Kapitel 1

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„Morgen Mia." „Morgen Mama...", gähne ich, „Wie lief es gestern noch?" Gestern Nacht, also eher heute früh sollte das vernichtende Sprengstoffmaterial auf Apophis ankommen und den Asteroid, der sonst in die Erde rasen würde, vernichten. Da viele Leute jedoch glauben, ein Zusammenstoß sei nicht zu verhindern, hatten sie sich auf Raumstationen zurückgezogen und machen Versuche zum dauerhaften Überleben im All. Diese Organisation heißt Protection and Research, Englisch für Schutz und Forschung, aber alle nennen uns nur Arche. Ja, uns. Meine Familie ist vor fünf Jahren hierhergezogen, in eine sich selbst versorgende Glaskugel, auch genannt Team. Meiner Ansicht eine echt gute Entscheidung. Wir werden nur wenig Schaden nehmen, während die Erde kaputtgeht und außerdem wollte ich immer schon einmal im Weltraum wohnen. Ehrlich! Ich liebe es im Weltraum Versuche zu machen. Mama und ich haben mit der Teilgruppe a unseres Teams 12 Bambus gezüchtet, der mit relativ wenig Sonnenlicht und Mineralien aus der Erde relativ Sauerstoff produziert. Unser Team ist nämlich auf die Herstellung von Sauerstoff spezialisiert. Mein Vater hat ein Bewässerungssystem geschaffen und meine kleine Schwester Ava wird in einem halben Jahr zu Team 15 umziehen und dort an der Akademie studieren. Allerdings hofft unsere ganze Familie, dass die IRB (internationale Raumfahrtbehörde) diesmal alles richtiggemacht hat, denn obwohl ich es falsch finde, eine Bombe ins All zu schicken, liebe ich meinen Bruder, der mit seiner Freundin auf der Erde geblieben ist. Meine Eltern und ich haben Alles versucht, um ihn umzustimmen, aber er war damals schon volljährig und wir konnten ihn nicht zwingen. „...Mia? Du hast mich etwas gefragt, also hör dir doch bitte die Antwort an." Die Stimme meiner Mutter klingt ungeduldig, denn sie war vermutlich die ganze Nachte auf gewesen. „Sorry", murmle ich und konzentriere mich auf ihre Antwort. „Wir haben nichts gesehen", berichtet Mama, „Leila gibt ihnen noch drei Tage, dann sterben so oder so alle." Warum, das muss sie mir nicht erklären. Wenn der Asteroid zu nah an der Erde explodiert, würden alle wegen der immensen Hitze sterben. Alles in mir schreit danach sich wieder schlafen zu legen, doch meine Mutter sieht viel müder aus als ich es bin. Also lasse ich den Gurt aufschnappen, streiche meine weißgrauen Einheits-Kleider glatt und verspreche meiner Mutter, sie zu wecken, sollte irgendetwas geschehen. Gestern war ich bis ca. 5 Uhr aufgeblieben und jetzt ist es gerade mal halb sieben. Ich musste wohl in der Zentrale von 12 eingeschlafen sein und jemand hatte mich auf mein Bett geschnallt. Ich suche mir einen Platz für meine Füße und stoße mich ab in Richtung Zentrale. Am Anfang kam ich leider mit der Schwerelosigkeit nicht so gut zurecht, wie alle anderen in Team 15, aber langsam bin ich sogar schneller als auf der Erde. Da Arche meint, die Erde wird explodieren, kreisen die 60 Teams um den Mars. In jedem Team sind ungefähr 30 bis 40 Personen, das heißt es sind genau 2389 Menschen gerettet, wenn Apophis die Erde vernichtet. 2389 von 8 Milliarden. Das ist so unglaublich wenig. Und diese Zahl wird vermutlich auch nicht mehr steigen.

In der Zentrale sind Leila, die Leiterin unseres Teams, die schnarchend in der Luft hängt, Tobias, ihr Stellvertreter, der auch am Einschlafen ist und Liam, der Lehrling meines Vaters. Leila ist eine große brünette Frau mit einem scharf geschnittenen Gesicht und funkelnden braunen Augen. Wenn sie nicht gerade schläft, ist Leila eine eindrucksvolle Persönlichkeit, doch jetzt, als sie es tut, sieht sie gebrochen und einsam aus. Ich erinnere mich wieder daran, dass Leila ihren Mann verlassen hatte, um sich Arche anzuschließen. Tobias ist eher unauffällig mit seinem kurzen schwarzgrauen Haar, aber seine grünblauen Augen fangen an zu leuchten, sobald er von Technik, Planeten und seiner Arbeit redet. Außerdem ist er der klügste Kopf in unserem Team und verwaltet alles. Liam ist auch ein Technikfreak, hat aber trotz seines Lebens im All immer noch viele Muskeln. Ich muss gestehen, dass ich ihm und meinem Vater öfter bei der Arbeit zusehe als nötig, aber ich versuche ihn so oft wie möglich einfach auszublenden. Was natürlich nicht funktioniert, aber er stört meine Konzentration. Er und seine verdammten braunen Haare und diese unglaublichen rauchblauen Augen, die mich jetzt beobachten, wie ich sie anschaue. „Morgen Mia", sagt Liam mit seinem leicht amerikanischen Akzent, „ich hatte also doch Recht." Für einen Moment bin ich verwirrt, doch dann fällt mir wieder ein, dass Liam schon vermutet hatte, dass die IRB nichts auf die Reihe bekommen würde. „Ja", antworte ich und lasse mich langsam auf ihn zutreiben, „Du Glückspilz bist ausgeschlafen. Meinst du sie schaffen das noch?" „Nö", meine Liam, „ich hoffe nur, dass nicht die Menschheit wegen diesen Trotteln ausgelöscht wird. Hat dir dein Bruder eine Nachricht geschickt?" Wir können nur Kontakt zur Erde aufnehmen, wenn sie uns etwas schicken, denn wir brauchen all unseren Strom selber. „Nein", sage ich, „aber du verstehst sicher warum ich doch hoffe, dass Apophis getroffen wird." „Natürlich. Aber es ist auf keinen Fall deine Schuld." „Ach ne, ich wünschte nur...vielleicht wenn seine blöde Freundin nicht gewesen wäre..." „Dein Vater macht sich total viele Vorwürfe, weil er ihn allein gelassen hat, aber im Grunde hat er sich für seine Freundin entschieden und gegen euch." „Aber vielleicht denke er jetzt ganz anders über die Sache!", flüstere ich und schluchze leise auf. Liam legt seinen Arm um mich und in meinem Kopf schrillen tausend Alarmglocken, doch ich zwinge mich, wieder ruhig zu werden und die Kontrolle wiederzubekommen. Ich bin ja kein einfaches Mädchen, sondern Mia aus Team 12a, die zu Erdzeiten immer Klassenbeste war, beim Theater viel Spaß hat und auch erst eine Woche später gestartet ist um die Akademie in Team 15 für zwei Jahre zu besuchen und dort Biologie mit Schwerpunkt Genetik von Pflanzen zu studieren. Ich habe also alles unter Kontrolle. Ich muss alles unter Kontrolle haben, sonst breche ich zusammen. Also versuche ich meine Traurigkeit abzuschalten, was mir allerdings nur zum Teil gelingt. Dann überwachen wir zusammen die Satellitenbilder und die Bilder aus unserem Team. Es ist allerdings nichts Besonderes dabei und Liam erzählt von seiner Zeit als Student auf der Erde. Er hatte archäologische Funde untersucht und ihr Alter und Ähnliches festgestellt. Als ich ihn daraufhin frage, warum er in Team 12 eigentlich in dem Technikerbereich arbeitet, wenn er doch eigentlich etwas Anderes studiert hatte, zuckt er nur mit den Schultern und meint es hätte ihn irgendwann gelangweilt. Danach schweigen wir lange und ich schlaf wieder ein.

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