Kapitel 10

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Damon seufzte tief. Anschließend ging er die Stufen nach oben. An den Wänden hingen noch viele weitere Familienfotos. Er verstand, wie sie sich fühlen musste. Sie war quasi wieder hier, machte Sommerurlaub. Allerdings wie in einem schlechten Albtraum. Keine Familie, keine Freunde. Alles war anders. Er musste sich dringend etwas überlegen, um sie wieder aufzumuntern.

Plötzlich nahm er ein Geräusch wahr. Es folgten weitere. Zusammen ergaben sie eine wundervolle, süße Melodie, die ihn an seine Jugend zurückerinnerten. Das Klavier spielte weiter und wob ihn in die wundervollsten Gedanken ein, die er sich nur erträumen konnte. Fast wie in Trance wurde er zu dem großen Raum, am Ende des Flurs, hingezogen. Erst als die Melodie verklungen war, öffnete er die Augen und sah wieder klar. Luna saß in dem leeren Raum an einem Flügel. Irgendwie sah sie verloren aus. So ein winziges Geschöpf in einem so großen, leeren Raum, dachte er. Mit wenigen Schritten war er bei ihr.

Ich lasse meine Finger von den Tasten gleiten und seufze. "Das war wunderschön.", ertönt eine sanfte Stimme hinter mir. Erschrocken zucke ich zusammen. Ich hatte Damon nicht kommen hören. "Danke.", flüstere ich. "Ich wusste nicht, dass du Klavier spielen kannst.", er legt mir eine Hand auf die Schulter. Ich räuspere mich. "Ich hab es mal gelernt, wusste aber auch nicht, dass ich es noch kann.", gebe ich zu. Sorgsam sammele ich die alten Notenblätter ein und stehe von dem ledernen Hocker auf. Damon nimmt sie mir ab, während ich mich bücke, um die restlichen Sachen aufzuheben. "Was ist das?", fragt er vorsichtig nach. "Noten, Tagebücher, Notizen und sowas.", entgegne ich. "Meinetwegen können wir jetzt wieder fahren." "Bist du sicher?", Damon klingt besorgt. Ich nicke und gemeinsam lassen wir meine Vergangenheit ein für allemal hinter mir.

Es ist bereits fast dunkel, als Damon und ich endlich wieder zu Hause ankommen. Müde steige ich aus und gehe direkt aufs Haus zu. Kurz vor der Tür drehe ich mich noch einmal um. Erst jetzt fällt mir auf, dass Damon mir gar nicht folgt. Er steht immer noch beim Auto. "Alles okay?", frage ich. "Ich fahre das Auto noch in die Garage und hole deine Sachen. Geh ruhig schon ins Bett. Ich komme sofort." Ich drehe mich um, um die Haustür aufzuschließen. Doch noch bevor  ich den Schlüssel überhaupt ins Schloss stecken kann, öffnet sie sich bereits. Ich sehe langsam auf und blicke in Stefans besorgte Augen. Er geht einen Schritt zur Seite, um mich eintreten zu lassen. "Ich hab mir Sorgen gemacht.", Stefan klingt ruhig, aber hart. Ich bin viel zu ausgelaugt, um jetzt noch lange mit ihm zu diskutieren. "Es gab keinen Grund. Außerdem hättest du mich anrufen können." "Wie denn, wenn das hier bei mir war?", er hält mein Handy hoch. "Oh...", ist alles, was mir dazu einfällt. "Immerhin bist du diesmal nicht betrunken.", er schafft es sogar sich ein schwaches Lächeln abzuringen. Stefan macht sich wirkliche Sorgen um mich. Gern würde ich ihm sagen, dass das alles unbegründet ist. Doch das stimmt nicht. Ich bin dabei mich voll und ganz auf Damon einzulassen und wir beide wissen, wie gefährlich er sein kann. Und ehrlich gesagt, weiß ich nicht wozu er mich bringen könnte. Doch heute Nacht ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.

Ich gähne. Stefan mustert mich eindringlich. Seinem Ausdruck nach zu urteilen, sehe ich noch fertiger aus, als ich mich fühle. "Ich denke ich gehe ins Bett. Gute Nacht." Stefan nickt nur, während ich nach oben gehe. Trotzdem spüre ich seinen Blick in meinem Rücken. Ich habe Kopfschmerzen. Möglichst leise versuche ich Damons Zimmertür zu schließen. Jedes noch so kleine Geräusch scheint zu viel, für meine angespannten Nerven. Langsam sinke ich auf sein Bett. Am Rande meines Bewusstseins bemerkte ich noch, dass Damon sein Zimmer betritt und sich zu mir legt.  Doch nur einen Wimpernschlag später bin ich eingeschlafen.

