| Kapitel 29

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| Bis zum letzten Atemzug

|Emery
Dunkel und kalt war es in dem steinernen Gewölbe, in dem ich gefangen war. Das fahle Licht, das durch die rostige Gittertür fiel, erreichte mich nicht. Stille herrschte um mich herum, niemand der vor Schmerz schrie, vor Angst weinte und wimmerte – keiner, der um sein Leben bettelte. Es war, als wär doch alleine, aber ich wusste es besser, denn einst stand ich auf der anderen Seite der Tür und warf ungehorsame Geister in die dunklen Löcher des tiefen Kerkergewölbes.

Dreimal war mir die Flucht gelungen, dreimal hatte ich die Chance um Hilfe zu rufen. Ein letztes Mal konnte ich sie sehen und ihre Schönheit bewundern. Mit meinen restlichen Kraftreserven hatte ich ihr einmal auferlegen können, das dafür sorgte, sie vor all den anderen Geistern und ganz besonders vor ihm zu schützen. Jetzt musste ich nur noch dafür sorgen nicht zu sterben, denn sollte dies geschehen, war das Mal unwirksam und Larissa in Gefahr.

Müde sackte ich mit dem Oberkörper nach vorne. Brennender Schmerz flammte auf meinem Rücken auf und ließ mich aufstöhnen. Es war nicht das erste Mal, dass ich solche Schmerzen erlitt. Nach meinem Tod wurde ich gefangen genommen und bis zur Besinnungslosigkeit gefoltert.

Diese Qualen, die ich erlitten hatte, würde ich niemals vergessen können, dafür konnte ich schmerzen besser ertragen. Denn im Gegensatz zu damals hatte ich nun einen Grund, für den ich stark sein musste. Dieses Mal würde mich die Folter nicht zu einem neuen Menschen formen, mich nicht vergessen lassen, wer ich war. Larissa war mein Anker, mein Licht am anderen Ende des Tunnels. Der Gedanke an sie machte mich stark, aber verwundbar.

Alles, aber auch wirklich alles würde ich dafür tun, sie noch einmal in meinen Armen zu halten, ihre Haut noch einmal zu berühren und ein letztes Mal von ihren rosafarbenen Lippen zu kosten. Obwohl unsere gemeinsame Zeit begrenzt gewesen war, vermisste ich sie, wie ich es noch bei keinem anderen Menschen getan hatte. Sie hatte mich vom ersten Augenblick unserer Begegnung tief berührt, ohne mir jemals nahe gewesen zu sein. Zu wissen, dass ich sie nie wieder sehen würde, war eine Qual. Es zerriss mir förmlich das Herz – ließ mich von innen heraus verbluten.

Plötzliches aneinander schlagen von Schlüsseln riss mich aus meinen trüben Gedanken. Kurz darauf trat ein nach vorn gebeugte Gestalt vor die Gittertür. Das Gesicht des buckeligen Mannes war grauenhaft entstellt und ich wusste, was ihm angetan wurde. Der Schmerz, den der Kerkermeister erlitten haben musste, war kaum vorstellbar.

Mit grimmiger Miene trat der buckelige Mann in meine Zelle und zerrte mich an den Ketten meiner Fesseln hoch. Schmerzverzerrt stöhnte ich auf, stolperte einige Schritte, ehe ich mein Gleichgewicht wiedererlangte. Knurrend zog mich der Kerkermeister hinter sich durch weitverzweigte Gänge her.

Tief in mir wusste ich, was auf mich zukommen würde, aber als der buckelige Mann vor einer schmiedeeisernen Tür zum Stehen kam, traf mich die Erkenntnis umso härter. Noch nie in meinem Dasein als Geist hatte ich den Raum hinter der Tür zu Gesicht bekommen. Geschichten und Gerüchte kursierten und diese Kammer hinter dieser mit Nieten versehene Tür. All jene, die in diesen Raum geführt wurden kamen niemals wieder heraus.

Angst floss wie Klumpen geronnen Blutes durch meine Adern, ließ mein Herz sich krampfhaft zusammenziehen und meine Gedanken nur um eines kreisen. Das Letzte was ich tun würde, war geradewegs in mein Verderben gehen. Ein letzter Atemzug, der leise Funken, das alles anders hätte kommen können, und das Bedauern niemals wirklich gelebt zu haben.

Der namenlose Kerkermeister lockerte den Griff und die Ketten meiner Fesseln, als er die Tür zu meinem Untergang öffnete. Die Gunst der Stunde nutzend riss ich mich los und rannte den Gang zurück, den wir gekommen waren. Aus Erfahrung wusste ich, dass nicht einem einzigen Geist die Flucht durch die verästelten Gänge gelungen war. Ich jedoch konnte es schaffen, denn diese Gänge war ich an die hundert Mal entlanglaufen, dadurch kannte ich jede Abkürzung und jede Sackgasse.

Der Weg zur Freiheit war nicht mehr weit, mein Herz klopfte vor Aufregung und Hoffnung. Plötzlich wurde ich ruckartig an den gefesselten Händen herumgerissen und zu Fall gebracht. Keuchend und leise fluchend blieb ich auf dem Rücken liegen. Es waren nur wenige Schritte bis zu meiner Freiheit, aber der buckelige Kerl as entstellte Gesichte l Kettenm vernarbten Gesicht war schneller gewesen und hatte mich an den Ketten en Gang zurück, den wir war schneller gewesen und hatte mich an der Kette gepackt.

Das entstellte Gesicht des Kerkermeisters tauchte in meinem Sichtfeld auf. Er hatte seinen Mund zu einem grausamen Grinsen verzogen und entblößte dabei schwarze und schiefe Zähne. Ein Laut, das eher wie ein sterbendes Tier klang als an ein Lachen erinnerte entfloh dessen Kehle. „Törichter Junge, solltest es besser wissen!", sagte er mit kindlicher Stimme zwischen seinen Zähnen hindurch.

Er hatte Recht, ich wusste es besser, aber im Angesicht des Todes klammerte man sich an die Hoffnung und versuchte alles, um am Leben zu bleiben. Allein mit dieser törichten Aktion hatte ich Zeit geschunden für eine mögliche Rettung.

Abermals standen wir vor der schmiedeeisernen Tür, doch diesmal würde ich kein weiteres Mal fortlaufen können. Knurrend warf mich der namenlose Wärter in den Raum und schloss laut die Tür. Mit dem Schließen der Tür war mein Schicksal endgültig besiegelt. Ich hatte immer geglaubt, die Gewissheit zu wissen, wann man sterben würde, sei schlimmer, aber es war grausamer auf den Tod zu warten.

Mit hängendem Kopf und geschlossenen Augen saß ich in der Mitte des kleinen Raumes. Alle Geschichten um diese Kammer waren schöner, als die Wahrheit. Die große rostige Tür verbarg lediglich den Blick auf einen viereckigen metallenen Raum, dessen Decke ein kreisrundes Loch besaß, durch welches man einen Blick auf den Nachthimmel hatte. Als ich das offene Loch entdeckte, kam mir der Gedanke dort hinaufzuklettern, aber jeder Versuch würde scheitern.

Je höher der Mond stieg, desto lauter wurde das Flüstern, das unmittelbar nach Aufgang des Vollmondes einsetzte. Summend bemühte ich mich, die Stimmen auszublenden, doch je lauter ich die Melodie anstimmte, desto deutlicher verstand ich sie. Kinderlachen, wütendes Geschrei und das Laden einer Waffe hallten von den Wänden wieder.

Mein Atem zitterte vor ängstlicher Erregung, auf dass was kommen würde. Durch die Öffnung über mir konnte ich nun die vollkommene Pracht des Mondes betrachten. Innerlich betete ich, all das hier möge ein schrecklicher Traum sein. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, an einem Baum in einem Park ganz weit weg von hier aufwache und nichts von alle dem hier wäre jemals geschehen - alles hätte ich anders machen können. Larissa wäre ich niemals begegnet, die Erinnerungen meines früheren Ichs wären noch immer tief in mir verborgen und mein Vater würde noch immer Achtung vor mir haben.

Was machte ich mir eigentlich vor? Egal wie weit ich die Zeit zurückdrehen könnte, ich würde alles genauso machen, wie ich es bereits getan hatte, denn Larissa war das Beste, was mir jemals geschehen konnte. Sie hatte mich zu meinem Wahren Ich geführt, hatte mir dabei geholfen, meine Erinnerungen zurückzubekommen. Der blondhaarige kleine Geist gab mir mein Herz zurück und hatte es im gleichen Atemzug wieder an sich gerissen.

Für sie würde ich alles tun – ich musste am Leben bleiben. Um sie vor allem Unheil zu bewahren, musste ich der Macht widersetzen aufzugeben. Es war an der Zeit zu kämpfen. Schon vor langer Zeit, als ich noch ein Mensch gewesen war, hätte ich kämpfen müssen. Thiago hatte nie gekämpft, er nahm alles hin so, wie es war, blieb stumm und sah weg. Emery hingegen würde nicht so einfach aufgeben, seine Augen nicht verschließen und vor allem nicht still zu sehen.

Das Gefühl, das jeden Moment etwas mit mir geschieden würde, nahm überhand. Angespannt schloss ich meine Augen, woraufhin strahlend blaue Augen aufblitzten. Larissas wunderschöne Augen. Ich erinnerte mich an ihr melodisches Lachen, die niemals vergessen würde und an ihre liebliche Stimme, die mich von innen heraus wärmte. Ruckartig öffnete ich die Augen, um den Gedanken an sie auszublenden. Sie lenkte mich nur ab, macht mich schwach und verwundbar.

Auf einmal erklang wieder das Geräusch einer ladenden Waffe. Mein Herzschlag setzte aus nur, um schneller gegen meinen Brustkorb zu schlagen. Zitternd wartete ich auf das endgültige Geräusch, wie ich es schon einmal tat. Dann ertönte es, das explodierende Geräusch der Waffe und er stellte sich vor, wie die Kugel langsam den Lauf der Pistole verließ.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 24, 2017 ⏰

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