| Kapitel 25

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| Von Liebe, Vertrauen und der bitteren Wahrheit

|Orion

In den letzten Wochen trat eine unangenehme Normalität in mein Leben. Larissa war die gesamte Zeit nicht anzutreffen und Linus war überraschenderweise zu seinen Großeltern gefahren. Es war mir ein Rätsel, weshalb er urplötzlich zu ihnen gereist war. Soweit ich wusste, hasste er seine Großeltern – er gab nicht nur sich selbst die Schuld, sondern auch ihnen.

Anfangs dachte ich mir nicht viel dabei, als Lissa nicht mehr auftauchte, doch jetzt überwog die Sorge. Wo war sie? Was war geschehen? Hatte der ominöse Kerl Schuld, an ihrem verschwinden? Ging es ihr gut oder hatte sie die Welt nun endgültig verlassen?

In dieser Zeit kamen Anna und ich uns näher, was genau das zwischen uns war, wusste ich nicht. Auch mit meiner Familie konnte ich die ungeklärten Wogen glätten. Ich war glücklich, glücklicher als je zuvor in diesen drei Jahren. Die dunklen Tage waren vorbei und doch konnte ich mich nicht darüber freuen.

Mir blieb nicht viel Zeit, denn bald musste ich zurück und meinen Kopf mit neuem Lernstoff füllen. Ich musste sie finden, musste mich vergewissern, dass es ihr gut ging. Erst dann konnte ich mit gutem Gewissen gehen.

Seit wenigen Tagen war mir Appetit vergangen und ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Zu meinem Bedauern war es Anna nicht entgangen und ich sah es schon kommen, dass ich ihr Rede und Antwort stehen musste. Vor diesem Gespräch hatte ich Angst, sehr große Angst. Sie sollte mich nicht als verrück deklarieren und mich zum Teufel wünschen. Dafür war sie mir zu wichtig – sie war ein Teil meines Lebens geworden.

Gestern geschah das, wovor ich mich gefürchtet hatte und in mir, schrie alles fortzulaufen. Mich wie ein Feigling in den nächsten Zug setzen und nicht zurückzuschauen. Aber ich war kein Feigling, vielleicht war ich auch einfach nur erwachsen geworden.

Jetzt saß ich unter einem der Bäume des Friedhofs, die in der Nähe von Larissas Grab standen. Die Sonne wurde von den Blättern der Baumkronen verdeckt und bot mir somit Schatten. Das schöne Wetter und das ausgelassene Zwitschern der Vögel passten nicht zu meiner derzeitigen Stimmung. Meine Stimmung war durchnässt von Regen und lag in den tiefsten Gängen eines Kellers.

Ein Knacken ließ mich aufschrecken, entspannte mich jedoch wieder, als ich Anna erkannte. Der Moment war gekommen in dem ich ihr sagen musste, was für ein Freak ich war. Sie in nur wenigen Minuten erfahren, dass sie sich auf einen verrückten und geistesgestörten eingelassen hatte. Im Grunde konnte ich nicht genau sagen, wie sie reagieren würde. Alles, was ich tun konnte, war beten, hoffen und ihr vertrauen.

„Hey", begrüßte sie mich leise und setzte sich nahe zu mir. Ich ließ für einen Moment zu, die Augen zu schließen und ihre Nähe sowie die Wärme, die von ihr ausging zu genießen. Jetzt in diesem Moment fühlte ich mich schwach und ausgelaugt. Als wären die dunklen Tage noch präsent und die Vergangenheit direkt neben mir.

„Hey", erwiderte ich mit rauer Stimme. Sie klang, als hätte ich sie Wochen nicht mehr benutzt. „Wirst du mir jetzt erzählen, was mit dir in letzter Zeit los ist?", fragte sie mich und ich hörte die Sorge in ihrer Stimme. Sie sorgte sich um mich, was mir einen wohligen Schauer verursachte. „Ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich, Orion" Das sie es nun laut aussprach, ließ mich schlucken und ich würde mir der Bedeutung hinter ihren Worten schwerlich bewusst.

„Dazu muss ich weiter ausholen. Bevor ich beginne, möchte ich, dass du mich nicht unterbrichst und einfach nur zuhörst", bitte ich sie und versuche nicht allzu verletzlich zu klingen. Anna nickte und versprach mir, mich ausreden zu lassen. Händeringend suchte ich nach den passenden Worten, doch egal wie ich beginnen würde, es lief immer auf das gleiche hinaus. „Es begann mit der Operation am Herzen, danach war nichts mehr, wie es war..."

Die Angst war während meiner Erzählung zum Greifen nahe. Ich hatte Angst sie zu verlieren, Angst vor ihrer Reaktion und angst davor alleine zu sein. Alleine mit dem Wissen, dass ich Geister sehen konnte. Irgendjemand da draußen hatte mich deinem Fluch belegt und ergötzte sich an meinem Leid.

Stille trat ein und ich wagte nicht, Anna ins Gesicht zu sehen. Ich wollte nicht sehen, was sie dachte, wollte nicht sehen, wie sie mich verspottete. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass Anna nicht so war. Sie verurteilte nicht oder reagierte unverfroren. Anna suchte immer nach einer vernünftigen Lösung und ging auf jede Person in ihrem Umfeld ein. Sie war gutmütig und ich musste lernen ihr vollkommen zu vertrauen.

„Bitte sag etwas, irgendwas!" Jetzt war es mir egal, ob sie meine Verzweiflung und Schwäche hörte. Alles, was ich wollte, war zu wissen, woran ich nun bei ihr bin. Sie sollte lachen, toben, schreien, weinen – ganz egal was. Hauptsache sie tat etwas oder zeigte eine Regung. „Anna...", flüsterte ich angespannt, wurde jedoch von ihr unterbrochen.

„Das ist... Ich...", begann Anna stammelnd, brach jedoch sogleich wieder ab. Ich hörte, wie sie tief Luft holte und sah, wie sie mich ansah. Tränen schimmerten in ihren Augen und einzelne Wasserperlen kullerten über ihre Wangen. Mit dem Daumen wischte ich sie Weg, nahm die Hand allerdings fort. „Das ist so unglaublich traurig. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du dich fühlen musst"

Unglauben machte sich in mir breit, denn ich konnte einfach nicht begreifen, dass sie mir glaubte. Ihre Augen drückten so viel Mitgefühl aus, aber nichts zeugte davon, dass sie mich für verrückt hielt. „Du glaubst mir?", halte ich leise nach. Ich traute mich einfach nicht, zu fragen, ob sie mich für verrückt hielt. „Natürlich! Wieso sollte ich nicht?" „Ich hatte mit allem gerechnet! Hatte mir ausgemalt, wie du mich auslachst, verspottest und mir sagst, ich sei ein Freak nicht mehr ganz dicht. Aber niemals hätte ich mir denken können, dass du so... So verständnisvoll reagierst und mir glaubst!", erklärte ich ihr und sah sie verwirrt an.

Voller Tatendrang sprang Anna auf und drehte sich schwungvoll zu ihm um. „Dann müssen wir deine tote Freundin finden, damit du beweisen kannst, dass sie existiert!", teilte sie mir fröhlich mit und reichte mitnichten Hand.

Eines wurde ich mir an diesem Tag ganz genau im Klaren – ich hatte mich Hals über Kopf in Anna Griffin verliebt.  

Ghost - Mein neues Leben #IceSplinters18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt