Kapitel XI

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Langsam, viel zu langsam betrat ich meine Wohnung. Wie in Zeitlupe. Denn ich hatte Angst vor dem, was kommen würde. Hatte Angst vor seiner Reaktion. Vor ihm.

Dieses Gefühl war neu für mich. Ich hatte noch nie Angst vor anderen Menschen gehabt, nur Angst um sie. Und die meiste Angst hatte ich immer um Riley. Aber jetzt fürchtete ich mich zum ersten Mal in meinem Leben vor ihm. Vor seiner Reaktion, vor seiner Antwort. Auch wenn ich sie eigentlich schon kannte. Nach allem, was ich getan hatte würde er mich zurückweisen. Ich war nicht die Person, die ihm helfen konnte, nicht die Person, die er brauchte, nicht die Person, die er sich wünschte. Ich verschlimmerte alles immer nur.

Deshalb schwor ich mir selbst stark zu bleiben. Er besaß ein viel zu gütiges Herz. Und ich wollte seine Entscheidung nicht durch einen Gefühlsausbruch meinerseits ins Wanken bringen. Das schuldete ich ihm, denn er verdiente ein glückliches Leben nach allem, was er schon durchmachen musste.

Die ganze Wohnung lang im Dunkeln. Keine Lampe brannte. Nur die offenen Vorhänge ließen das fahle Licht des Mondes und der Straßenlaternen nach innen dringen, sodass die Möbel Schatten warfen. Mich an ihnen orientierend schritt ich langsam ins Wohnzimmer.

"Jason." Das Erklingen der leisen, aber ausdrucksstarken Stimme ließ mich in der Mitte des Raumes innehalten und mein Gesicht dem Sessel zuwenden. Nur als Schemen sichtbar saß er da. Einzig seine Augen schienen mich aus der Dunkelheit anzustrahlen. Wie zwei Kerzenflammen. Und ließen in mir wieder das schlechte Gewissen aufsteigen. Wie weit ich ihn doch schon gebracht hatte!

"Du hast es beendet." Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er kannte mich einfach zu gut. Wusste schon immer, welchen Schritt ich als nächstes tun würde, bevor ich es selbst wusste.

"Es ist vorbei. Beinahe zumindest." Nur mit viel Mühe brachte ich diesen Satz über die Lippen. Wussten wir doch beide, was er bedeutete.

"Du hast Recht. Es gibt noch eine letzte Sache zu erledigen." Ich hörte keine Unsicherheit aus seiner Stimme heraus. Er hatte sich also entschieden und war einer festen Überzeugung. Gut so. Das erleichterte die Sache für uns beide.

"Es tut mir Leid, Riley. Alles, was ich getan habe... Ich konnte dir nie der gute und ehrenvolle Prinz oder Ritter sein, der dich am Ende deines ersehnten Märchens rettet und in ein Happy End führt." Traurig sah ich in die zwei glimmenden Funken vor mir. Das war das letzte Mal, dass ich sie so in ihren vollen Pracht und Schönheit würde sehen können. Sie waren so rot, so kräftig, so ausdrucksstark, so leidenschaftlich...

"Warum denkst du, dass ich mir ein Märchen gewünscht habe?" Verwirrt unterbrach ich meinen egoistischen, wie sehnsüchtigen Gedankengang.

"Was?"

"Warum denkst du, ich will einen Ritter oder Prinzen, der mich rettet?", stellte er einfach die nächste Frage, ohne auf meine Verwirrung einzugehen.

"Wie bitte?"

"Warum denkst du, ich könnte oder wollte ohne dich weiterleben?" Der Funke in seinen Augen nahm an Intensität zu. Glomm heller. Die zwei winzigen Flammen schienen plötzlich zu einem Großbrand gewachsen zu sein. "Jason, warum denkst du, ich würde dich nicht lieben?"

Noch nie hatte ich mich so schwach und ausgeliefert gefühlt. Noch nie war es jemandem möglich gewesen mein komplettes Innerstes zu durchschauen. Bis heute. Bis zu diesem Moment. Bis jetzt. Jetzt lag ich als offenes Buch vor ihm.

"Weil...", meine Stimme wollte mir nicht mehr gehorchen. Sie war nur noch ein heiseres Krächzen. "Weil ich immer zerstöre...was ich liebe..."

"Gib mir dein Feuerzeug!" Mechanisch, wie ferngesteuert griff ich in meine Hosentasche und überbrückte den letzten Abstand zwischen uns, um es ihm zu überreichen. Als er es annahm berührten sich unsere Finger kurz und der altbekannte Funke sprang von seiner Haut auf meine über.

Dann stand er plötzlich direkt vor mir, das Gesicht durch die kleine Flamme des Feuerzeuges erhellt. Seine Augen waren geschlossen, die Gesichtszüge entspannt und ein kleines Lächeln umspielte seine vollen, sinnlichen Lippen, die im Moment blutrot erschienen. Eine Macht ging von ihm aus, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Sie fraß sich durch meine Haut, nagte an meinen Knochen. Und als er seine Augen öffnete verbrannte sie mein Herz.

"Ich will keinen Ritter!" Er trat Schritt auf mich zu, woraufhin ich einen zurückwich.

"Ich will keinen Prinzen!" Ein weiterer seinerseits vor, ein weiterer meinerseits zurück.

"Ich will kein Märchen!" Wieder ein Schritt von uns beiden in die selbe Richtung.

"Ich will kein Happy End!" Bald müsste die Wand hinter mir auftauchen und ich würde nicht mehr zurückweichen können.

"Und auf gar keinen Fall will ich vor dem Feuer gerettet werden!" Da war sie. Ich hatte keine Fluchtmöglichkeit mehr. Die Wand wuchs zu einer undurchdringbaren Mauer, die mich ihm auslieferte. Mein Körper, sowie Geist reagierte mit Angst und ließ mich die Augen zukneifen.

"Jason..." Bei der plötzlichen Zärtlichkeit in seiner Stimme öffnete ich flatternd die Lider. Sein Gesicht war nur gut zwei Dutzend Zentimeter von meinem entfernt.

"Ich wollte nie gerettet werden. Nur bis zu deinem Auftauchen hatte ich es nicht verstanden. Und als du dann da warst dachte ich, wir würden gemeinsam einen Ausweg finden und es zu einem Happy End schaffen. Aber das war nur eine Lüge, mit der ich mich mein Leben lang selbst belogen habe." Seine linke Hand hob sich und strich mir zärtlich über die Wange, um dann mit dem Daumen auf meiner Unterlippe zu verweilen.

"Aber jetzt weiß ich, was ich wirklich will. Was ich will und brachte. Und das bist du. Ich kann vor den Flammen nicht mehr fliehen. Deshalb muss ich mich ihnen stellen. Ihnen entgegentreten. Ich will in ihnen verbrennen... Und zu Feuer werden."

Mein Herz machte einen schmerzhaften Satz. So schmerzhaft, dass es vor Leidenschaft fast zersprungen wäre. Und während es diesen Sprung machte ließ Riley das offene, brennende Feuerzeug aus seiner Hand gleiten. Es fiel nicht nach unten. Es schwebte. Gemeinsam beobachteten wir, wie es auf dem Boden aufschlug. Und die Welt entzündete. Die glänzende Flüssigkeit, die überall um uns herum auf dem Boden verteilt schwamm nährte die kleine Flamme. Entfachte sie in einer einzigen Sekunde zu einer Sturmflut aus Feuer.

Und wir beide standen inmitten dieses wütenden, tobenden Sturmes und hatten keinerlei Ängste und Bedenken mehr. Vorsichtig schloss ich den Jungen vor mir in die Arme und zog ihn an meine Brust, während er seine Hände in meinem Nacken verschränkte.

"Ich liebe dich, Riley."

"Und ich liebe dich, Jason."

Dann legte ich meine Lippen auf seine und gab mich völlig seiner Hitze, seinem Feuer hin. Vermischte es mit meinen Flammen. Wir waren nicht länger zwei glimmende Funken, die man einfach löschen konnte. Wir wurden zu Feuer, zu einer einzigen, immer brennenden Flamme, die alles überstrahlte.

Denn wer Feuer kontrollieren will, muss zu Feuer werden.

[10.12.2016]

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