Kapitel 6

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"Herein!", rief er, als ich klopfte. Ich drückte die Türklinke mit dem Ellenbogen runter und schob sie mit dem Fuß auf. Als ich drinnen war gab ich der Tür mit meinem Po einen Schubs, damit sie wieder zuging. Eigentlich sollte ich heute gar nicht mehr hier sein, aber gestern war Holland auf dem Weg zu Tylers Auto erneut zusammen geklappt. Wenigstens hatte ich so das Interview nicht mehr geben müssen. Ich zog also geschickt meinen Vorteil aus der Situation, auch wenn sie mir natürlich Leid tat.
Thomas schaute nachdenklich aus dem Fenster. Heute war er merkwürdig ruhig. Vielleicht konnte ich ihm heute ein paar Fragen stellen.

Ich reichte ihm ein Tablett mit Essen und er stellte es auf seinen Schoß. Meins stellte ich auf einen kleinen Tisch. Dabei rutschte mein Brot vom Teller und um es von seinem Fluchtversuch abzuhalten, griff ich schnell danach. "Oh iiiiiiihhhh!", rief ich aus, da ich in den Honig gegriffen hatte. Mit dem Zeug hatte ich sowieso schon immer auf Kriegsfuß gestanden. "Habt ihr hier ein Waschbecken?", fragte ich Tom, der vor Lachen schon Tränen in den Augen hatte. "Vorne links."

Aber auf dem Weg wartete bereits die nächste Falle: Thorsten.
Kurzerhand stolperte ich über ihn und konnte mich gerade noch an der Wand abstützen. Na, da hatte ich mich ja mal super blamiert. Thomas lachte aus vollem Halse und ich lief knallrot an.

Ich versuchte einfach, ihn so gut es ging zu ignorieren, ging Hände waschen und setzte mich dann stumm an den Tisch. Er lachte immer noch ein wenig und konnte sich kaum auf das schmieren seines Brotes konzentrieren.

Als wir fertig waren mit essen, nahm ich sein Tablett und stellte es diesmal vorsichtig von seinem Schoß auf den Tisch. "Nach all dem, was passiert ist, hast du bestimmt ein paar Fragen...nicht?", begann er vorsichtig und schaute mich entschuldigend an. "Äh..Ja. Schon irgendwie...", gab ich zu.
"Komm her.", Sagte er und klopfte neben sich aufs Bett. Ich zögerte nicht lange und setzte mich neben ihn. "Dann leg mal los. Ich verspreche dir, dass ich, wenn ich die Antwort weiß, ganz ehrlich antworten werde und alles was du nicht verstehst, werde ich dir erklären. Oder es zumindest versuchen."

Ich hatte so viele Fragen im Kopf aber ich sortierte sie nach Wichtigkeit. "Okay. Was hatte deine Schwester letztes Mal für...für einen..Anfall?" begann ich vorsichtig. Wir schauten beide auf Anna und in Thomas' Blick lag so viel Schmerz. "Es ist okay wenn du nicht.." "Doch schon okay.", widersprach er.
Aber ich hörte den Schmerz und das Mitleid in seiner Stimme. Er schwieg eine Weile, bevor er antwortete. " Darüber weiß ich nicht viel. Ich frage die Ärzte auch immer wieder, aber so wirklich verstehen, was sie da sagen, tu ich auch nicht. Tut mir leid." Er schaute mich traurig an.
"Das muss es nicht. Sag mir, was ist mir euren Eltern? Kümmern sie sich nicht um euch?"

"Würden sie ja. Aber als sie das mit uns erfahren hat, also, dass wir beide auf einmal Krebs haben, wollte Mama schnell her kommen.. und naja, da hat sie einen schweren Unfall gebaut." Er hatte Tränen in den Augen. Ich vermutete, dass er nicht mehr weiter reden wollte, aber er war stark und tat es trotzdem. "Papa war so hilflos ohne Mama. Er war am Rande der Verzweifung. Man hatte ihm gesagt, dass meine Schwester sterben würde und, dass man es nicht mehr aufhalten konnte. Ich habe ihn angefleht zu bleiben und das mit mir durchzustehen, aber er war zu schwach. Allein der Gedanke, mich dann auch noch zu verlieren, war zu viel für ihn. Ich wollte ihn aufhalten. Hab meine Hand nach seinem Arm ausgestreckt. Aber ich habe ins Leere gegriffen. Er war einfach weg. Anna ist jetzt das einzige, das ich noch habe. Aber auch sie wird gehen. Dann bin ich ganz allein. Aber sie sehnt sich nach Papa und Mama, sie will zu ihnen und ihr Wunsch wird ihr wohl bald erfüllt werden. Der Stichtag rückt immer näher." Er hatte so Unrecht. Er würde nicht alleine sein.

Jetzt liefen ihm die Tränen nur so übers Gesicht und ich konnte nicht anders, als ihn in die Arme zu schließen. "Ich habe noch eine Frage.", flüsterte ich. Ich wusste, dass es unhöflich war, jetzt noch etwas zu fragen aber ich konnte nicht anders. Ich fühlte ihn an meiner Schulter nicken.
Ich schluckte: "Wirst du sterben?" "Ich weiß es nicht. Aber alle unsere Tage sind gezählt. Also wen kümmert es, ob man früher oder später stirbt oder jetzt sofort?" Er schaute mich an. "Mich", sagte ich und küsste ihn auf die Wange. Nun weinte ich ebenfalls.

Ist es sein Schicksal? -DylmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt