Kapitel 14

461 38 17
                                    

Anna POV

Da standen sie nun alle. Um mich herum hatten sie einen Kreis gebildet. Thomas, Dylan, Tyler, Crystal und Dylans beste Freundin Holland mit ihrem Freund Max. Menschen, die ich nicht kannte, aber die alle für mich hergekommen waren. Sie hatten sich an die Hände gefasst. Und alle weinten. In der Mitte stand der offene Sarg, in dem mein Körper lag. Es war nur mein Körper. Die Hülle, die ich mir für meine Zeit auf dieser Erde geliehen hatte und nun zurückgeben musste. Kalt, unbeweglich und leblos lag sie da. Und sie sah ziemlich übel zugerichtet aus. Scheinbar hatte der Krebs weiter an ihr genagt, als er mich schon zerstört hatte. Oder eher vertrieben. Mir ging es gut. Besser als je zuvor. Nur die Hülle hatte er gewollt. Und nun hatte er sie.

Ich sah, wie der Pastor ein Kreuz zu dem Körper in den Sarg legte. "Ruhe in Frieden, Anna", sagte er. Ich war nie sonderlich religiös gewesen, hatte mir aber dennoch eine solche Beerdigung gewünscht. Nun ging der Pastor auf Thomas zu, weshalb dieser die Hand von Dylan losließ, die er fest umklammert gehalten hatte, und griff schnell nach der Hand des Pastors, der dann mit Dylan auf seiner anderen Seite den Kreis wieder Schloss. "Danke", flüsterte er ihm mit brüchiger Stimme zu.
Nun begann der Pastor mit der Predigt. Er hatte noch nicht mal den ersten Satz beendet, schon musste er Thomas stützen, weil sein heftiges Weinen seinen Körper beben ließ, was ihm das Stehen schwer machte. Verzweifelt schaute er Dylan an. Dieser schaute zwar noch verzweifelter drein, tauschte aber geschickt mit dem Pastor den Platz. Kaum hatte Thomas sich an ihn gehängt, schlang er seine Arme um ihn und zog ihn dicht an sich. Ich wünschte ich könnte etwas tun, aber ich war unfähig mich zu bewegen, da ich so mitgenommen war. Mit seiner Umarmung schien Dylan zu versuchen, die zerbrechenden Teile von Thomas so gut wie möglich zusammen zu halten. Doch auch er konnte nichts tun.

"Sie ist bei uns. Daran glaube ich ganz fest", flüsterte Dylan und strich ihr sanft über den Rücken. "Ich weiß.", sagte er, "Ich kann sie spüren." Mein Mund klappte auf. "TOM!? TOM HÖRST DU MICH?", ich versuchte, irgendwie mit ihm zu reden, aber vergeblich. Meine Worte waren, genau wie ich, nur ein Hauch im Wind.

Der Kreis hatte sich mittlerweile weitestgehend aufgelöst. Alle hatten sich in Paaren aufgereiht und lagen sich schluchzend in den Armen: Holland und Max, Dylan und Thomas und Tyler kümmerte sich um die völlig aufgelöste und überforderte Crystal. Mit dieser Formation setzte der Pastor seine Rede fort. Es handelte davon, dass es aus den Augen der Angehörigen immer die Falschen traf, aber Gott immer Recht tat. Dann folgten ein paar Zahlen der Todesfälle. Als er ein letztes Gebet gesprochen hatte, verabschiedete er sich von "mir" und ging schweigend vom Friedhof. Die anderen aber stellten sich erneut in einem Kreis auf. Alle nahmen etwas aus ihren Taschen und hielten es in den gefalteten Händen. Traurig schauten sie darauf hinab. Nun trat Tyler zum Sarg vor. "Leb wohl.", sagte er und legte das etwas in seinen Händen in den Sarg. Es war ein kleiner, golden angemalter Holzengel.

Er ging zurück in den Kreis. Crystal ging ihm einen Schritt entgegen und strich ihm ermutigend aber kraftlos über den Arm. Er lächelte schwach. Nun ging sie bis zum Sarg. "Machs gut meine Liebe. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder." Sie legte einen kleinen glänzenden Topas in den Sarg. Mein Lieblingsstein.

Auch sie ging zurück. Dann traten Holland und Max vor. "Mögest du da, wo du jetzt bist, so glücklich sein, wie du es einmal hier warst.", sagte Holland und drückte Max' Hand. "Wir sehen uns drüben.", sagte dieser kurz. Der Rest des kurzen Satzes war nur ein Flüstern. Sie legten je die Hälfte eines Herzes auf jede Seite des Sarges, und schlossen sich langsam dem Kreis wieder an.

Nun trat Dylan zu mir. "Schau nicht auf uns zurück.", fing er leise an. "Lass dich nicht irritieren von niemandem und bereue deine Taten nicht. Alles was du tust, tue nur für dich. Und lass dich nicht aufhalten auf deinem neuen, langen Weg." Bei den letzten Worten versagte seine Stimme. "Wo auch immer der hin führt.", fügte er flüsternd hinzu.

Dann ging auch er, ohne sich von mir wegzudrehen zurück.

Jetzt trat Thomas vor. "Du warst immer für mich da. Bis zum letzten Tag an. Schade, dass du jetzt weg bist. Aber wenn es dir da besser geht, wo du jetzt bist, dann ist es okay. Das war immer unser Satz. Es ist okay. Ich habe ihn oft benutzt, aber nie gelogen. Ich werde dich vermissen, aber ich weiß auch, dass du immer hier sein wirst. Hier irgendwo. Schau dich gut um, da in deiner neuen Welt. Irgendwann werden wir auch zu dir kommen. vielleicht morgen, Vielleicht auch erst in 60 Jahren, wenn wir schon alt und grau sind. Wenn es so etwas wie Engel wirklich gibt, bin ich mir sicher, dass du einer bist. Du warst schon immer ein Engel. Immer schon zu gut für diese Welt. Nun bist du da, wo du hingehörst, bei den Leuten, zu denen du gehörst. Genieß dein neues, dein wahres, ich und schließe Freundschaft mit ihm. Und schau ab und an mal bei uns vorbei. Pass gut auf uns auf. Ich liebe dich, Anna." Er legte mein liebstes Kuscheltier in den Sarg. Dann stürzte er zurück in Dylans Arme.

Ein letztes Mal drehten sie sich nun von mir weg, fassten sich an die Hände und verließen den Friedhof.
Ich spürte, wie ich mich langsam auflöste. Ich warf einen letzten Blick auf meine Freunde und war glücklich. Ich hatte nicht das Gefühl, sie alleine zu lassen. Sie hatten ja einander und ich würde immer bei ihnen sein. Ich hatte auch das Gefühl, immer noch ein Teil von ihnen zu sein. Immer noch zu ihnen zu gehören. Und ich würde sie niemals alleine lassen.

Glücklich und zufrieden löste ich mich nun immer mehr auf, und war gespannt auf mein neues, richtiges Ich. Und als ich sie gehen sah, die Kette von Menschen, meinen Menschen, Dann sah ich, das Thomas Recht hatte: Es war wirklich okay.

Ist es sein Schicksal? -DylmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt