich dann für die Schule fertig." "Viel Spaß und lern fleißig.", ruft Damon mir nach.

Ich komme gerade noch rechtzeitig zur ersten Stunde. Mit schnellen Schritten betrete ich den Klassenraum, nur wenige Augenblicke vor unserer Biologielehrerin. Stefan lächelt mich belustigt an. Er weiß ganz genau, wie ungern ich morgens aufstehe. Aber anstatt mich zu wecken, ist er einfach losgefahren. Ich bemühe mich ihm meinen bösen Blick zuzuwerfen, der doch sehr schnell einem fröhlichen Lächeln weicht. Er lächelt ebenso fröhlich zurück, bevor er sich auf den Unterricht konzentriert.

Der Rest des Tages ist nur noch eine vage Erinnerung für mich.

Ich sitze mit einer Tasse Tee in der Hand auf dem Sofa. Stefan steht am Fenster und Damon sitzt auf einem Sessel mir gegenüber. Zum ersten Mal, seit meiner Ankunft, fällt mir sein Blick auf. Er mustert mich interessiert, aber gleichzeitig vorsichtig, fast so als wäre ich jemand, der sich jede Sekunde in einen Angreifer verwandeln könnte. Langsam fange ich an mich unwohl zu fühlen. Wir starren uns gegenseitig tief in die Augen und ich versuche herauszufinden, was er damit bezwecken will. "Also.", ertönt Stefans Stimme. "Also was?", frage ich verwirrt. Endlich kann ich meinen Blick von Damon abwenden, der jetzt zufrieden dreinblickt. "Was wollen wir wegen John Gilbert unternehmen?" "Wir wissen, dass er alle Vampire tot sehen will. Und somit fallen wir direkt in sein Beutechema.", entgegne ich. "Er selbst lässt sich nicht so leicht töten, zumindest nicht solange er seinen Ring trägt. Das haben wir ja bereits versucht.", ergänzt Damon. "Dann fürchte ich bleibt uns nur der Plan: ablenken, Ring klauen, umbringen.", seufze ich. Stefan sieht mich unglücklich an. Für ihn war der Tod noch nie der beste Ausweg. Für mich ja eigentlich auch nicht. Aber es gibt einfach keine andere Möglichkeit. "Dann müsste man ihn nur noch an einen verlassenen Ort bringen.", sage ich. "Das ist vielleicht ein Hindernis, aber kein Problem. Auf jeden Fall machbar.", erwidert Damon. "Ich bin trotzdem dagegen.", wirft Stefan ein. "Denkst du einer von uns ist dafür? Aber es heißt er oder wir. Und es gibt keinen anderen Weg. Oder fällt dir etwas ein?" "Wir können Onkel John ja mal auf eine Tasse Kaffee einladen und mit ihm unsere kleinen Unreinheiten besprechen.", scherzt Damon. Ich rolle mit den Augen. "Aber im Ernst, Stefan. Entweder er stirbt oder wir. Wir müssen uns entscheiden.", ich sehe ihn besorgt an. "Ich weiß. Lasst mich aber bitte noch eine Weile nachdenken. Mir fällt schon noch was anderes ein.", mit diesen Worten dreht Stefan dich um und geht. "Hey, Moment. Wohin willst du?", rufe ich ihm nach. "Zu Elena. Bis später." Schon ist er weg. Lächelnd trinke ich meine Tasse aus. Erst dann bemerke ich Damons Blick. "Könntest du das lassen?", frage ich leicht gereizt, während ich aufstehe. "Was lassen?", fragt er unschuldig. "Du weißt genau was.", rufe ich aus der Küche. Doch beim Umdrehen erstarre ich. Damon steht nur wenige Zentimeter hinter mir. Wir sind ungefähr gleich groß und so bin ich gezwungen nun wieder in seine unergründlichen, tiefen schwarzen Augen zu sehen. "Was soll ich lassen?", fragt er diesmal ganz sanft. "Könntest du bitte aufhören mich anzustarren. Das macht mich nervös und du weißt das." Ich hätte gerne etwas mehr Platz, aber ich stand direkt in einer Ecke und Damon versperrt mir jeden Weg aus ihr heraus. "Natürlich weiß ich das.", antwortet er langsam. "Aber es macht mir Spaß." "Ja, natürlich. Nichts macht mehr Spaß als mich komplett aus der Fassung zu bringen, nicht wahr? Könntest du bitte an die Seite gehen?", frage ich betont gleichgültig. Tatsächlich tritt er wortlos zur Seite und lässt mich vorbei. Ich nutze die Chance und flüchte mich ins Wohnzimmer. Damon verharrt noch immer in der Küche, aber er starrt mich an. Was hat er bloß vor? Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass er irgendetwas plant. "Also, was machen wir zwei jetzt wo Stefan weg ist?", fragt er plötzlich in dem selben fröhlichen Tonfall wie heute Morgen. "DU willst etwas mit MIR unternehmen?", entsetzt drehe ich mich um. Auch er betritt wieder das

Wohnzimmer. "Ja, warum denn auch nicht?" "Du hast mich gehasst. Immer schon. Also warum plötzlich nicht mehr?" Damon plant ganz sicher etwas. Ich wüsste nur gern was. "Ach, Luna. Es ist 70 Jahre her. Wir können uns doch endlich vertragen und von vorne beginnen." "Ja, könnten wir, wenn ich dich nicht so gut kennen würde.", sage ich. Im Moment bin ich viel zu misstrauisch, um wütend zu werden. Er hat mein Leben zerstört und will jetzt allen Streit begraben? "Okay...", er seufzt. "Es tut mir leid. Vermutlich war ich nicht so nett zu dir, aber das ist Vergangenheit. Immerhin lebst du nur durch mich, vertrau mir." "Na gut.", ich stimme nach kurzem Zögern zu. "ich vertraue dir, aber gib mir keinen Grund das zu bereuen." Damon lächelt zufrieden. "Also was tun wir jetzt? Buffet im Steakhouse?" Ich werfe ihm einen strengen Blick zu. "War nur Witz.", sagt er schnell. Ich denke einen Moment nach. "Wie wär es mit tanzen?" "Hattest du mir nicht erzählt, dass du es hasst zu tanzen?" "Interessen ändern sich im Laufe der Zeit.", entgegne ich. Ich habe meine Langeweile immerhin für Tanzkurse genutzt, füge ich in Gedanken hinzu. Es wäre sinnlos jetzt wieder einen Streit anzufangen. "Also gut, gehen wir Tanzen.", sagt er erfreut.

Während der Autofahrt habe ich lange Zeit Damon genau zu beobachten. Mein Fazit daraus ist, dass ihn schwarz wirklich sexy aussehen lässt. Er trägt ein Hemd und eine Hose, ich selbst trage ein schwarzes, kurzes Kleid.

Während des Aussteigens und beim Betreten der Bar richten sich alle Blicke auf Damon und mich. Er genießt es sichtlich und ich kann es ebenfalls zum ersten Mal genießen. Es ist komisch, aber mit Damon an meiner Seite fühle ich mich nicht mehr so ängstlich. Im Gegenteil, ich fühle mich richtig sicher.

"Weißt du, die Leute hier reden über uns.", flüstert Damon. Ich lache. "Du kannst die Stimmen auch ausblenden und ignorieren, das weißt du, oder?" "Natürlich, aber es ist ganz interessant." "Ach ja? Und was sagen sie so?", ich sehe ihn an. "Oh, wir sind ein hübsches Pärchen und die Gruppe Männer dahinten interessiert es, ob du so gut tanzen kannst, wie du aussiehst.", er grinst verschwörerisch, während er mit dem Blick an einen Tisch deutet. Ich lache vergnügt. "Na, dann zeig mir, ob du Salsa beherrschst.", ich springe von meinem Barhocker auf,  packe Damon am Handgelenk und ziehe ihn zur Tanzfläche.

Ich weiß nicht mehr genau, wie lange Damon und ich in der Bar waren und was wir alles gemacht haben. Doch wir haben viel gelacht und ich habe noch mehr getrunken. Obwohl ich sonst nie trinke und Vampire auch sehr selten betrunken werden, merke ich eindeutig wie betrunken ich bin.

Vor der Bar kichere ich ausgelassen. "Was machen wir jetzt?" "Es ist zwei Uhr morgens, Luna. Was willst du um die Zeit noch machen?" Ich sehe Damon traurig an. "Komm, lass uns lieber nach Hause fahren. Stefan wird sicher nicht erfreut sein, dich jetzt erst wiederzusehen. Außerdem ist morgen Schule." Ich lache. "Wenn ich nicht schon tot wär, hätte ich Angst er würde mich umbringen." Damon stimmt in mein Lachen mit ein. "Na komm.", sagt er fürsorglich. Ich stolpere ein paar Schritte vorwärts, bevor ich erneut stehen bleibe. "Trag mich.", bitte ich leise. Unverzüglich kommt Damon zu mir rüber und nimmt mich auf seine Arme. Dann trägt er mich zum Auto. Die Fahrt zurück zur Villa verschlafe ich komplett. "Warte, ich helfe dir.", flüstert Damon beim Aussteigen. Er nimmt mich erneut hoch und trägt mich vorsichtig ins Haus. Fast sofort steht Stefan vor uns. "Wo wart ihr?", fragt er wütend. "Tanzen.", flüstere ich, noch bevor Damon auch nur den Mund öffnen kann. "Ist sie betrunken?", Stefan streicht mir entsetzt eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ein wenig. Aber sie sollte schlafen. Ich bringe sie ins Bett." Damon lässt seinen Bruder einfach stehen und bringt mich in mein Zimmer. Behutsam legt er mich auf mein Bett und deckt mich zu. Er sieht sich noch einen Moment um und will schon gehen, als ich ihn mit meiner Stimme zurückhalte. "Damon?" "Ja?", flüstert er fast lautlos so wie ich zuvor. Einen unendlich langen Augenblick starren wir uns nur an. Sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich spüre seinen sanften Atem auf der Haut und ich kann seinen tiefen, erdigen Geruch einatmen. "Küss mich!", hauche ich. Verwundert sieht er mich einige Sekunden lang an. Doch schließlich erfüllt er meine Bitte und senkt seine Lippen auf meine. 

Tagebuch eines Vampirs- Die Vergangenheit  [Wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt