Kekse

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„Du kannst nach Hause gehen“, sagt Miss Vanwallow beim Vorbeigehen.
„Wir sehen uns in zwei Tagen.“
Ich bleibe verdutzt stehen. Ich habe total verpeilt, dass heute Freitag ist, aber irgendwie will ich noch nicht nach Hause. Eigentlich schon, aber ich bin neugierig, was Alex seinem Vater erzählt obwohl, jetzt würde ich sowieso nichts mitbekommen.
„Mädchen?“
Miss Vanwallow schnippt vor meinem Gesicht mit den Fingern und reißt mich somit aus meinen Gedanken.
„Abmarsch“, tadelt sie und schenkt mir noch ein Lächeln, als ich mich verabschiede und gehe.
Ich muss keine Sachen mitnehmen, weswegen ich mich nur umziehen muss und sofort nach Hause gehen kann.
Ich gehe durch das Tor an dem Louis? Lutz? Lukas? Leon?
Der Geliebte von Ellie steht und nur stur geradeaus starrt.

Als ich zu Hause bin, werde ich erst mal von meiner ganzen Familie zerquetscht. Aber es ist ein liebevolles Zerquetschen, weswegen mich das nicht stört.
Die Fragen kommen sofort.
„Ich habe gehört, gestern haben die eine Party geschmissen!“, kommt es von meinem Bruder.
„Hast du wichtige Menschen kennengelernt?“ Von meinem Vater.
„Sind die alle immer noch nett zu dir?“, quatscht meine Mutter dazwischen.
„War der Botschafter von Neu Griechenland auch da?“, fragte mein Vater.
„Gibt es viel zu essen?“, interessiert sich mein Bruder. Ich komme gar nicht hinterher mit den ganzen Fragen und ich brauche echt lange, um alle beim Essen zu beantworten.
Ich kann es ihnen auch nicht verübeln. Die Situation ist für uns alle irgendwie neu.
Wir tratschen sonst noch viel über die Ereignisse der letzten Woche. Mein Vater verdient im Moment relativ gut. Meine Mutter hat in der Woche zwei Auftritte und Phill liegt wie immer faul zu Hause rum oder hat mit Freunden gespielt. Das Leben geht für sie normal weiter, während meines sich von Grund auf verändert.
Ich genieße die Zeit bei ihnen zu sein. Ich habe mich lange nicht mehr so geborgen gefühlt und ich freue mich schon auf mein Bett. Es ist zwar nicht gemütlicher, als das im Palast, aber es ist halt vertraut.
Und am Abend ist es so weit. Ich darf mich hinlegen!
Ich gebe noch jedem einen Guten Nacht Kuss und steige die knarzende Treppe hoch. Wie ich dieses Geräusch vermisst habe.
Ich schlafe sofort ein.

Am Morgen werde ich von Phill geweckt, der wie ein Irrer auf mich draufspringt. Ich gebe nur ein unverständliches Geräusch von mir. Ich will echt mal ausschlafen.
„Aufstehen du Schlafmütze“, schreit mein Bruder und fängt an zu hopsen.
„Wir haben schon etwas Geld vom Palast bekommen und es reicht dicke für eine Packung Schokoladenkekse!''
Ich werde hellwach.
„Ja dann müssen wir uns aber beeilen, dass wir noch welche bekommen!“, schreie ich schon fast euphorisch.
„Wir gehen jetzt echt Kekse kaufen?“ Die Augen meines Bruders werden riesig und dann lächelt er.
„Dann zieh dich an!“, sagt er und rennt die Treppe runter.
„Mama! Evelyn und ich gehen jetzt Kekse kaufen!“, höre ich ihn noch rufen.
Ich springe aus dem Bett, wasche mich und zieht mich so schnell es geht an.
„Du hast aber lange gebraucht“, tadelt mein Bruder, als ich runter komme.
„Besser so, als zu stinken“, lache ich.
„Das ist den Keksen egal und jetzt komm!“ Mein Bruder rennt raus und ich habe Mühe mitzuhalten.
Wir rennen über die Straße und die alte Gasse entlang, bis wir am Geschäft angekommen sind.
Mein Bruder rennt rein und bleibt erst vor den Keksen stehen.
Er greift zielstrebig nach einer Packung und hält sie mir vor die Nase.
„Da sind fünf drin“, grinse mein Bruder mich an.
„Ja dann nehmen wir die doch. Dann können Mama und Papa auch einen haben“, sage ich.
„Und was ist mit dem Fünften?“, fragt er.
„Ja den bekomm ich“, lache ich.
„Wie wär's damit, wenn wir uns den fünften Teilen?“, frage mich mein Bruder scheinheilig.
„Es wäre ja Unfaire, wenn du zwei bekommst und der Rest nur einen", fährt er fort. Hätte er eine Brille angehabt, hätte er sich die auch noch besserwisserisch hochgeschoben.
„Ach findest du, Ja? Ich finde das eigentlich gerecht“, sage ich und wuschel Phill durch die Haare.
„Du bist ein fieser Mensch, Evelyn.“
„Und du eine faule Socke“, lache ich.
Ich zahle und wir machen uns auf den Weg nach Hause.
Ich darf mir die ganze Strecke über das glückselige Quietschen und das Mehrfache „Danke“ meines Bruders anhören. Aber es ist schön, ihn so glücklich zu erleben.
Wir kommen zu Hause an und Phill hält sofort unserer Mutter die Kekse vor die Nase.
„Wie toll Phill! Sind die ganz alleine für mich?“, zieht meine Mutter ihn auf.

Am Abend, als mein Vater auch nach Hause kommt, machen wir nach dem Kartoffelpüree die Kekse auf und verteilen sie mehr oder weniger gerecht an alle. Mehr oder weniger gerecht heißt in dem Fall, dass Phill den fünften Keks noch dazubekommt und zwei hat, was aber keiner schlimm findet. Er hat sich ja schließlich so darauf gefreut und immerhin ist er der Jüngste.
Der Keks schmeckt wirklich toll und ich würde echt gerne den Zweiten dazu gehaben, aber was opfert man nicht für seine Geschwister.
„Das schmeckt so gut“, stöhnt Phill und nach jedem Bissen gibt er irgendeinen Laut von sich.
„Die waren wirklich lecker. Pass auf, dass ich dir deinen nicht noch klaue“, scherzt mein Vater.
„Nein das find ich nicht in Ordnung“, sagt Phill und beißt beherzt in seinen Keks.

Der Abend vergeht schnell und ich muss früh ins Bett, um Morgen wieder pünktlich um 6:00 Uhr im Palast zu sein. Also gehe ich schon ins Bett. Jedoch brauche ich echt lange, um einzuschlafen. Meine Gedanken kreisen die ganze Zeit nur um Alex und über das Gespräch. Ich stelle mir Fragen, über die ich besser nicht hätte, nachgedacht sollen. Doch irgendwann wird mein Körper schwer und ich drifte in einen traumlosen Schlaf.
Um 4:00 Uhr werde ich wach und fange langsam an mich fertigzumachen.
Ich gehe Baden, putze mir die Zähne und ziehe mir einen Pullover an, der am Saum schon zahlreiche Löcher hat.
Ich schleiche leise in das Zimmer meines Bruders, um mich kurz von ihm zu verabschieden.
Phill liegt sabbernd auf dem Kissen und ich drücke ihm noch einen Kuss auf die Wange.
Meine Eltern schlafen auch noch, weswegen ich ihnen auch nur noch ein Küsschen gebe und leise aus dem Haus gehe.
Es ist noch dunkel und die kühle Morgenluft umfängt mich und streicht über meinen Körper, der sofort auf die kalte Berührung des leichten Windes mit Gänsehaut reagiert.
Ich gehe, den mir nun schon etwas vertrauten Weg, zum Palast und brauche ungefähr eine halbe Stunde, bis ich da bin.
Am Tor stehen Wachen, die ich noch nicht kenne, kann aber ohne Weiteres passieren.
Ich gehe durch die Küche und lege mich im Schlafsaal noch etwas in mein Bett, bis mir der Gedanke kommt, dass ich vielleicht Alex besuchen gehen kann, um ihn zu fragen, was noch alles so passiert ist. Also beschließe ich, mich in meine Arbeitskleidung zu werfen und als Tarnung Tee mitzunehmen. Ich koche also den Tee und gehe so leise wie möglich, die vielen Fluren entlang, bis ich vor Alex’ Tür stehe.
Ich versuche leise, aber laut genug zu klopfen.
Ich rechne damit, dass mir sowieso niemand antwortet, aber überraschenderweise, wird die Tür von Alex aufgezogen.
„Was zum...?“ Alex mustert mich und zieht mich sofort in sein Zimmer und schließt die Tür hinter mir.
„Ich wollte Tee vorbeibringen“, sage ich und lächel entschuldigend.
„Du willst wissen, worüber wir geredet haben, stimmt's?“, seufzt er und ich nicke.
Alex nimmt mir den Tee aus der Hand und stellte ihn auf seinen Schreibtisch.
„Ich habe ihm gesagt, was ich von der Selection halte und habe ihn gefragt, was wäre, wenn ich mich schon verliebt hätte“, fängt er an und reibt sich mit der Hand über den Nacken.
„Er meinte darauf nur, dass er trotzdem die Selection durchziehen wollen würde...Aus den „einfachen“ Gründen, dass das ja Tradition ist und die Sendung die Leute etwas beruhigt. Er will quasi versuchen mit der Sendung den Leuten die Augen vor ihren eigentlichen Problemen zu schließen.“
„Aber das ist doch totaler Quatsch!“
„Ich weiß...“, flüstert Alex.
„Aber deine Eltern, wissen nicht, dass du dich in mich...“, ich traue, gar nicht den Satz zu Ende zu sprechen.
„Gesagt habe ich es nicht, aber sie ahnen es. Die Frage ist für sie halt nur: In wen. Es wird Schlagzeilen machen, wenn herauskommt, dass ich mich außerhalb der Selection in eine, Entschuldigung für das Wort, Angestellte verliebt habe.“ „Angestellte.“ Dieses Wort tut irgendwie weh.
„Dann hat dein Vater wenigstens das, was er will!“, zische ich vor Wut.
„Dann hat er das was er will“, wiederholt Alex und ihm scheint ein Licht aufzugehen. Mir gefällt der Blick ganz und gar nicht.

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