| Du kannst mich sehen
|Larissa
Wieder stand ich auf dem Friedhof, auf welchem ich vor einigen Tagen aufgewacht war. Doch diesmal stand ich nicht vor meinem Grab, sondern dahinter und schaute meinem Bruder ins Gesicht. Dieser sah auf mein Grab hinab und wischte sich ab und an vereinzelte Tränen aus dem Gesicht. Linus hatte mit meinen Eltern geredet, beziehungsweise mit ihrem Grab, welches neben meinem lag. Danach hatte er sich meinem zugewendet, doch seit gefühlten zwei Stunden sprach er kein einziges Wort.
Auf einmal ertönten Schritte auf dem Kiesweg und mein Kopf ruckte in die Richtung, aus der die Schritte zu vernehmen waren. Ein Junge, der einen Strauß mit Lilien in der Hand hielt, kam auf uns zu. Doch anders als bei Linus kamen mir bei dem Anblick des Jungen keine Erinnerungen.
„Du bist spät dran, Orion", begrüßte meine Brüder den Jungen und schlug in dessen Hand ein. „Tut mir leid, meine Mutter wollte mich nicht gehen lassen", kam es betreten von Orion. Neugierig hörte ich den beiden zu und aus irgendeinem Grund kam ich mir vor, als befände ich mich in einem 3D Kinofilm.
„Es ist jetzt drei Jahre her und es fühlt sich immer noch so an, als sei es erst gestern passiert", murmelte Orion traurig, hockte sich hin und legte die Lilien auf mein Grab. „Eines Tages werden wir uns wiedersehen...", flüsterte der Junge mit brüchiger Stimme, meinen Ohren rauschte es, wodurch ich seine letzten Worte nicht verstand.
„Wäre sie hier, würde sie dir dasselbe sagen", sagte mein Bruder, während er zum Himmel hinauf sah. „Was soll ich ihm sagen, wer ist das überhaupt?", erkundigte ich mich entrüstet und starrte meinen Bruder argwöhnisch an. Plötzlich schoss der Junge nach oben und sah mich mit einem geschockten Blick an.
Verwirrt legte ich meinen Kopf schräg und biss auf meine Unterlippe. „Alles in Ordnung mit dir Orion?", kam es verwundert von Linus. „Ja. Nein. Ich dachte, ich hätte was gehört", stammelte dieser immer noch sichtlich geschockt.
„Komm lass uns gehen, wir haben noch ein Date mit unserem Lieblingsrestaurant", forderte mein Bruder den Jungen auf und gemeinsam gingen wir zum Ausgang des Friedhofs. Fröhlich hüpfte ich hinter den beiden her und summte die Melodie des Songs ‚Speeding Car' von Walking on Cars.
°°°
„Hallo Jungs, ist es wieder soweit?", wurden die beiden Jungen von einem der Kellner begrüßt und zu einem Tisch am Fenster gebracht. „Ja", antwortete Linus knapp und setzte sich auf einen der Stühle. „Dann bestellt ihr bestimmt wieder das Übliche?", erkundigte sich der Kellner freundlich, woraufhin er lediglich ein Nicken seitens der beiden Jungen erhielt. Eilig verschwand der Kellner und ließ mich mit meinem Bruder und diesem Orion allein. Unsicher setzte ich mich auf den dritten Stuhl am Tisch, welcher mit dem Rücken zum Fenster zeigte. Erleichtert entspannte ich mich, da ich erwartet hatte durch den Stuhl zu fallen. Neugierig sah ich mich in dem Restaurant um und ich wusste, dass ich in meinem früheren Leben öfter hierhergekommen bin.
Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich Orion nachdenklich an. Bei ihm ist es anders als bei Linus, denn bei dem Anblick meines Bruders konnte ich mich augenblicklich wieder an ihn erinnern. Doch bei Orion kam nichts, einfach rein gar nichts. Nicht eine klitzekleine Erinnerung wollte mir in den Sinn kommen, stattdessen herrschte gähnende Leere in meinem Kopf.
„Das Essen wird angerichtet", durchbrach der Kellner meine Gedanken und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. „Danke Drake", sprach dieser mysteriöse Orion und lächelte Drake dankbar an.
„Also, erzähl mal, wie geht es dir?", erkundigte sich mein Bruder bei Mr. Mysteriös, nachdem der Kellner wieder verschwunden war. „Gut soweit, Uni läuft spitze, bin viel unterwegs und mit der Familie ist zurzeit auch alles im Lot"
Lügner schoss es durch meinen Kopf.
„Das ist gut zu hören", erwiderte mein Bruder und nahm einen Schluck von seinem Bier. „Lügner! Ihr beide seid Lügner!", rief ich aus, woraufhin Orion erschrocken zusammenzuckte und in meine Richtung sah.
Stumm starrte ich ihn an, dabei runzelte ich verwirrt die Stirn, bis mir der Groschen fiel. „Du kannst mich sehen und hören", hauchte ich teils fassungslos teils freudig. Kaum erkennbar nickte Orion, dann wendete er seinen Blick unauffällig zu Linus, ehe er einen Bissen von seinem Essen zu sich nahm.
„Und bei dir auch alles gut?", kam es ungerührt von Mr. Mysteriös, welcher mich anscheinend sehen konnte. „Ja, alles bestens, könnte nicht besser sein", nuschelte mein Bruder und strich unauffällig über den Verband um seine Hand. „Was hast du eigentlich mit deiner Hand gemacht?"
„Ach nichts Wildes, hab mich nur dummerweise beim Kartoffelschneiden geschnitten", wehrte Linus ab und widmete sich wieder dem Essen zu. Stille herrschte zwischen den beiden und ich fragte mich im Stillen, weshalb sie sich das überhaupt antaten.
„Lass uns auf Larissa und deine Eltern anstoßen, immerhin ist heute der Todestag deiner Familie", meint Orion und hob sein Weinglas an. Mit zusammengekniffenen Lippen sah ich ihnen dabei zu, wie sie auf meinen Tod anstießen, während ich daneben saß.
Kurz warf Linus einen Blick auf seine Uhr, schnappte gespielt nach Luft und stand eilig von seinem Stuhl auf. „Verdammt schon so spät, ich muss los", sagte er, zog sich seine Jacke und legte ein paar Scheine auf den Tisch. „Hast du am Wochenende Zeit? Ich wollte mit ein paar Freunden zum Eishockey, die Chicago Blackhawks spielen", fragte Orion, jedoch konnte ich sehen, dass ihm das nicht behagte. „Nein, aber danke. Am Wochenende bin ich bei meinen Großeltern, wir haben uns schon länger nicht mehr gesehen", meinte mein Bruder und ich sah ihm an, das es eine Ausrede war, die er Orion auftischte. Dieser schluckte sie bereitwillig und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Zum Abschied hob Linus die Hand und ging hinaus.
„Wieso lügt ihr euch gegenseitig an? Wieso benutzt ihr Ausreden, um ja nichts mit dem anderen zu unternehmen müssen? Habt ihr eigentlich noch einen Blick für die Wahrheit, die unter all den Lügen und Ausreden verloren gegangen ist?", echauffierte ich mich sogleich, nach dem mein Bruder nicht mehr zu sehen war.
„Weil du nicht mehr da bist, Larissa", entgegnete Orion ruhig und ließ den Wein in dem Glas kreisen. „Warum bist du der Einzige, der mich sehen und auch hören kann?"
Gefühlskalt lächelte er, fuhr sich durch die Haare und wandte seinen Kopf zu mir. „Wieso quälst du mich so sehr? Reicht es dir nicht, dass du mich seit drei Jahren in meinen Träumen verfolgst?", knurrte er wütend, warf ein paar Scheine auf den Tisch und verschwand durch die Tür des Restaurants.
Wer bist du?
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Ghost - Mein neues Leben #IceSplinters18
Teen FictionEs gibt viele verschiedene Bedeutungen für den Tod und doch haben sie eines gemeinsam, die Endgültigkeit. Aber ist der Tod wirklich das Ende des Lebens oder gibt es ein Leben nach dem Tod? Bis vor ihrem Tod hat Larissa nicht an ein Leben nach dem To...