| Kapitel 11

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   | Erst denken, dann handeln

|Orion

„Du darfst es ihm nicht sagen! Das geht nicht!"

Stumm sprintete ich die nicht beleuchtete Treppe zur Haustür hinauf. Dann drückte ich die Klingel, ohne Larissa weiter zu beachten.

„Du kannst es ihm nicht erzählen!", fauchte sie mich aufgebracht an und funkelte mir aus zusammengekniffenen Augen entgegen. „Sei endlich still!", zischte ich ihr genervt entgegen und wendete mich wieder der noch immer geschlossenen Haustür zu.

Ruckartig wurde die Tür aufgerissen und ein mehr als nur entgeisterter Linus schaute mir entgegen. „Was willst du hier?", begrüßte er mich mit scharfer Stimme.

„Kann ich reinkommen?", fragte ich ihn so höflich, wie es mir in diesem Moment möglich war. „Es ist wichtig!" Ich konnte ein spöttisches Schnauben und so etwas wie ein Lachen hören. „Was könnte so wichtig sein, dass du mitten in der Nacht hier auftauchst"

Sichtlich missgelaunt trat Linus einen Schritt zurück und schloss dabei die Tür, doch bevor sie endgültig ins Schloss fallen konnte, stemmte ich einen Fuß zwischen Rahmen und Tür.

„Es geht um Larissa", fuhr ich nun alle Geschütze auf und betete im Stillen, das er darauf anspringen möge.

Allem Anschein nach wurden meine Gebete an den einzigen Gott, der für mich wichtig war, dem Lückengott, erhört, denn Linus ließ mich widerwillig eintreten. Eilig ging ich ins Haus und schloss die Tür, ehe Linus es sich anders überlegen konnte. Dabei hatte ich jedoch meine unscheinbare, dennoch nervige Begleitung vergessen, welche meckernd draußen vor der Tür stand. Schulterzuckend begab ich mich zielsicher in das Wohnzimmer des Hauses und setzte mich, als würde es mir gehören, auf das Sofa.  

„Also, bevor du dich hier häuslich einrichtest, was ist mit Larissa?", fragte Linus hörbar genervt und stand mit den Armen vor der Brust verschränkt im Türrahmen zur Küche. „Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht etwas verrückt, aber...", weiter kam ich nicht, denn mein persönlicher Poltergeist unterbrach mich ziemlich rüde.

„Wage es ja nicht es ihm zu erzählen Mr. Die-Welt-ist-zum-Kotzen!"

„Aber?", kam es von Linus, welcher die Stirn in Falten gelegt hatte, was ihn älter aussehen ließ, als er war. „Aber, aber...ich habe vergessen, was ich sagen wollte", wich ich aus und legte den Kopf nachdenklich in den Nacken. Ich wusste, was ich sagen wollte, aber wenn ich im Nachhinein genauer darüber nachdachte, dann kam es mir mehr und mehr suspekt vor.

„Macht es dir Spaß mich zu verarschen und dann auch mit dem Vorwand, es ginge um meine Schwester, in mein Haus einzudringen? Und zu allem Überfluss dich auch noch häuslich einzurichten, als gehöre all das hier dir?", empörte sich Linus lautstark und kam mit einer bedrohlichen Körperhaltung auf ihn zu. „Ich zähle jetzt bis drei und wenn du dann immer noch auf meinem scheiß Sofa sitzt, poliere ich dir die Fresse!"

Hastig sprang ich auf und eilte zur Haustür, ohne dass Linus überhaupt mit dem Zählen begonnen hatte. So hatte ich ihn noch nie in meinem Leben erlebt. Alles, was er mir immer entgegen gebracht hatte, war Wut – auf eine harmlose Art und Weise, aber dieser lodernde Hass und kalte und unbändige Zorn war neu.

„Du mieses Arschloch!", schleuderte mir auch noch Larissa entgegen, die genauso aussah wie ihr Bruder, wenn sie zornig war. „Ich habe dir gefühlte hundert Mal gesagt, dass du es ihm nicht erzählen sollst!" Schwer atmend, wie der Teufel persönlich stand sie vor mir und schnaufte vor Wut schäumend.

„Was ist dein verdammtes Problem? Ich habe es ihm  nicht erzählt...", weiter kam ich nicht, denn mein persönlicher Poltergeist fährt mir über den Mund. „Das habe ich mitbekommen. Nicht nur Linus Wutausbruch, der im Übrigen wie ein Vulkan in die Luft gegangen ist, sondern auch dein erbärmlicher Versuch dich aus der Affäre zu ziehen"

Jetzt war es an mir wütend zu werden und meinem Unmut Platz zu machen. „Ich wollte dir doch nur helfen!" „Pah! Helfen! Wie soll es mir helfen, wenn mein Bruder weiß, dass ich noch hier bin und keinen Frieden finde? Kannst du mir das bitte erklären?", echauffierte Larissa sich noch immer sehr zornig, dabei bildete sich eine tiefe Furche auf ihrer Stirn. Wäre die Situation nicht total verquer und min Streitpartner kein Geist, hätte ich sie auf der Stelle geküsst.

„Ich weiß es nicht!", brüllte ich aufgebracht zurück und fuhr mir frustriert durch das Haar. Missgelaunt ging ich, mit den Händen in den Jackentaschen die Straße hinunter. Mitten in der Nacht darf ich zu Fuß zu mir nach Hause gehen, da Miss Ich-weiß-alles-besser mich unbedingt mit ihrem Gemecker ablenken musste. So ein Müll!

„Hau doch ab! Das ist sowie so das Einzige, was du wirklich kannst! Wenn es brenzlig wird, bist du der Erste, der verschwindet! Ich kann auf deine Hilfe verzichten, mir ist es lieber, wenn ich...", abrupt hörte ihre Schimpftirade auf, woraufhin ich mich verwundert umdrehte. Doch alles, was ich sah, war eine leere dunkle Straße, die nur von dem hell leuchtenden Mond beleuchtet wurde.

Stirnrunzelnd drehte ich mich suchend um meine eigene Achse, jedoch entdeckte ich sie nicht. „Larissa?", rief ich fragend, aber so leise, dass es nicht die gesamte Nachbarschaft mitbekam. „Wo bist du? Lissa?" Kein Geräusch war zu vernehmen, alles blieb still – zu still.

Zum ersten Mal seit Langem kann ich wieder vermissen...

Ghost - Mein neues Leben #IceSplinters18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt