Zu heiß

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Die Madame thront vor ihrem Schminkspiegel und lässt sich von Ellie die Haare kämmen. Arme Ellie. Rachel würdigt mich keines Blickes und Ellie schaut eingeschüchtert mit gesenktem Kopf auf die Haarbürste, die sie durch Rachels Haare gleiten lässt.
„Ihr Essen“, kündige ich knapp an und knickse. Ich würde ihr das Essen am liebsten über den Kopf kippen, aber ich will meinen Job noch behalten.
„Wie schön“, seufzt sie und macht Ellie mit einer Handbewegung deutlich, dass sie aufhören soll. Ellie tritt einen Schritt zurück und legt beide Hände um die Bürste. Ich stelle das Tablett vor ihr ab, hebe den Deckel, den ich darauf neben den Teller platziere, knickse und will mich abwenden, doch sie bittet mich, zu bleiben. Also bleibe ich widerwillig stehen. Was soll ich denn hier auch noch? Rachel seufzt erneut. Diesmal theatralischer. Und ich muss mir auch ein Seufzen verkneifen, aber nur, da die Kartoffeln und das Fleisch so Lecker aussehen.
„Wie ich befürchtet habe“, sagt sie bedauernd. „Kalt...“
Das kann doch nicht kalt sein! Okay ich habe etwas getrödelt, aber so schnell kann etwas nicht kalt werden! Sie hat ja nicht mal probiert, geschweige denn daran gefühlt.
„Sie scheinen ja wahrhaft ein Talent zur Unfähigkeit zu besitzen“, sagt sie und dreht sich zu mir. Sie zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich von oben bis unten. Ich sehe Hilfe suchend zu Ellie, doch diese steht mit gesenktem Kopf immer noch da, wo sie auch vor wenigen Minuten gestanden hat und scheint sich nicht mal einen Millimeter bewegt zu haben. Wenn ich schon keine Hilfe von Ellie bekomme, dann muss ich da eben selbst durch. Doch trotzdem bleibe ich höflich.
„Entschuldigen Sie Miss...“
„Das ist schon das zweite mal. Ich kann das nicht noch länger ertragen.“ Sie legt ihren Handrücken auf die Stirn.
Nicht noch länger ertragen? Ich habe mir kleine Fehltritte erlaubt, aber deswegen so zu übertreiben?
„Ich kann ihr Essen noch mal aufwärmen, Miss“, gebe ich leise von mir. Innerlich brodel ich jedoch vor Wut, aber ich sollte das besser im Zaum halten, bevor ich noch mehr Schaden anrichte.
„Das ist die letzte Chance. Beim nächsten Mal werde ich mich bei Alexander beschweren gehen“ Sie schaut mich aus zusammengekniffenen Augen an und streckt ihr Kinn in die Höhe. Sie hat hier überhaupt nichts zu sagen! Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche meine immer mehr aufsteigende Wut zu kaschieren. Ich schnappe mir das Tablett und gehe mit raschen Schritten aus dem Zimmer und die Tür fällt hinter mir ins Schloss.
„Blöde Zicke“, zische ich und gehe den langen, hell beleuchteten Flur entlang. „Wer denkt sie eigentlich, wer sie ist?“ Meine Hände umklammern das Tablett so fest, dass die Knochen weiß hervor schimmern. „Die kann sich auf was gefasst machen“, fahre ich mein Selbstgespräch fort. Ich werde das Essen auf 500℃ erhitzen! Okay das werde ich wohl kaum hinbekommen, aber ich werde mein bestes tun. Vielleicht kippe ich da noch Chili rein, um die Hitze geschmacklich noch etwas zu unterstreichen!

Ich stelle den Teller mit Tatendrang in so eine Kiste, dessen Name ich vergessen habe, und lasse das Essen erhitzen. Ich habe den Schalter an der Seite auf die höchste Stufe gestellt und warte, bis dieses komische Ding anfängt zu piepsen, und somit meldet, dass das Essen heiß genug ist. Währenddessen mache ich mich auf die Suche, nach irgendetwas scharfen. Im Schrank über einen der vier Herde finde ich nun endlich mehrere Arten von Gewürzen und ich muss schon schadenfreudig grinsen. Auf den Gläsern stehen die Namen, weswegen es mir so umso leichter fällt, das Chili zu finden, was in der hintersten Ecke steht. Ich greife danach und mustere das rote Pulver, doch umso mehr ich darauf schaue, desto weniger Mut bekomme ich, dass zu tun, was ich vorhabe und stelle das Glas, enttäuscht von mir selbst, wieder zurück in den Schrank und schließe daraufhin die hölzernen Schranktüren. Das Piepsen ertönt und ich hole den dampfenden Teller mit Kochlappen, die meine Hände vor der Hitze schützen, aus der Kiste und stelle ihn zurück auf das Tablett, welches ich sofort nehme und durch die Küche in die langen Flure gehe.

Ich klopfe an und die abscheuliche Stimme von Rachel ertönt.
„Scheint, als wäre ein anderes Dienstmädchen dir zuvor gekommen“, redet sie sofort los, bevor ich richtig eintreten kann, und schiebt sich ein Stück Kartoffel in den Mund und lässt die Zähne über die Gabel streifen, dessen Metall zu quietschen anfängt und meine Haut mit einer Gänsehaut darauf reagierte.
„Sie hat es wenigstens hinbekommen, die Speise warm auszuteilen“, fährt sie fort und ein mildes Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen.
„Ich würde jetzt gerne alleine weiter dinieren.“
Ich knickse und gehe.
Ich mag sie so überhaupt nicht. Wutentbrannt und mit knirschenden Zähnen will ich beim nächsten Zimmer anklopfen, da öffnet sich jedoch die Tür schräg gegenüber und Helen tritt aus dem Zimmer. Sie teilt mir mit, dass die anderen bereits versorgt waren und ich lasse meinen Arm fallen, den ich zum Klopfen angehoben habe. Dann bekomm eben keiner der Mädchen das zu heiße Mahl.
„Aber die Königsfamilie hatte noch nichts“, fügt sie hinzu und wendet sich ab. Ich starre auf mein Tablett und beschließe nach kurzem Überlegen, dies zu Alex zu bringen. Er kann mich vielleicht verstehen, warum ich so gehandelt habe. Nicht, dass ich will, dass er sich verbrennt, aber besser bei ihm, als bei seiner Mutter oder seinem Vater. Und vielleicht ist es bis dahin auch abgekühlt. Ich werde Alex natürlich auch Bescheid sagen, dass es ein bisschen zu heiß ist. Aber bei seinen Eltern kommt es etwas blöd, wenn ich sage: „ Ja tut mir leid. Eigentlich war das für Miss Rachel vorgesehen, weil ich die nicht leiden kann und ich wollte, dass sie sich ihre Zunge wegflammt. Aber die hatte schon, und jetzt ist es für Sie.“ Und das am besten mit einem süßen Lächeln auf den Lippen. Und in dem Moment bin ich so froh, dass ich mich doch gegen das Chili entschieden habe. Natürlich kann ich auch lügen oder warten, bis es abgekühlt ist. Aber so habe ich wenigstens die Gelegenheit wieder Alex zu sehen, obwohl wir schon genug Zeit zusammen im Bunker verbracht haben. Bei der Erinnerung fängt mein Herz prompt wieder an zu schlagen und ein leichtes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Ich gehe also durch die Gänge und schaue durch die großen, mit beigefarbenen Vorhängen gesäumten Fenster, auf dessen anderer Seite die Sonne dem Mond Platz macht. Der Himmel ist in einem dunkelblau gefärbt und der Kontrast zwischen den Sternen, die um die Wette funkeln, ist einfach atemberaubend schön. Doch meinen Blick muss sich abwenden, als ich um die Ecke gehen muss und der Gang sich ohne Fenster vor mir erstreckte, und an dessen Stelle Bilder die Wand verzieren. Ich steige eine Treppe hinauf, bei dessen Ende sich wieder ein Gang erstreckt und ich nach weiteren Schritten vor Alex Tür stehe, und in seinem Zimmer wieder diese traumhafte Aussicht auf mich warten wird.

Ich klopfe an Alex' Tür und warte auf eine Antwort, die ich auch nach wenigen Sekunden erhalte und eintrete. Alex sitzt, wie so oft, vor seinem Schreibtisch, jedoch ist diesmal der Anblick, der sich mir bietet etwas anders. Er sitzt nicht vor gedruckten Kram, sondern er hält einen Füller in der Hand und scheint selbst etwas zu verfassen und der Himmel ist jetzt vollkommen vergessen.
Ich kann zwar nicht lesen, was da steht, jedoch fällt mir seine Handschrift auf, die in Schnörkeln ineinanderzugreifen scheint. Als er bemerkt, dass ich näher trete, fängt er an die Blätter wegzuräumen und unordentlich in eines der Fächer seines Schreibtisches zu legen, was mir einen kleinen Stich versetzt. Anscheinend will er nicht, dass ich sehe, was er schreibt. Er hat mir ja mal erzählt, dass er gerne Geschichten schreibt und vielleicht ist es ja das, was er gerade versucht vor mir zu verheimlichen. Ich will darauf aber nicht eingehen und stelle das Tabletten vor ihm ab und hebe den viel zu heißen Deckel an, worauf ich mich verbrenne und ihn ungeschickt neben den Teller fallen lasse, was ein unangenehmes Metall-auf-Metall Geräusch verursacht. Dampf steigt vom Fleisch und den Kartoffeln auf und erst jetzt bemerke ich, dass sich Kondenswasser im Runden Deckel gebildet hatte und nun zusammenläuft. Alex mustert mich mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Scheint wohl sehr heiß zu sein“, schnaubt er und greift nach der Gabel, um damit die Kartoffeln zu zerquetschen, wobei noch mehr Dampf aufsteigt. Ich schiebe mir ertappt eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Nun ja...“, fange ich an und Alex lehnt sich mit verschränkten Armen gegen die Stuhllehne und grinste selbstgefällig.
„Du kennst doch diese Rachel...“, fahre ich langsam fort. „Sie hatte sich darüber beschwert, dass das Essen zu kalt war und...“
„Und da hast du gedacht, du erhitzt es mal so auf 1000℃?“, beendet er meinen Satz, und als ich ihn entschuldigend anlächel, schnaubt er belustigt und fährt sich mit einem tiefen Lachen mit der Hand durch die Haare.
„Und warum habe ich das jetzt?“, fragt er grinsend und schaut zu mir hoch.
„Mir ist halt jemand zuvor gekommen und dann meinte Helen, dass du noch nichts hast.“
„Ach und dann dachtest du dir, dass ich mir dann eben den Gaumen verbrennen kann?“ Seine Belustigung tritt deutlich aus der Stimme hervor.
„Sei froh, dass ich da nicht doch noch Chili rein getan habe“, murmel ich.
„Chili?“, fragt mich Alex leicht entgeistert, aber dennoch kann er sich das Grinsen nicht verkneifen.
„Ja aber ich hab es ja nicht gemacht“, sage ich beschämt, weil mir klar wird, wie albern und kindisch die ganze Aktion von mir gewesen ist.
„Da kannst du auch froh drum sein“, setzt er an, aber diesmal ist er ernst. „Das hätte dich deinen Job kosten können. Es hätte auch zu einer Anklage wegen Körperverletzung enden können. Du weißt, dass die Gesetze hier streng sind.“ Seine Miene verliert nun ganz die Belustigung und macht Besorgnis platz.
„Aber sie wollte es ja warm“, versuche ich mich zu verteidigen.
„Ja. Warm“, lacht er ironisch auf und betont das Wort „warm“ besonders.
„Muss ich jetzt Angst davor haben, dich in die Nähe der Mädchen zu lassen?“, fragt er spaßeshalber, aber trotzdem ist die Frage auch etwas ernst gemeint. Ich gucke bestürzt auf meine schwarzen Schuhe. Er zieht mich am Handgelenk auf seinen Schoß und ich vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge.
„Nein“, sage ich, aber meine Stimme klingt abgedämpft, da ich in seinen Hals nuschel.
„Ich vertraue dir da mal“, murmelt Alex und ich höre das Lächeln aus seiner Stimme raus.
Er streichelt zuerst meinem Kopf, aber fährt dann mit seinen Händen meinen Rücken entlang, um mich an der Taille noch etwas fester an sich zu ziehen.
„Ich hab übrigens Neuigkeiten“, sagt er nach einigen Minuten des Schweigens und seine Stimme klingt zögerlich.
„Die da wären?“, frage ich nach und hebe meinen Kopf, um ihm in die Augen zu sehen.
„Meine Eltern halten es für eine gute Idee, einen Ball zu veranstalten. Um den Rebellen zu zeigen, dass wir uns nicht geschlagen geben und jetzt richtig auf den Putz hauen“, sagt er und ich versteife mich.
„Mit den Mädchen?“
„Mit den Mädchen“, bestätigt er. „Aber es werden noch andere kommen. Auch welche aus der zweiten Kaste. Ich weiß nicht, ob du es wusstest. Aber wir haben jedes Jahr einen Ball veranstaltet und jetzt wird der eben vorverlegt.“ Er klingt nicht begeistert und ich schaue ihn entgeistert an.
„Wie dumm ist das denn?“
„Ich weiß, was du jetzt denkst“, fährt er fort. „Aber das Thema wird Maskenball sein.“ Und ein schelmisches Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht.

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