Kapitel 1

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Dies ist eigentlich nicht meine Geschichte, sondern die Geschichte von jemand ganz anderem. Sie gehört nämlich einem gewissen kleinen Mädchen, aber dazu komm ich noch.


Schulschluss! An dem tag, wo ich sie zum ersten mal traf, hatte ich nur dieses eine Wort in Gedanken. Ms Roberts hatte mich in der Englischstunde quasi verhört, mit einem spöttischen Lächeln, dass genau zeigte, wie sehr sie sich über mein Missgeschick früher in der Kantine freute. Ich hätte ihr am liebsten den schlanken Hals umgedreht, als sie der ganzen Klasse von der tomatroten Fresse des Direktors erzählte, als ich mit meinem Kaffee unglücklicherweise einen Volltreffer zwischen seinen Augen landete. Und sie ließ auch nicht meine Strafe aus, die Hexe. Nein, alle hatten ein Recht darauf, jedes Detail zu wissen, damit sie sich alle vor Lachen kugeln konnten und sich darüber freuen konnten, dass sie nicht in meinen Schuhen waren. Das einzige, das mich davon abhielt zu explodieren, war meine gedanklichen Beleidigungen die ich an Ms. Roberts richtete, bis an dem Punkt wo die Glocke mich erlöste.

Als ob es meine Schuld gewesen war, dass der Direktor in der Mittagspause dort auftauchte wo ich durchmusste. Und noch weniger, dass Melchior Bergmann, dem natürlich nie irgendjemand was vorwerfen konnte, weil er Sohn unseres Direktors war, es witzig fand mir ordentlich auf den Arsch zu hauen, als ich an seinem Tisch vorbeiging. Diesem Idioten war selbstverständlich klar, dass ich dass nicht still über mich ergehen lasse. Und dann kam es halt wie es kam: Ich holte aus um ihm das ekelhafte Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen, verlor dabei den Halt um meine Kaffeetasse und schon wurde hinter mir gebrüllt.

Das war aber nicht einmal das Schlimmste: noch tausendmal schrecklicher als von der Klasse ausgelacht zu werden war die Strafe die ich vom Direktor bekommen hatte: ich musste ihm  zwei Monate lang im Büro helfen, und zwar jede Pause und jeden Tag eine Stunde nach Schulschluss. Erschieß mich bitte.

Selbstverständlich hatte ich es also an dem Tag ziemlich eilig, ich wollte möglichst vermeiden, dass Direktor Bergmann noch auf die brillante Idee kam, meine Strafe müsse gleich beginnen. Ich rannte also so schnell wie sonst immer nur, wenn ich um zehn vor Verkaufsschluss darauf komme, dass ich den Abend ohne Karamellbonbons nicht überlebe. Als ich die Tür aufstieß, hätte ich sie fast umgerannt. Knapp ist es mir gelungen anzuhalten, wobei ich versuchte nicht an meiner gestorbenen Lunge zu verrecken, bevor ich das Mädchen vor mir wahrscheinlich so platt wie ein Muffin, auf den sich ein Elephant setzte, gemacht hätte... na ja, ich weiß, schlechter Vergleich... 

Ich sah runter, doch weiter als zu ihren Augen kam ich nicht. Sie waren riesig, auf den ersten Blick hin dunkelblau und so tief als könne man in ihnen ertrinken. Ich konnte nicht weggucken, es war als ob ich in den Tiefen dieser besonderen Augen gezogen wurde. Fasziniert fiel mir auf, dass ich immer wieder neue Blautöne in ihnen entdeckte, Hyazinthenblau, Saphirblau, Tintenblau; ein Blau so dunkel wie der Nachthimmel kurz bevor er sich in ein samtiges schwarz verwandelt und die Sterne zu leuchten beginnen... Und ich sah Wellen, weiche Wellen, die sanft mein Bewusstsein umspielten. Sie benebelten meine Gedanken und in meinen Ohren erklang nur noch  Stille, die gesegnete Stille, die man unter Wasser findet. Ich wünschte mir sehnlichst nie wieder zurückzukehren, nie wieder an die Oberfläche zu tauchen....

Ein leises und schüchternes "Entschuldigung"  zog mich abrupt aus den Tiefen, auf einmal schlugen all die alltäglichen Geräusche wieder auf mich ein, wie ein viel zu lauter schlechter Song wenn es ganz still ist, und das kleine Mädchen, dem die Augen gehörten, senkte den Blick und huschte schnell an mir vorbei. Mein Kopf rauschte noch immer von dem komischen Erlebnis. Ich drehte mich um und beobachtete ihre Gestalt trocken im Mund  von hinten. Sie hatte lange blonde Haare, die bei jedem Schritt wie Seide hin und her geweht wurden und sie war ziemlich klein und dünn. Ich schätzte sie auf ungefähr 7-8 Jahre.

Fate Of The Blue Eyes -DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt