Begegnung

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Die Einkaufstüte ist wie immer nur mit dem Nötigsten gefüllt, denn in der fünften Kaste haben wir nicht genug Geld, um sich Dinge wie Kekse, Schokolade oder Ähnliches zu kaufen, was mein kleiner Bruder Phill überhaupt nicht toll findet.
Es zerbricht mir immer das Herz, ihm keine Süßigkeiten zu kaufen.
Wie auch dieses Mal:
,,Och bitte! Die Kekse sehen total lecker aus! Und ich würde die auch mit euch teilen!“ Ich streiche meinem kleinen Bruder sanft durch die braunen, wirren Haare.
Er versteht das System mit den Kasten noch nicht.
,,Tut mir leid Phill, wir können uns die Kekse momentan nicht leisten“, erwidere ich, obwohl ich zugeben muss, dass ich diese Kekse wirklich gern mitnehmen würde... Aber was soll man machen? Wir schwimmen nun mal nicht im Geld.
„Bitte! Nur dieses eine Mal, Evelyn!“
Ich seufze.
„Vielleicht ja zu Weihnachten.“
Mit diesen Worten gibt er sich zufrieden.
Zu Hause angekommen setzte ich die Tüte, die hauptsächlich mit Gemüse gefüllt ist, in der Küche ab.
Ich blicke in die müden, grünen Augen meiner Mutter.
„Er wollte wieder Kekse haben“, murmele ich.
„Will er das nicht immer?“ Der Satz soll aufmunternd rüber kommen, aber er tut es nicht und das merkt meine Mutter auch selbst. Sie will nur das Beste für uns und ich weiß, dass sie am liebsten alle Kekse der Welt kaufen würde, aber es geht leider nicht.
Mein Vater ist Maler, meine Mutter singt bei Gelegenheit. Ich will gerne mitsingen, etwas Geld dazu verdienen, aber dafür fehlt mir, wie ich leider oft feststellen muss, die Begabung.
„Wann kommt Papa nach Haus?“ , frage ich.
„In einer Stunde. Hilfst du mir beim Kochen?“
„Ja mach ich.“
Ich fange an Karotten zu schneiden und meine Mutter setzt das Wasser auf. Heute gibt es wieder Suppe, aber ich bin froh, dass wir uns überhaupt etwas Warmes zu essen machen können.
„Ich werde gucken, ob ich irgendwo Arbeit finde“, sage ich, während ich das Gemüse in kleine Stücke schneide.
„Und an was hast du gedacht?“
„ Ich weiß es noch nicht“, gebe ich kleinlaut zu.
„Aber ich werde bestimmt irgendwas finden!“
Ohne ein weiteres Wort fällt mir meine Mutter in die Arme und ich merke, wie sie zu weinen anfängt.
Ich streiche ihr beruhigend über den Rücken.
„Es tut mir so leid“, schluchzt sie.
„Ihr hättet eine unbeschwerte Kindheit haben, sollen aber stattdessen ...“ Sie beendet den Satz nicht.
„Wir hatten eine tolle Kindheit und haben es immer noch. Nur weil wir uns mal Dinge nicht leisten können, heißt es nicht, dass unser Leben nicht schön ist“, flüstere ich.
„Ich mach mir nur Vorwürfe. Ich hätte härter arbeiten müssen“, schluchzt sie daraufhin.
„Du arbeitest hart genug“, sage ich.
Und das stimmt wirklich.
„Aber es ist mal an der Zeit, dass ich auch was Geld verdiene.“
Sie blickt mich an.
„Das würde uns vielleicht was helfen, da hast du recht.“ Ich merke, dass es ihr leid tat, aber das muss es ihr nicht. Ich werde es gerne machen.
Mein Vater kommt erschöpft nach Hause, aber anstatt direkt ins Bett zu gehen, will er es sich nicht nehmen lassen, mit uns zusammen zu essen.
Er hat tiefe Ringe unter den Augen und Farbe in den blonden Haaren. Meine Haare sind genau so blond wie die meines Vaters, während die Haare von Phill dieselbe Farbe haben wie die meiner Mutter. Dafür habe ich die grünen Augen von meiner Mutter und Phill die blauen Augen von meinem Vater.
Wir essen gemeinsam und dann ist es auch schon Zeit zu schlafen.
Ich gehe die Holztreppe hoch, die bei jedem Schritt knarzt, und mache mich auf den Weg in mein Zimmer.

Am nächsten Morgen bin ich sofort wach. Heute werde ich mir einen Job suchen!
Voller Motivation gehe ich die Treppe hinunter und drücke meinem Bruder und meiner Mutter einen Kuss auf die Wange, mein Vater ist schon Arbeiten. Ich weiß auch schon wo ich hin wollte. Zum Palast. Die brauchen doch bestimmt immer irgendwie Zofen oder so was. Vielleicht bin ich sogar dafür geeignet, ich meine, es ist bestimmt nicht so schwer der königlichen Familie hinterher zu räumen und außerdem wird man bestimmt gut bezahlt.
Das wäre echt toll, wenn ich da einen Job bekommen würde.

Der Palast erscheint richtig groß, als ich davor stehe. Aber die Frage ist jetzt: Wie kann ich mit jemanden sprechen, der mich einstellen könnte?
Ich suche die Gegend vor dem Palast ab und finde schließlich auch einen Wachmann, der Patrouille steht. Der Mann sieht jetzt nicht super freundlich aus, aber man kann es ja versuchen. Mehr als eine Abfuhr kann ich ja nicht bekommen. Ich gehe mit schnellen Schritten auf diesen Typen zu.
„Entschuldigung?“ Sein Blick liegt auf mir. „Ich würde gerne als Zofe im Palast arbeiten, wenn das ginge. Wüssten Sie, an wen ich mich wenden müsste?“ Ich setze noch ein freundliches Lächeln auf. Der Wachmann schaut mich von oben bis unten an, bis er zu sprechen beginnt: „Sie sollten sich an Miss Vanwallow wenden, Sie würde das dann entscheiden.“ Okay netter und deutlicher geht es ja wohl nicht. Ironie lässt grüßen. Wer ist denn jetzt bitte Miss Vanwallow?
„Und wie finde ich Sie?“
„Sie gehen um den Palast herum, bis Sie eine schmale Tür sehen. Da klopfen Sie an und bitten um ein Gespräch mit Ihr.“ An seinem Tonfall kann ich deuten, dass ich dem echt auf die Nerven gehe. Sein Problem.
„Dankeschön.“ Ich folge seinen Anweisungen und finde wirklich ziemlich schnell eine Tür, die zu der „ausführlichen“ Beschreibung von dem netten Mister Eisklotz übereinstimmen.
Ich atme noch ein Mal tief durch und klopfe an.
Die Tür wird von einer älteren Dame geöffnet. Sie hat einen leicht gekrümmten Rücken und ihre Haare sind streng nach hinten gebunden.
„Hallo, ich bin Evelyn Barnes. Sind Sie Miss Vanwallow?“
„Ja die bin ich, wie kann ich dir helfen?“ Zu meiner Überraschung ist sie echt nett.
„Ich suche einen Job, und ich dachte, dass ich vielleicht hier als Zofe arbeiten könnte.“ Sie sieht mich freundlich an.
„Komm doch erst mal rein, dann können wir alles besprechen.“ Sie öffnet die Tür weiter und ich kann eintreten. Ich befinde mich in einer Küche. Überall sehe ich Lebensmittel.
Sie biete mir einen Stuhl an, auf dem ich mich auch setze. Sie setzt sich mir gegenüber.
„Warum möchtest du hier arbeiten?'“, beginnt sie das Gespräch.
„Weil meine Familie und ich das Geld brauchen“, antworte ich wahrheitsgemäß.
Sie lächelt mich mitfühlend an. Okay, das wollte ich nicht bezwecken, aber na gut.
„Irgendwelche besonderen Talente?“, fragt sie und beugt sich leicht vor.
„Also ich kann putzen, Wäsche waschen und generell Hausarbeit erledigen.“
„Kannst du dich anständig benehmen?“
„Ja. Meine Eltern haben mich gut erzogen“, antworte ich.
„Du machst einen vernünftigen Eindruck“, sagt sie nach einer Pause, in der sie mich gründlich mustert.
„Danke.“ Ich lächele verlegen.
„Ich denke, du fängst nächste Woche an, damit ich gucken kann, wie du dich anstellst. Aber dir ist schon klar, dass du mit anderen Mädchen zusammenwohnen musst und der Job stressig werden kann?“ Okay… das ist mir nicht ganz klar.
„Hier wohnen?“
„Ja. Du kannst deine Familie dann an freien Tagen besuchen.“
„Natürlich.“
„Wenn du willst, kannst du nächste Woche schon kommen. Dann werden wir ja sehen, wie du dich anstellst.“ Sie schenkt mir ein Lächeln.
„Das ist gut. Dann bin ich nächste Woche um diese Zeit hier.“
„Das freut mich.“ Sie erhebt sich und ich tue es ihr gleich. Sie begleitet mich noch zur Tür.
„Danke noch mal.“
Sie lächelt mich zufrieden an und nickt mir zum Abschied zu.
Das hat echt super geklappt. Ich kann vor Freude ausrasten. Nur das mit dem da Einziehen finde ich noch nicht ganz zufriedenstellend, aber da muss ich dann durch.
Ich will unbedingt meiner Familie davon erzählen, also renne ich los. Ich renne über die Straße, und als ich um die Ecke rennen will, laufe ich gegen irgendetwas und lande somit auf den Boden. Mein Hintern schmerzt total und ich stoße Flüche aus.
„Oh Gott! Hast du dir wehgetan? Tut mir leid!“ Erst jetzt bemerke ich eine Hand, welche mir aufhelfen will, die ich aber ablehne. Ich versuche mich mühsam wieder hinzustellen, was irgendwie mit einem schmerzenden Po gar nicht so einfach ist.
„Nein, mir tut es leid. Ich hätte nicht rennen sollen.“ Erst jetzt sehe ich mein Hindernis an und ich merke, wie ich mich langsam in eine Tomate verwandel.
Der Typ sieht echt gut aus. Er ist vielleicht so 18-19 Jahre alt und hat dunkle Haare und braune Augen.
„Wie unhöflich von mir. Ich bin Alex.“
„Ich bin Evelyn.“ Ich klopfe mir den Dreck von den Klamotten.
„Hab ich dir denn wehgetan?“, frage ich.
„Nein, ist alles Okay“, versichert er mir.
„Ich denke ... Ich meine. Ich glaub, ich muss jetzt los.“ Für diesen Satz könnte ich mir eine Ohrfeige geben.
„Okay, vielleicht sieht man sich ja noch mal.“ Er grinst mich überheblich an. Der Mistkerl merkt, wie peinlich mir die ganze Situation ist.
„Ja bestimmt.“ Ich verabschiede mich mit einem knappen „Tschüss“ und gehe weiter. Ich werde mich jetzt nicht noch mal umdrehen.

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