Kapitel 15

5 2 0
                                    

Ich fasste es nicht. Noch vor einer Sekunde stand Milan vor mir, so lebhaft wie noch nie zuvor, und alberte herum... doch nun war keine Spur mehr von ihm zu sehen. Ich schloss kurz die Augen, und machte sie dann wieder auf, doch er blieb verschwunden. Wie schaffte er das bloß? Mir kam plötzlich ein Gedanke und ich drehte mich blitzschnell um... doch nee, falscher Alarm, Milan stand nicht dicht hinter mir, bereit mir einen Herzinfarkt zu verpassen. Das wurde mir hier langsam zu bunt. Ich stellte mich hin und bewegte mich langsam näher an der Stelle wo Milan noch vor kurzem stand. Nichts war zu sehen, außer einer wunderschönen Blume, winzig klein und hellblau wie der Himmel. Ich beugte mich näher zu ihr herunter um sie zu betrachten. Sie war geschlossen, doch wie ich näher kam, öffnete sie sich plötzlich und zeigte ihr Innern,  von winzigen goldsprenkeln bedeckt. Ich war fasziniert. Wie konnte eine so kleine Pflanze so wundervoll aussehen? Ich war mir sicher, ich hatte so eine schöne Blume in meinem Leben noch nie gesehen.

"Auch wenn unser Meister gute Arbeit leistet, das Publikum soll sich ruhig verhalten. Setzen sie sich wieder."

Das Gras unter mir schien sich plötzlich zu bewegen, und bevor ich mich in irgendeiner Weise weigern konnte, oder überhaupt Zeit hatte einen klaren Gedanken zu fassen,  wurde ich schon blitzschnell nach hinten getragen, und 2 Meter von einem fett grinsenden Milan wieder abgesetzt. Er schnippste schnell mit den Fingern und unter meinem Allerwertesten wuchs plötzlich ein Baum heraus, sodass ich mich nach wenigen Sekunden auf einem von Moos gepolsterten, und zugegebenermaßen ziemlich bequemen, lebendigen Sessel befand.

"Und jetzt bleiben Sie gefälligst sitzen."

Milan sah mich amüsiert an, als ich mit großen Augen meinen neuen Sitz betrachtete. Er war wirklich unglaublich. Zweigchen hatten mir eine wunderschöne Rückenlehne geflochten, über und über von hellgrünen Blätter bedeckt, und die Armlehne formte sich leicht und schnell nach meinem Arm. Ganz unten bei meinen Füßen wuchsen bereits hunderte von winzigen, goldgesprenkelten, aber diesmal weißen Blumen und wie ich feststellte schmückten sie auch den Rest meines Sessels. Ich war beeindruckt.

"Das will ich auch können...", flüsterte ich leise und Milan lachte.

"Diese erste Nummer, die Sie vor einem Augenblick miterlebt haben, war die uralte und sehr bekannte Mensch-zu-Pflanze-Verwandlung, die jedes Kind beherrscht. Natürlich stehen heute wesentlich schwierigere Tricks an, doch zuerst müssen wir unsere Bühne ein wenig gestalten.

Milan hob langsam die Hände, und ich schaute fasziniert dabei zu, wie junge, geschmeidige Bäume in einem perfekten Kreis, mit Milan im Mittelpunkt, heranwuchs, schneller als es meine Augen befolgen konnten. Dann blühten weitere Kreise verschiedenster Blumen auf, immer kleiner hin bis zur Mitte. Der Anblick war atemberaubend.

Erst in dem Moment realisierte ich, dass der äußerste Kreis eigentlich gar nicht vollständig war, denn in der letzten Lücke saß ich auf meinem Baum-Sessel.

"Es fehlt noch etwas...", hörte ich Milan murmeln, "...Ich hab's!"

Er schnipste, und voila, alle Bäume blühten jetzt auch, in einem zarten rosa. Ich saß wie versteinert da. Es war das absolut schönste, das ich jemals erlebt hatte.

"Die nächste Nummer zeigt nur ihre volle Wirkung bei absoluter Dunkelheit."

Ich sah, wie die Bäume heranwuchsen, bis sie  für das helle Sonnenlicht vollkommen abschirmten. Im Kreis der Bäume wurde es innerhalb Sekunden stockfinster, und ich konnte nicht ausmachen wo sich Milan befand, doch ich hörte seine Stimme, diesmal rau und leise, ein Lied singen, in einer Sprache die ich noch nie zuvor gehört hatte. Und während seines Gesangs begannen die einzelnen Blümchen-Kreise plötzlich zu glühen. In unterschiedlicher Reihenfolge und in verschiedenen Farben führten die Blumen eine wunderschöne Show auf zu den gedämpften Tönen von Milans Stimme. Es war unglaublich. Ich konnte nur stumm dasitzen und es alles betrachten, denn ich weder konnte, noch wollte mich von dieser Aufführung abwenden.

Langsam hörte Milan auf zu singen, und die Blümchen auf zu leuchten. Ich hörte wie er schnipste und die Bäume sich wieder zurückzogen um dem Sonnenlicht wieder Platz zu lassen. Das Licht schien grell und ich wurde einen Moment lang geblendet. Als sich meine Augen an die neuen Verhältnisse gewöhnt hatten, sah ich, dass Milan seinen Platz in der Mitte wieder eingenommen hatte.

"Für unsere nächste Nummer bräuchten wir einen Freiwilligen... Fräulein, wären Sie so freundlich?"

Ich stand auf und ging auf ihn zu.

"Nun, würden sie bitte auf dieser Schaukel Platz nehmen?"

Milan wies mit geschlossenen Augen und einer einladenden Geste auf einen Baum... allerdings einer ohne Schaukel.

"Oh, Meister Elefantengedächtnis, ich denke, Sie haben was vergessen," meinte ich trocken.

"Und das wäre?" Milan stand immer noch da, mit geschlossenen Augen, und er sah ziemlich dämlich aus.

"Die Schaukel."

Er machte ein Auge auf, und als er realisierte, dass er tatsächlich die Schaukel vergessen hatte, musste ich über seinen verwirrten Ausdruck laut lachen. Dies gefiel ihm anscheinend nicht besonders gut, was mich bloß noch mehr zum Lachen brachte. Milan tippte mir an der Schulter, und sagte ein wenig spitz:

"Winzige, leicht übersehbare Fehler passieren selbst dem Meister. Würden Sie sich nun bitte setzen, damit die Show fortgesetzt werden kann."

Noch immer lachend setzte ich mich, und ich musste zugeben, es war wirklich eine erstaunliche Schaukel. Das Brett formte sich nach meinem Hintern und war wie mein Sessel gepolstert, und es war durch blühende Efeu-Ranken aufgehängt. ...Und diese Schaukel schaukelte von selbst.

Es machte unglaublich Spaß zu schaukeln, das hatte ich schon viel zu lange nicht mehr getan. Der Wind in meinen Haaren und das Gefühl von Leichtigkeit... doch Milan beendete brutal meinen Spaß. Innerhalb von einer halben Sekunde wurde aus meiner Traumschaukel ein Käfig, hart und unbequem. Na ja, so sind Käfige halt meistens, aber ich war es eben nicht wirklich gewöhnt, plötzlich in 3 Meter Höhe in einem kleinen Käfig in einem Baum mit einem lauthals lachenden Milan unter mir zu schweben.

"Wer lacht jetzt?" prustete der angebliche "Meister" und hielt sich vor Lachen.

Mord is illegal , musste ich mich selbst erinnern.

"Wer zuletzt lacht, lacht am besten", meinte ich bloß. Jap, ich bin zahm, wie ein Lämmchen.

"Milan, lass Tatiana sofort runter! Du bist nicht hier um rumzualbern oder um das Mädchen, das du beschützen sollst, gefangen zu nehmen. Ich hätte gedacht, du wärst jetzt alt genug, um das Wort "Verantwortung" zu kennen und zu verstehen!"

Das war definitiv Morgan.

"Falsch gedacht, eben," meinte Milan bloß, und ließ alles in den Boden versinken, so schnell wie es gekommen war, wobei ich relativ unsanft auf dem Boden landete. Ich rieb meinen Hintern.

"Hopsala, mein Fehler." Milan reichte mir die Hand, und ich ließ mich aufziehen, im Kopf schon dabei zu planen, wie ich's ihm heimzahlen konnte. Doch wie ich das ausgelaugte Gesicht von Claire sah, die hinter Morgan her getrottet kam, vergaß ich sofort diesen Plan. Sie sah wirklich erschöpft aus.

"Nanu, du siehst ja schrecklich aus. Was habt ihr beide getrieben?" fragte ich besorgt.

"Wir waren Üben," sagte sie einfach, bevor sie umfiel und auf der Stelle einschlief.

Fate Of The Blue Eyes -DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt