Kapitel 3

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Ich sah den Schatten zum ersten mal, als ich halbwegs zu Hause war.
Ich hatte schon länger das ungute Gefühl, dass mich jemand beobachtete. Zuerst ignorierte ich es einfach. Ich war mir sicher, dass keiner Interesse daran haben könnte, mir zu folgen. Wer schon? Melchior, um mir Angst einzujagen? Wohl eher nicht. Der half jetzt wahrscheinlich seinem Vater dabei, sadistische Ideen aus zu hegen, wie man es den Schülern noch schlimmer macht, zur Schule zu gehen. Allerdings blieb das Gefühl und ich begann mich langsam zu fragen ob ich nicht doch dabei war, wie Sitalis Mutter zu werden. Ich sah mich um, dachte an alle Action- und Agentenfilme, die ich je geschaut hatte. Vor mir war nichts zu sehen. Doch als ich mich umdrehte sah ich einen Schatten hinter einem Baum verschwinden...! Urplötzlich schnellte mein Puls in die Höhe und ich begann unkontrolliert zu atmen. Ich versuchte mich zu beruhigen. Das war ja lächerlich, warum sollte mich jemals irgendjemand verfolgen?

Es war höchstwahrscheinlich einfach Einbildung gewesen.

Das Gefühl, beobachtet zu werden verschwand allerdings nicht, es wurde mit jedem Schritt verstärkt. Mein Puls und mein Atem weigerten sich, sich zu beruhigen. Ich ballte die Hände zu Fausten, bemerkte meine verschwitzen Handflächen. Und dann sah ich aus dem Augenwinkel schon wieder diesen Schatten! Ich unterdrückte den Impuls zu rennen, und egal wie sehr ich mich bemühte war es schwierig die Panik zu unterdrücken. Das wurde irgendwie ziemlich gruselig...

Da war der Schatten nochmal... und da...

Mit jedem Atemzug ging ich ungewollt schneller.

Wenn mich gerade irgendein Serienkiller verfolgt? Oder so ein ekliger Typ, der mich eh nur kidnappen will...?
Ganz ruhig, sagte eine andere Stimme in meinem Kopf, jetzt hör auf dir selber Angst zu machen. 
Ne, begann schon wieder die erste Stimme, sie kreischte fast schon, es stimmt doch sicher! Du siehst diesen Schatten jetzt schon zum zehnten Mal oder so! Renn, Mädchen, renn! Oder weißt du etwa nicht mehr was  für Menschen anderen folgen?!
Bei mir brach der Angstschweiß endgültig aus und ich begann zu rennen.

Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße....

Zuerst nicht wirklich schnell, doch als es mir so vorkam, als würde ich hinter mir Schritte wahrnehmen steigerte ich das Tempo.  

Mein Herzschlag ging unregelmäßig und hallte laut in meinen Ohren wieder. Rennen, einfach nur rennen. Mein Atem war viel zu schnell und es fühlte sich so an als würde etwas meine Brust zusammenpressen, und mir somit sie Luft zum atmen nehmen, doch ich setzte meinen Sprint fort. Zuhause bist du in Sicherheit! Ich hatte zu große Angst um eine Pause einzulegen, doch meine Lungen brannten wie das Fegefeuer. Du schaffst es, du musst es schaffen! Ich rannte und rannte und rannte. Nicht zurückgucken, Füße anschauen, rennen.

Doch irgendwann konnte ich einfach nicht mehr. Meine Beine und meine Füße taten so unglaublich weh wegen dem schnellen Tempo.

Ich sah den Schatten nicht mehr und deshalb erlaubte ich es mir ein bisschen langsamer zu werden. Das war ein Fehler. Ich sah den Schatten, sehr deutlich und diesmal schien es so, als würde er sich schneller bewegen!
Die Panik bemächtigte sich meinen Körper und ich preschte drauf los. Schneller als je zuvor in meinem Leben. Ich nahm meine Umgebung nicht mehr wahr, raste blind die Straße runter, sah endlich meine Haustür. Ich hielt an, kramte hektisch in meiner Tasche. Wo war bloß mein blöder Schlüssel...?! Mein Atem machte mir selber Angst, und ich zitterte.

Dann tippte mir jemand auf die Schulter. Mir wurde eisig vor Angst als ich mich umdrehte, und  nur kurz einen gut aussehenden Jungen, der lässig an der Wand lehnte, sah, bevor alles schwarz wurde...

...

Als ich wieder aufwachte, merkte ich, dass irgendwas auf mir lag, irgendwas das atmete. Ich fragte mich was das sein könnte. Ich hab doch gar keinen Hund...

Doch dann... Irgendwas in meinem Kopf machte Klick und blitzschnell erinnerte ich mich wieder an dem was passiert war. Ich wollte grade dem Ding auf mir so was von eine reinhauen, als ich realisierte, dass es Claire war, die ruhig atmete und auf mir zu schlafen schien. Ich ließ meinen Kopf wieder zurückfallen und schloss die Augen.
Waaas? Claire ist hier?? Ich versteh jetzt ernsthaft gar nichts mehr, dachte ein Teil von mir.
Ein anderer Teil bekam hier grade eine totale Panikattacke. Bestimmt wurden wir gekidnappt und wir werden umgebracht wenn unsere Eltern nicht bezahlen!  Kacke, kacke, kacke!!!
Noch eine dritte stimme mischte sich jetzt ein.
Du wirst das nicht zulassen. Du wirst nicht zulassen, dass sie Claire etwas antun. Du wirst jetzt unauffällig die Umgebung mustern um eine Fluchtroute aus zu suchen. Dann wirst du so tun als ob du schlafen würdest und dann wirst du mit Claire wegrennen, wenn sie es am wenigsten erwarten...
Meine Gedanken wurden unterbrochen, und zwar von einer belustigten Jungenstimme.  
"Gutenmorgen, schlafende Schönheit!"
So viel für meine Pläne...

Ich machte die Augen auf und sah mir einen wunderschönen blauen Himmel an.

Ich merkte wie Claire unruhig wurde, schließlich schlug sie die Augen auf, und als sie den Jungen erblickte, entfuhr ihr ein schriller Schrei und sie begann zu weinen. Sie drehte das Gesicht weg und drückte sich an meinen Körper. Ich setzte mich auf und schlang die Arme um sie.
Währenddessen musterte ich den Jungen. Er war ziemlich groß und gut aussehend, mit haselnussbraunen Augen, dunklen Locken und Sommersprossen. Er hatte grade, weiße Zähne, wie frisch aus dem Zahnpasta- Werbespot.

Ich erkannte ihn sofort als "Schatten."
Mein Blick wurde finster und ich verspürte den Drang, ihm eine zu scheuern, erstens weil er mir gestern solche Angst eingejagt hatte, zweitens weil er heute Claire solche Angst eingejagt hatte und drittens weil wir hier waren, ohne zu wissen wo genau "hier" überhaupt war und ohne zu wissen wer er  war und was er von uns wollte.
Ganz langsam, Hirn, dachte ich, jetzt ist ein Meltdown nicht unbedingt was ich brauche.
"Wow, pass auf, gleich falle ich bestimmt tot um, wenn du nicht aufhörst mich so böse anzustarren," sagte dieser Junge.
Ich wollte ihm grade so was von erzählen was ich von ihm hielt, und das ich wünschte er würde von meinem Blick sterben, als eine scharfe Stimme plötzlich die Luft zerschnitt.
"Milan! Ich habe dir schon tausendmal gesagt, ich werde reden!"
So hieß er also, dieser Junge. Gut zu wissen, wenn ich seine Eltern nachher finden müsste, um ihnen zu erzählen, dass ihr Sohn tragischerweise durch einen Sturz bis in die Hölle umgekommen ist*hust hust*
Die Stimme gehörte einem Mann, den ich auf ungefähr 40-50 schätzte. Er hatte sonnengegerbte Haut und dunkelbraune Haare, graugesprenkelt. Das besondere an ihm waren allerdings seine Augen. Sie waren vollkommen silbergrau und undurchdringlich. Wie stahl.
Was mit natürlich erst auffiel, als er ganz nahe an uns gekommen ist.
Innerlich schlug ich mir selber auf die Stirn; wenn ich flüchten wollen würde, oder später irgendwem von meiner Entführung erzählen sollte, wäre es vielleicht geschickt wenn ich wenigstens die Umgebung beschreiben könnte. Und ich Nudelsack war bisher nicht auf die Idee gekommen, sie mir anzuschauen.

Also, ich befinde mich auf irgendeiner Wiese, groß, grün und voller Blumen, wie Wiesen halt so üblicherweise sind. Dieser Mann kam aus der...äähh.. mal sehen... westlichen Richtung, aus einem riesigen Wald voller Tannenbäume, sagte ich mir in Gedanken.


Claire hatte langsam aufgehört zu weinen. Sie guckte jetzt die beiden an, und man sah ihr an, dass sie Angst hatte.
Plötzlich flammte eine wilde Wut in mir auf. Was zur Hölle bildeten sich diese beiden eigentlich ein? Man konnte nicht einfach ein kleines Mädchen kidnappen und sie dann nicht mal beachten! Sie hatte Angst, konnten sie das nicht sehen?
Meistens beachten es solche Typen gar nicht ob ihre Opfer Angst haben, sagte eine kleine Stimme in meinem Kopf.
Mir war das aber grade scheißegal. Diese beiden Arschficker konnten jetzt was erleben!
Ich fuhr den älteren Mann an.
"Was bilden Sie sich ein! Was denken sie überhaupt was sie hier tun, Sie behinderter Arsch!? Leute kidnappt man nicht einfach so, wenigstens nicht wenn man noch ganz richtig ist im Kopf! Ich verlange, dass Sie uns wieder zurückbringen!"

Fate Of The Blue Eyes -DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt