Rebellen

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Getarnt mit einer Tasse Kaffee, mache ich mich auf den Weg zu Alex. Er hat zwar nicht danach gefragt, aber schließlich will er doch noch mit mir reden. Das habe ich zumindest bei seinem ganzen Rumgefuchtel nach dem Empfang der Zicken so verstanden. Ich biege um die Ecke und stehe nach wenigen Schritten auch schon vor seiner Tür. Ich klopfe an und warte wie immer auf eine Antwort und gehe rein. Alex steht in Jogginghose und T-Shirt in der Mitte des Raumes und rubbelt sich die nassen Haare mit einem Handtuch trocken.
„Und dabei habe ich die Frisur so gut hinbekommen“, beschwere ich mich und stelle den Kaffee auf seinen Schreibtisch ab.
„Und warum schon in Jogginghose?“, hake ich noch mal nach. Ich habe jetzt nicht gedacht, dass er so was, wie eine Jogginghose überhaupt besitzt.
„Weil ich eh keine Lust habe, mich heute noch mal vor den Mädchen blicken zu lassen und ich mich deswegen auch nicht schick machen muss“, murmelt er in einer tiefen Stimme, während er sein nasses Handtuch über die Stuhllehne hängt.
„Wegen der Frisur... Tut mir ja echt leid“, fügt er noch ironisch hinzu und sieht mich verschmitzt an.
So sieht er auf jeden Fall besser aus, weswegen es mich nicht wirklich stört, dass seine Haare verwuschelt vom Kopf stehen.
„Und...?“, frage ich zögerlich nach. „Eine dabei, die... ganz nett ist?“
„Ouh ja“, entgegnet Alex.
„Eine hast du ja heute kennengelernt. Rachel.“
Er fährt sich durch die nassen Haare.
„Die ist suuuuper nett und scheint sich hier auch schon wohlzufühlen.“ Das Wort ,,super,, betont er besonders ironisch und kommt näher auf mich zu.
„Ich mag die nicht. Meinst du, die geht freiwillig?“
„Als ob“, schnauft er und vergräbt seine Hände in den Hosentaschen.
„Morgen werde ich mich wohl mit Midea treffen“, murmelt er.
„Ach ist doch schön.“ Ich versuche, mir meine Eifersucht nicht anmerken zu lassen.
„Und was macht ihr so?“
„Essen oder so was“, sagt er und kratzt sich verlegen am Kopf.
„Du wolltest mit mir reden?“, frage ich nach einem kurzen Moment des Schweigens.
„Es ist keine dabei, die mich wirklich anspricht“, beginnt er und lächelt schief.
„Du hast also gute Chancen bei mir“, fügt er hinzu und lacht tief.
„Wie schön zu hören. Ich dachte, ich verliere dich schon am ersten Tag an Rachel“, grinse ich und verschränke meine Arme vor der Brust.
„Ich glaube, so schnell wirst du mich nicht los.“ Er greift sich eine Haarsträhne, die sich von meinem Zopf gelöst hat, und wickelt sie sich um den Finger.
Ich muss grinsen.
„Wie schade.“
Er legt seine Hand an meine Wange und zieht mich zu sich.
„Pass auf, was du sagst, Evelyn“, murmelt er an meine Lippen und ich platziere meine Hand an seinem Hals.
Sein Atem streicht sanft über meine Haut und ich drohe wegzuschmelzen, doch ein ohrenbetäubendes Geräusch ertönt und wir fahren auseinander.
„Scheiße“, flüstert Alex und blickt sich panisch um und ich vermute schon, was den Alarm auslöst. Es ist ein Rebellenangriff und mir wurde gesagt, was ich in so einem Fall tun soll. Ich soll in so eine Art Bunker, die sich überall im Palast, versteckt hinter Wänden, befinden.
Das Problem ist, Ich weiß nicht, wo der Nächste ist. Aber Alex muss sich ja auskennen und der wird mich bestimmt nicht alleine lassen.
„Rebellenangriff“, murmelt Alex als Erklärung und damit hat sich meine Vermutung bestätigt.
Noch bevor ich richtig reagieren kann, nimmt er mich an die Hand und rennt mit mir aus seinem Zimmer und den Flur entlang.
Der Alarm wiederholte sich immer und immer wieder, während wir rennen. Es schaltete mein Denkvermögen komplett aus und ich merke nicht mal, wie meine Füße den Boden berühren. Ich höre nur den Alarm und meinen Atem, den ich hektisch ausstoße.
Meine Lunge brennt und alles zieht nur an mir vorbei, bis Alex abrupt stehen bleibt und einen Mechanismus betätigt, der eine Tür in der Wand freigibt.
Alex drückt die schwere Tür auf und schiebt mich voran in die Dunkelheit.

Ich höre, wie die massive Tür ins Schloss fällt und alles wird beunruhigend still.
„Alex“, flüstere ich und versuche meine Hand nach ihm auszustrecken und ertaste den Stoff seines T-Shirts, und ich spüre, wie sein Brustkorb sich schnell hebt und senkt.
Es kommt mir so vor, als würde er versuchen, irgendetwas zu hören, aber es ist absolut still. Außer unserem Atem und der dumpfe Klang der Sirene ist nichts zu hören.
Alex umgreift meine Hand, die sich an sein T-Shirt geklammert hat, und murmelt etwas, wie: „Alles gut.“ oder so was. Ich bin eher damit beschäftigt, umrisse zuerkenne, aber es ist einfach nur dunkel.
„Komm mit. Unten gibt es Licht“, sagt er leicht außer Atem und zieht mich hinter sich her eine Treppe runter. Ich versuche mich nicht zu sehr an Alex anzuklammern, obwohl ich richtig Angst habe und ich mir Mühe geben muss, nicht mit den Zähnen zu klappern, da uns, mit jedem Schritt, den wir tiefer in den Bunker wagen, die Kälte mehr und mehr ihre Arme nach uns ausstreckt.
Eine kalte Schauer fährt meinen Rücken runter.
Alex bleibt nach einer gefühlten Ewigkeit stehen und knipst das Licht an und der Raum wird sofort von einer Lampe, die nackt von der Decke hängt, erhellt. In dem Bunker befinden sich Feldbetten, ein Waschbecken und ein langes Regal mit Essen, welches in Dosen rationiert wird.
Die Frage, die sich als Erstes in meinen Kopf schlich ist: Wo sollte man, wenn man musste, sein Geschäft verrichten?
Aber ich lasse die Frage unausgesprochen und beantworte sie mir selbst. Ich denke, dass das Waschbecken dafür hinhalten muss. Wahrscheinlich gibt es noch besser ausgestattete Bunker, aber das reicht vollkommen. Abgesehen von der Tatsache, dass es hier keine Toilette gibt.
„Was meinst du, was die Rebellen wollen?“ Meine Stimme zittert und ich verschränke meine Arme, um mich zu wärmen. Alex hingegen geht zur Heizung an der kurzen Seite des Raumes und dreht sie hoch. Wie fremdgesteuert gehe ich zu ihm und lege meine Hand auf die Heizung. Ich muss aber bedauernd feststellen, dass sie natürlich noch nicht warm ist.
„Keine Ahnung“, antwortet Alex und setzt sich auf den Boden, um sich an die Heizung zu lehnen und ich tue es ihm gleich.
„Ich nehme mal an, dass sie es aus Protest machen. Die Rebellen verabscheuen die Selection. Sie hoffen damit, die meisten Mädchen zu vergraulen.“ Er fährt sich durch die Haare und zieht ein Bein ran.
„Wo sind die Mädchen denn?“, frage ich, obwohl ich sie nicht mag, tun sie mir irgendwie leid.
„Wahrscheinlich mit Jenna auch in einen der Bunker“, murmelt er.
„Jenna?“
„Ja. Sie bereitet die Mädchen auf das königliche Leben vor und so was eben. Kümmert sich um die und so weiter.“
„Ah“, gebe ich von mir, weil ich nicht weiß, was ich sonst noch dazu sagen soll. Ich merke, wie die Heizung wärmer wird und ich drücke mich näher an sie.
Trotz der Wärme, die sich langsam in meinem Körper verteilt, zittere ich immer noch etwas. Ich weiß nicht, ob es angst ist oder noch das Adrenalin, das durch meine Adern schießt, aber ich zittere.
Ich merke, wie Alex den Arm um mich legt und mich an sich zieht. Ich höre wie die Sirene verstummen, aber ob die Rebellen schon weg sind, bezweifel ich.
„Und wie lange glaubst du, müssen wir hier bleibe?“, frage ich nach längerer Zeit des Schweigens, wo Alex mich nur in den Armen hält.
„Ich weiß es nicht“, antwortet er. „Vielleicht noch ein paar Stunden. Es hat noch nie länger als einen Tag gedauert, deswegen denke ich, dass es heute auch nicht der Fall sein wird.“ Seine Stimme klingt müde.
„Wie viel Uhr haben wir eigentlich gerade?“
„Vielleicht so 17 Uhr oder so“, antwortet er.
Mir bleibt das Herz stehen.
„Ich muss doch noch mit dem Essen helfen! Die Küche ist auch noch unterbesetzt! Und die fragen sich sicher, wo ich bin!“ Ich stehe auf, doch Alex hält mich fest. Abgesehen von der Tatsache, dass ich sowieso nirgendwo hin kann und, dass das Essen eh gerade nicht an erster Stelle steht.
Und genau das spricht Alex auch aus und zieht mich wieder zu sich runter.
Ich stöhne.
„Aber wenn du willst, kannst du gerne hochgehen. Ich weiß zwar nicht, was genau da oben los ist, aber ich denke, dass du da nicht mit offenen Armen empfangen wirst.“ Alex lacht tief und schaut mich an.
„Woher wissen wir eigentlich, wann es vorbei ist?“, versuche ich, das Gespräch weiterzuführen, da er mich anguckt, als kann er direkt in meine Seele schauen und meine Stimme klingt meiner Meinung nach ein bisschen zu panisch.
„Irgend ein Wachmann wird schon vorbeikommen. Mach dir darüber keine Gedanken“, beruhigt er mich.
„Hast du Hunger?“, fragt er mich dann und es kommt mir so vor, als hat er einen Hund geschenkt bekommen, so schnell hat sich seine Stimmung verändert. Er springt voller Tatendrang auf.
„Also ich ja. Mal gucken, was die 5-Sterne Küche heute so anbietet.“
Er geht zum Schrank rüber, wo mehrere Dosen stehen und dreht die Etiketten zu sich.
„Also wir haben hier Tomatensuppe, Nudelsuppe“, er hält inne.
„Wow“, stößt er zwischen einem Seufzer aus.
„Es gibt wirklich Brot in der Dose.“ Er dreht sich mit der Dose zu mir um und starrt mich begeistert an.
Ich muss lachen. Ich habe oft Brot in der Dose für meine Familie gekauft. Ganz frisches können wir uns nicht leisten und mir wird wieder der Kontrast zwischen meinem und seinem Leben bewusst.
„Wir haben auch noch Nudeln mit Tomatensoße, Erbsen, Würstchen, Gulasch und... Ja das war's.“ Er stellt das Brot wieder zu den anderen Sachen in den Schrank.
„Was willst du?“, fragt er.
„Ich glaube dann Nudeln mit Tomatensoße.“
„Ja, ich glaube, das nehme ich auch“, beschließt er. Er nimmt sich zwei Dosen von den Nudeln, eine Dose Würstchen und einen Dosenöffner.
„Wir können es auf die Heizung stellen. Dann wird es wenigstens ein bisschen warm“, schlägt er entschuldigend vor.
„Ich denke, das klappt schon so“, sage ich und lächel ihn an. Es ist irgendwie total süß von ihm. Ich weiß nicht warum, aber es ist so.
Alex setzt den Dosenöffner an die Dose und fängt an zu drehen. Ich bewundere, mit welcher Leichtigkeit er das macht. Ich habe immer totale Probleme damit, was aber auch daran liegt, dass der Dosenöffner bei uns immer wieder abrutscht.
„Ah! Besteck!“ Alex springt auf und läuft zu einem kleinen Schränkchen, in dem sich anscheinend das Besteck befindet und kommt mit Messern, Gabeln und Löffeln wieder. Warum man ein Messer brauchte, ist mir unklar.
„Ich kenn deine Essgewohnheiten nicht... Also hast du freie Auswahl“, sagt er, während er das Besteck vor mir hinlegt.
Er hält mir eine geöffnete Dose Nudeln hin und ich ergreife sie und eine Gabel, die vor mir liegt. Alex hingegen schneidet sich die kleinen Würstchen in die Nudeln.
„So kann man das auch Essen“, kichere ich und widme mich meinem Esseen.
„Ist lecker“, sagt Alex grinsend. „Willst du auch?“, fragt er und hält mir seine Dose hin.
„Nein danke“, lacht ich.
„Mir ist aufgefallen, dass du, glaube ich, noch nichts über deine Familie erzählt hast“, fragt er interessiert und schiebt sich eine Gabel Nudeln in den Mund.
„Was willst du denn wissen?“, frage ich.
„Hast du Geschwister?“
„Ja einen kleinen Bruder.“ Ich muss sofort grinsen.
„Er heißt Phillip. Aber ich nenne ihn Phill“, rede ich weiter.
„Sieht er dir ähnlich?“, fragt er.
„Die Nase ist gleich. Das sagt zumindest meine Mutter.“
Ich schaue Alex an und muss sofort an Fußstein denken und fange an zu kichern.
„Was?“, fragt Alex lächelnd und kaut auf seinen Nudeln.
„Wir haben immer Fußstein gespielt“, erkläre ich.
„Fußstein?“ Alex lacht.
„Ja wir hatten eben keinen Ball.“ Ich grinse. Das Wort ist echt komisch, doch Alex lacht nicht mehr.
„Von welcher Kaste kommst du?“, fragt er ernst.
„Ist das so wichtig?“, versuche ich mich zögernd rauszureden.
„Evelyn...“, er sieht mich bittend an.
„Fünfte“, sage ich und schaue in meine Nudeln.
„Eigentlich lässt es sich da gut Leben. Aber wir haben Schulden geerbt“, flüstere ich. Zu Hause reden wir über die Schulden kaum. Wir versuchen es zu verdrängen, auch, damit Phill es nicht mit bekommt. Er weiß vielleicht noch nicht genau, was Schulden sind, aber er muss es ja auch noch nicht wissen.
Er fährt sich mit der Hand durch die Haare und ich fange an, an dem Etikett zu knibbeln.
„Aber es klappt ganz gut mit dem Geld verdienen, rede ich das ganze unbedeutend.
„Wir haben bald bestimmt die Schulden abbezahlt.“
Doch Alex geht darauf nicht ein.
„Arbeitest du deswegen hier?“, fragt er.
„Ja... Aber ich mag den Job echt.“ Ich lächel ihn an.
„Und wenn ich eure Schulden bezahle?“ Er schaut mich grinsend an.
„Nein, das wäre zu viel verlangt. Das will ich nicht. Wir schaffen das auch alleine.“
Wir könnten das Geld echt gebrauchen, aber ich will nicht schnorren und es ist mir einfach auch unangenehm.
„Zu viel verlangt?“, hakt er nach.
„Eure Schulden werden uns wohl kaum Pleite machen“, sagt er ernst.
Ja mach mir noch mehr bewusst, dass du steinreich bist.
„Ich möchte es nicht“, flüster ich.
„Kann ich denn wenigstens deinem Bruder oder so eine Freude machen?“, stöhnt er und ich merke an seiner Stimme, dass er aufgegeben hat, mit mir zu diskutieren.
„Wenn du das unbedingt willst“, gebe ich mich nun auch geschlagen.
„Mein Bruder liebt Schokoladen Kekse.“
„Na dann.“ Er grinst.

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