"Hm....", langsam werde ich wach. Ein wenig unbeholfen taste ich in dem großen Bett umher, um zu sehen, on Damon da ist. Doch es bleibt ein Versuch. Im Zustand des Halbschlafes kann ich kaum sagen, wo ich liege und ich bin schon froh, dass ich nicht aus dem Bett falle. Mühsam setzte ich mich auf und blinzele. Nein, Damon ist nicht da. Angestrengt lausche ich in die Stille hinein. Und traue meinen Ohren kaum. Ist das wirklich? Das kann doch gar nicht sein! Ich springe aus dem Bett und hüpfe die Stufen mehr nach unten, als das ich laufe. Im Wohnzimmer bleibe ich wie angewurzelt stehen. "Oh du bist wach.", begrüßt Damon mich. "Ich...", mein Mund öffnet sich, aber ich finde keine Worte. "Ja?", fragt Damon aufmunternd. "Wieso ist mein Flügel hier?", stoße ich schließlich hervor. "Wieso nicht?" "Weil er nun mal nicht fliegen kann?" "Zumindest nicht von allein." Ich muss lachen. Dann werfe ich mich ungehemmt in Damons Arme. "Du bist ein Engel!" "Wohl eher das Gegenteil.", sagt er mehr zu sich selbst. Ich habe nicht vor darauf zu antworten. Ich will darüber nicht jetzt diskutieren, nicht heute. Langsam löse ich mich von Damon. "Was hast du da gespielt?", frage ich und werfe einen Blick auf die Noten. "Es war nur ein Versuch." Es ist das Stück, das ich gestern Nachmittag gespielt habe. Er ist so unglaublich süß. "Soll ich dir beibringen, wie man richtig spielt?", frage ich vergnügt darüber, dass es etwas gibt, dass ich besser kann als er. "Später vielleicht. Ich hab noch etwas zu erledigen. Bis heute Abend.", er küsst mich flüchtig und hat es dann plötzlich ziemlich eilig, mit seiner Jacke, das Haus zu verlassen.

Ich beschließe mich nicht weiter mit seinem Vorhaben zu beschäftigen. Stattdessen ziehe ich die Beine enger

an den Körper und setzte mich in den Lotussitz. Auf dem kleinen Klavierhocker ist das zwar etwas kompliziert, aber glücklicherweise besitze ich einen sehr ausgeprägten Gleichgewichtssinn.

Kurz darauf ertönen Schritte auf den Flur. Automatisch richte ich mich etwas höher auf. "Guten Morgen, Stefan.", sagte ich fröhlich. Er lächelt ebenfalls kurz. "Was ist....?" "Damon", unterbreche ich ihn. Er nickt. "Woher kommt der Flügel?", fragt Stefan nach einiger Überlegung. "Aus meinem alten Sommerhaus.", antworte ich mit belegter Stimme. "In Georgia? Wart ihr gestern dort?" Ich nicke. "Ist alles okay mit dir?", fragt er fürsorglich. "Ja, was sollte denn nicht in Ordnung sein.", ich lächele erneut. "Ich meine wegen Damon.", Stefan wird ernst. "Bist du dir wirklich sicher, dich darauf einzulassen?" "Stefan, ich weiß wie du über die Sache denkst, aber...." "Er ist nicht gut für dich. Das ganze ging einmal schief. Willst du dir das wirklich nochmal antun?" "Ich denke ich weiß am besten, was gut für mich ist. Außerdem, was hat er getan, was du nicht auch getan hast?", ich bemühe mich stark ruhig zu bleiben. Für einen Moment ist Stefan sprachlos. "Du hast Recht. Ich habe die gleichen Dinge getan, doch ich habe vor langer Zeit damit aufgehört." "Ich werde mich nicht ändern, nur weil ich jetzt mit Damon zusammen bin." "Er verändert jeden, der viel Zeit mit ihm verbringt. Er muss dich gar nicht bewusst manipulieren. Du wirst alles tun, damit es ihm gut geht, glaub mir. Er wird dich verändern.", Stefan ist komplett davon überzeugt. "Ich lasse mich nicht so einfach ändern, Stefan! Das müsstest du eigentlich am besten wissen. Ich dachte, gerade du würdest mich kennen!" Wütend stehe ich auf. "Luna, warte!", ruft er mir hinterher. Doch ich habe bereits die Tür hinter mir zugeschlagen. Ich stapfe die Auffahrt entlang. Mir ist warm, unendlich warm. Ich bin hungrig und verdammt wütend. Eine sehr schlechte Kombination. Einen Augenblick zögere ich, doch dann laufe ich direkt in den Wald, um mein größtes Verlangen zu erfüllen. Ich bin absolut nicht in der Stimmung, meiner sonstigen Vorgehensweise zu folgen. Also warte ich gar nicht lange, bevor ich mich auf den erst besten Hirsch stürze und sein Blut meine Kehle hinab rinnen lassen. Es fühlt sich großartig an, mit jedem Tropfen stärker zu werden.

Erst als es fast dunkel ist, befinde ich mich auf dem Weg nach Hause. Selbst meinen geschärften Augen fällt es schwer in dieser bewölkten Nacht viel zu erkennen. Mühsam fische ich den Haustürschlüssel aus meiner Hosentasche und schließe auf. Leise schließe ich die Tür uns seufze. Eigentlich wollte ich ohne Umschweife ins Bett gehen, doch vor dem Wohnzimmer bleibe ich stehen. Elena sitzt auf dem Sofa. Sie hat sich gemütlich an Stefan gekuschelt und den Kopf auf seine Schulter sinken lassen. "Hallo.", begrüße ich sie mit einem Lächeln. Elena wirkt leicht schockiert, bevor sie sich fängt. "Hallo, Luna." Ich werfe einen Blick in einen kleinen Spiegel, um meine Vermutung zu bestätigen. Ich sehe furchtbar aus: verfilztes Haar, dreckige Kleider und mir klebt noch etwas Blut am Mund. Schnell wische ich es ab. "Entschuldigung. Ich denke, ich sollte erst mal duschen gehen.", gebe ich zu bedenken. "Kein Problem. Schlaf gut." "Du auch.", ich schenke Elena noch ein Lächeln bevor ich die Stufen nach oben verschwinde. Stefan hat mich die ganze Zeit nur mit einem besorgten, bösen Blick angestarrt. Es ist also immer noch sauer. Ich hab nichts anderes erwartet. Plötzlich beginnt sich wieder Wut in mir anzusammeln. Deshalb ist Damon also so schnell verschwunden. Das wird ihm ganz sicher noch Leidtun.

Ich werfe meine dreckigen Kleider einfach auf den Boden und lasse mich dankbar vom heißen Wasser der Dusche säubern. Es tut gut all den Schmutz, der an mir haftet einfach abzuspülen. Wenn das doch auch so leicht mit anderen Dingen ginge. Ich seufze. Schließlich wickele ich mich in ein Handtuch und verlasse das Bad. Im Türrahmen zu meinem Zimmer bleibe ich allerdings sofort wieder stehen. Damon sitzt mit geschlossenen Augen auf meinem Bett. Ich ignoriere ihn einfach, um Unterwäsche und meine Jogginghose zusammenzusuchen. Zuletzt ziehe ich mir ein Top über und werfe das Handtuch zu der dreckigen Wäsche auf den Boden. "Hey.", begrüßt er mich zärtlich. "Setz dich zu mir." Sanft klopft er auf mein Bett. Ich setzte mich genau an entgegengesetzte Ende von ihm. "Wo warst du den ganzen Tag?", frage ich nur mit mühsam unterdrückter Wut. "Ich habe doch gesagt, dass ich zu tun hatte.", er klingt genauso ruhig wie zuvor. "Und du hast dich nicht zufällig vor deinem Bruder versteckt, um dir die 'Du-bist-nicht-gut-genug-für-Luna-Lass-sie-gefälligst-in-Ruhe-Predigt´ nicht anhören zu müssen? Ich durfte sie mir nämlich anhören.", ich kann einen Anflug von Bissigkeit nicht unterdrücken.  "Nein, ich hatte wirklich zu tun. Aber wenn du willst, gehe ich ohne Umschweife nach unten und höre sie mir an.", er klingt versöhnlich. "Elena ist da.", werfe ich ein. "Na und?" Ich muss lächeln. "Komm her.", diesmal folge ich seiner Aufforderung und schmiege mich an ihn. 

Tagebuch eines Vampirs- Die Vergangenheit  [Wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt