Kapitel 5

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Ich öffnete die Augen und blinzelte gegen helles Licht an. Irgendwas sagte mir, dass ich in meinem Schlafzimmer war. Wie ich hierhin gekommen war, wusste ich allerdings nicht mehr. Ich erinnerte mich allerdings daran, auf dem Sofa eingeschlafen zu sein.
Müde rollte ich mich zur anderen Seite aus meinem Bett heraus und tappste die Treppen herunter. "Na? Ausgeschlafen?", ertönte eine Stimme neben mir und erschreckte mich zu Tode. Ich sprang zur Seite und hielt mich am Regal fest. "Ach du bist das!" Tyler grinste breit und nickte. "Kannst du mir sagen, wie ich in mein Bett gekommen bin?", fragte ich ihn und wischte mir durchs Gesicht. "So im Halbschlaf gewesen? Ich hab dich hin gebracht." Während er das sagte schlurfte er in Richtung Küche und bediente sich wie selbstverständlich am Kühlschrank. Ich hingegen hatte keinen Hunger und setzte mich stattdessen an den Tisch, um ihm zuzusehen, wie er meine letzten Vorräte auf aß.
"Willst du nachher mitfahren wenn ich Holland abhole?", fragte er mich.
"Ach, darf sie schon raus?"
"Ja, Max hat mich gebeten, sie nach Hause zu bringen. Der hat irgendwas anderes vor. Ein Interview glaub ich."
Ich stöhnte. Ein Interview hatte ich am Abend auch noch. Die Fragen konnte ich mir bereits denken. Es würde nur um Holland gehen. "Ich fahre gerne mit." Vielleicht konnte ich dann dem Interview etwas positiver ins Auge blicken. "Alles klar. Ich fahre heute Nachmittag. Ich hol dich um zwei ab."
Damit verschwand er kauend aus der Küche und schon nach ein paar Minuten hörte ich die Haustür zufallen.

Um die Zeit schneller rum zu kriegen füllte ich meinen Vormittag mit Hausarbeiten. Aber leider war ich meinem Schwung der Motivation viel zu schnell und landete somit schon nach zwei Stunden vor dem Fernseher. Na klasse. Ich machte mir den Fernseher an und ließ irgendeinen Film, der gerade mitten im Gange war, laufen, während ich mich damit beschäftigte, ein paar Fans auf Twitter zu antworten. Die meisten waren Fragen zu meiner Beziehung zu Holland. Ich schaute mir die Bilder an, die die Fans bearbeitet hatten, anstatt darauf zu antworten. Jedem das selbe zu erzählen empfand ich als unnötig und außerdem würde es eh nichts bringen. Irgendwo war es ja süß, dass sie uns unbedingt zusammen haben wollten.

Als Tyler nach gefühlt Tagen dann endlich an der Haustür klingelte, war ich mehr als nur erleichtert. Ich sprang förmlich in Schuhe und Jacke und folgte ihm zum Auto. Er grinste zwar in sich hinein, sagte aber nichts dazu.
Zusammen fuhren wir dann ins Krankenhaus. Auf dem Weg sprachen wir nicht miteinander, weil wir wussten, dass der jeweils andere schon wusste, was wir sagen wollten. So eine Freundschaft brauchte jeder, eine Freundschaft in der das Reden überflussig war.

Nachdem wir angekommen waren und Tyler geparkt hatte, lief ich direkt zu Fuß nach oben auf die Station, auf der Thomas lag. Mir kamen alle Gedanken von gestern hoch. Und auch die Erinnerung an das Mädchen in dem anderen Bett war mir so präsent, als hätte ich es gerade erst erlebt.
Wer war sie nur? Jetzt war es wohl Zeit, das herauszufinden. Fragte sich nur, ob ich die Wahrheit wirklich vertragen konnte.

Vorsichtig klopfte ich an seine Zimmertür.
"Ja?", fragte er fröhlich. Beim Klang seiner Stimme schlug mein Herz ein wenig schneller. Gleich würde ich ihn wiedersehen!

Ich öffnete die Tür und ging langsam in das Zimmer. Ich wurde nicht enttäuscht. Er sah noch besser aus als gestern, obwohl er noch im Bett lag. Seine Wangen hatten ein wenig an Farbe bekommen und seine Augen glänzten. Er saß aufrecht im Bett. Sogar ohne Sauerstoff. Als er mich sah, blitzten seine Augen auf.
"Hey. Du siehst... hungrig aus. Hattest du schon Frühstück?", fragte ich ihn leise. Ich schaute zur Seite und sah, das er noch immer noch die Hand des Mädchens festhielt. Mein Magen fühlte sich so an, als würde ich in einer Achterbahn abwärts fahren.
Er schüttelte den Kopf. "Und du?"
"Nein.", antwortete ich.
"Könntest du mir dann vielleicht wenn du etwas zu essen holst was mitbringen?"
"Äh ja klar. Für sie auch?", fragte ich und deutete mit dem Kinn in Richtung des Mädchens. "Nein. Sie isst nichts mehr. Oh kannst du mir bitte meinen Sauerstoff geben? Da drüben an der Wand?" Seine Stimme klang traurig und ich wünschte, ich hätte nicht gefragt. Langsam ging ich zur Wand. "Welchen? Den vom letzten mal oder den anderen? "

"Thorsten bitte", sagte er und kicherte. Ich schaute ihn ungläubig an. "Was?! War nicht meine Idee.", verteidigte er sich.

Ich griff die Flasche und brachte sie ihm lächelnd. "Dankeschön", sagte er leise.

Plötzlich fing das Mädchen neben ihm an, sich zu drehen und zu wenden. Nach einigen Augenblicken, die ich zum überschauen der Situation gebraucht hatte, ging das Schauspiel zu zucken über. "Ach Anna. Ähm hilfst du mir auf?"
Ich bückte mich und zog ihn hoch. Die Situation überforderte mich komplett. Wir stolperten zum Bett des Mädchens und ich setzte Thomas auf die Bettkante. Er nahm ein Tuch, das neben dem Mädchen auf den Kissen lag und wischte ihr den Schweiß von der Stirn. "Schwesterchen, ich habe dir doch gesagt, dass wir das schaffen. Gemeinsam. Ich werde nicht ohne dich gehen und du nicht ohne mich."

Sie war also seine Schwester. Aber.. was hatte er da gesagt? Gehen? Er hatte bestimmt nicht 'das Krankenhaus verlassen' gemeint. Er hatte 'die Welt verlassen' gemeint. Aber er war doch so stark. Wollte er jetzt schon gehen? Einfach aufgeben? Gab es denn gar keine Hoffnung mehr?

Plötzlich schrie er auf. Ich sah, wie sie seine Hand quetschte. Und ich wusste ja, wie zerbrechlich er war.
"Entspann dich. Ich weiß es tut weh", hauchte er und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Langsam hörte sie auf, sich zu bewegen. Ich fühlte mich schrecklich, weil ich nichts tat. Aber wahrscheinlich wäre ich nur im Weg und würde alles schlimmer machen als es ohnehin schon war.

"Ich habe Angst! Was wird dann sein? Dann bin ich ganz allein", wimmerte sie.

"Du brauchst keine Angst haben. Du wirst nicht allein sein. Du und ich. Für immer. Wir werden unseren Weg finden. Wo auch immer der hin führt." Den letzten Satz sagte er ganz gedankenverloren. Er sprach doch wohl bitte nicht vom sterben?

Ich konnte es nicht mehr ertragen und verließ den Raum. Die beiden schienen es nicht groß zu bemerken.
Ich hatte Angst um Thomas' Schwester. Angst davor, dass sie ihm Angst vor dem machte, was danach kam. Und ich hatte Angst, ihn zu verlieren.

Ist es sein Schicksal? -DylmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt