Kapitel 7

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Entsetzt schrecke ich auf. Mein Atem geht schnell. Ich versuche mich zu erinnern, was in meinem Traum mich so erschreckt hat. Doch ich erinnere mich nicht. Überhaupt, ich erinnere mich nicht mal mehr an den letzten Abend. Was ist nur passiert? Ich war mit Damon unterwegs. Tanzen. Ich habe auf jeden Fall zu viel Alkohol getrunken. Mir war nicht bewusst, dass auch Vampire einen Kater bekommen könne. Man lernt doch tatsächlich nie aus.

Starkes Sonnenlicht fällt durch das Fenster. Reflexartig greife ich an den Anhänger an meiner Kette. Es ist ein silbernes Amulett, in das ein Lapislazuli eingearbeitet ist. Mein Talisman gegen die Sonne.

Plötzlich fällt mir etwas ein. Wie kann die Sonne so früh am Morgen schon so stark scheinen? Ich greife nach meinem Wecker, den ich nach einem kurzen Blick sofort auf mein Bett fallen lasse, während ich aufspringe. Ich schnappe mir irgendwelche Klammotten und ziehe mich um. Eilig nehme ich meine Tasche und laufe die Treppen nach unten. Mit nur einem Schuh am Fuß und meiner Jacke unterm Arm hüpfe ich am Wohnzimmer vorbei. "Stopp.", ertönt Damons Stimme. "Geht nicht viel zu spät!", rufe ich zurück. Doch plötzlich steht Damon direkt vor mir. Ich laufe mit voller Wucht gegen ihn und lasse all meine Sachen fallen. "Was soll das?", frage ich vorwurfsvoll, wobei ich beginne meine Sachen aufzuheben. Damon bückt sich ebenfalls. "Du hast ja nicht auf mich gehört.", beginnt Damon. "Stefan hat dich schlafen lassen. Schulfrei." "Aha.", ich runzele die Stirn. "Meinen Schuh bitte?" Damon hält ihn in seiner Hand und begutachtet ihn eindringlich. Zögernd reicht er ihn mir. "Danke.", murmle ich. Dann stehen wir fast zeitgleich auf. Während er mir auch noch meine Jacke reicht, wirkt er zurückhaltend, fast schon schüchtern. Verwundert versuche ich ihm in die Augen zu sehen, doch er weicht meinem Blick aus. Er ist nicht zurückhaltend, er ist verwirrt und auch ein wenig verlegen. Ich seufze. "Damon, was auch immer letze Nacht passiert ist....", beginne ich. "Du erinnerst dich an nichts?", unterbricht Damon mich. "Wir waren tanzen, wir hatten Spaß und ich habe zu viel getrunken. Das ist alles." "ich hätte es wissen müssen.", sagt er eher zu sich selbst. Er geht an mir vorbei zur Küche. "Was hättest du wissen müssen?", ich folge ihm. Ich habe es offensichtlich wieder geschafft Damon zu verärgern, wenn ich diesmal auch nicht im Ansatz weiß wieso. "Ach nichts. Is schon gut.", das ist das erste Mal, dass ich Traurigkeit in seiner Stimme höre. Gerade deswegen glaube ich ihm kein Wort. "Gibst du mir auch eine Tasse?", frage ich vorsichtig nach. Wortlos reicht er mir den Kaffee. Erst will ich mich geschlagen geben und drehe mich um. Doch dann fasse ich einen Entschluss. Es könnte zwar gefährlich für mich sein, aber es ist trotzdem das richtige. Ich muss einfach herausfinden was gestern Nacht passiert ist. "Was ist gestern eigentlich zwischen uns vorgefallen?", frage ich fest. Innerlich wappne ich mich schon für das Schlimmste. "Nichts.", erwidert er ruhig. Ich traue meinen Ohren nicht. Normalerweise hätte Damon mir alles an den Kopf geworfen, was jemals zwischen und vorgefallen ist. Aber so? Das ist eine völlig neue Seite an ihm. "Damon, sag es mir bitte.", fordere ich ihn auf. "Ich muss los!" Noch bevor ich meinen Mund auch nur öffnen kann, ist er verschwunden. Fassungslos setzte ich mich auf das Sofa. Ich habe Damon in der Vergangenheit verdammt oft gereizt. Und langsam habe ich Angst. Er wird nie wirklich wütend, das ist das Problem. Er staut all die negativen Dinge in sich und rechnet dann irgendwann einfach ab. Ich habe Angst vor der Abrechnung, Angst vor dem, was er tun könnte. Was immer letzte Nacht passiert ist, hat ihn nicht mehr gereizt. Es hat ihn ernsthaft verletzt. Vermutlich mehr als alles andere was ich je zuvor getan habe. Das könnte ich spüren, allein an der Ruhe in seiner Stimme. Ich hatte nie vorgehabt ihn zu reizen geschweige denn zu verletzen. Offensichtlich habe ich beides letzte Nacht sehr gut hinbekommen.

Traurig betrat Damon den Wald. Aber er war nicht nur traurig, er war auch wütend. Zum Teil sogar auf sich selbst. Er hatte es sich nicht eingestehen wollen, doch jetzt gab es einfach keine Zweifel mehr. Er empfand etwas für sie. Wahre Gefühle.

Es war bereits später Nachmittag und Damon wurde hungrig. Er hätte große Lust gehabt, einen Menschen zu töten. Doch leider musste er sich ja anpassen. Seufzend machte er sich auf die Suche nach Waldtieren. Aber, schwor er sich, würde ihm im Wald ein Mensch begegnen, würde er ihn ohne zu zögern töten.

Erst als die Sonne ganz hinterm Horizont verschwunden war, trat Damon auf die Einfahrt der Villa. Trotz einer Entfernung von über 100 Metern, konnte er ihre Stimme hören. Zwar leise, aber doch deutlich. Sie unterhielt sich mit Stefan. "Nein! Und dann war er einfach weg.", sagte sie. "Bist du sicher? Und du hast keine Ahnung wo er sein könnte?", sein treuer, kleiner Bruder war immer so in Sorge. "Stefan, wenn ich wüsste wo er ist, würde ich mir keine Sorgen machen.", sie musste wohl um Beherrschung kämpfen. Sie atmete einmal tief durch. "Und du kannst mir wirklich nicht sagen, was gestern Nacht passiert ist?" "Nein, ihr kamt rein. Du bist auf seinem Arm schon fast eingeschlafen. Er hat dich in dein Zimmer gebracht und kurz danach ist er in sein Zimmer gegangen. Dann bin ich auch schlafen gegangen.", schloss Stefan.

"Was ist nur passiert?", frage ich traurig. In dem Moment betritt jemand das Haus. Erwartungsvoll setzte ich mich ein Stück höher auf. "Damon?", ich traue mich fast gar nicht seinen Namen auszurufen. Doch als Damon den Flur betritt und dort stehen bleibt, springe ich erlöst auf. Er scheint meine überschäumende Freude

bemerkt zu haben. Trotzdem sieht Damon immer noch nicht wieder normal aus. Unendlich lange sieht er zu Stefan und mir herüber. Langsam löst er sich aus seiner Starre und geht ohne ein Wort die Stufen nach oben. Mein Lächeln verblasst und ich sinke zurück auf das Sofa. Besorgt sieht Stefan mich an. Ich verstehe ihn ohne Worte, seine Augen sagen alles. "Bist du okay?", fragen sie. Allerdings bin ich nicht in der Lage zu antworten, dafür bin ich zu verletzt. Mit einem missglückten Versuch von einem Lächelns nicke ich. Lautlos verlässt er das Zimmer. Ich bin ihm dankbar, dass er versteht, dass ich Zeit brauche. Eine Weile starre ich Richtung Flur. Doch langsam verschwimmt alles vor meinen Augen. Sie füllen sich mit Tränen und, ohne, dass ich es verhindern kann, fliesen sie meine Wangen hinunter. Es hat schon lange keinen Sinn mehr, es zu leugnen. Ich würde hier nun nicht so sitzen, wenn es nicht so wäre. Ich liebe ihn!

Damon hörte sie noch lange leise schluchzen. Doch schließlich war es still. Sie hatte sich in den Schlaf geweint. Seinetwegen. Und dafür hasste er sich. 

Tagebuch eines Vampirs- Die Vergangenheit  [Wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt