Unverständnis

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„Aber wenn ich es euch doch sage; das war Draco", rief ich aufgebracht und überschlug energisch meine Beine.

„Hermine", setzte Ginny behutsam an und legte mir eine Hand auf das Knie. Genervt schlug ich sie zur Seite und rutschte näher zu Luna, welche mich nachdenklich betrachtete und als einzige unserer Runde nichts zu dem Thema gesagt hatte.

„Nein, Ginny", antwortete ich hitzig. „Ich werde doch meinem eigenen Verstand trauen können." Ich kniff meine Augen zusammen und schüttelte meinen Kopf. Ich verstand nicht, wieso mir niemand Glauben schenkte.

„Du warst betrunken, Hermine", versuchte Harry mich zu beschwichtigen. Doch ich wandte meinen Blick nicht von Ginny ab und sie ihren ebenso wenig von mir. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert und zeigte nun offene Wut; eine kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen wurde sichtbar, ihre Nase hatte sie kraus gezogen. Ihre zusammengepressten Lippen bildeten eine weiße Linie.


„Ich war aber nicht so betrunken", zischte ich und spürte das Blut heiß durch meine Adern pumpen. Meine Nasenflügel bebten und die Knöchel meiner zur Faust geballten Hand traten weiß hervor. Ich hörte Ron genervt aufstöhnen und sah aus den Augenwinkeln, wie er sein Gesicht zwischen seinen Händen vergrub. Es war offensichtlich, dass er kein Interesse an dieser Diskussion hatte, doch er wusste, dass er nicht einfach gehen konnte.

„Ich glaube, ihr habt mir nicht richtig zugehört", fuhr ich fort und wandte meinen grimmigen Blick von Ginny ab. „Er hat doch selbst gesagt, dass er Draco heißt."

„Draco ist ein Allerweltsname", brummte der Rotschopf in einem halbherzigen Versuch, unseren Streit zu schlichten. Mein Kopf flog zu ihm. Ungläubig sah ich ihn an.

„Wie bitte, Ronald?" Meine Stimme war einige Oktaven in die Höhe gestiegen. „Dann sag mir bitte, wie viele Dracos du kennst und wie viele von denen platinblonde Haare haben."

Als er ein „Was weiß ich" murmelte, blickte ich ihn triumphierend an und verschränkte meine Arme vor der Brust. Mit einer flüssigen Bewegung erhob ich mich und schritt mit energischen Schritten durch das Wohnzimmer. Ich überlegte, wie ich sie von der Wahrheit überzeugen konnte. Es war gewiss nicht so, dass ich unbedingt daran glauben wollte, dass es Draco war, aber ich hatte Vertrauen in meine Augen. Zwar hatte ich den jungen Mann vor mir nicht sofort erkannt, aber die Indizien sprachen für sich. Es war nur natürlich, dass er sich verändert hatte.
Es wäre schrecklich, würden wir für immer in unseren siebzehnjährigen Körpern stecken, welche vom Krieg gezeichnet waren.

Ich war das beste Beispiel für eine Veränderung. Niemand hätte geglaubt, dass sich das hässliche Entlein Hermine zu dem schönen Schwan Copeland entwickeln könnte.

Wieso war es für meine Freunde so abwegig, dass sich auch ein Draco Malfoy veränderte?

„Du stolzierst", warf Ginny nach einigen Minuten trocken ein und riss mich aus meinen Gedanken. Abrupt blieb ich stehen und blickte verwirrt an mir herunter. Meine Wangen färbten sich rosa. Sie konnten es alle nicht ausstehen, wenn ich mich in ihrer Gegenwart wie ein Model benahm. Für sie war ich Hermine, einfach Hermine. Sie akzeptierten meine Aktivitäten als Copeland, war es doch Ginny selbst, die mich zu diesem ersten Casting überredet hatte, aber sie wollten nicht, dass ich mich wegen meiner plötzlichen Berühmtheit in der Muggelwelt anders benahm.

„Entschuldigt", sagte ich seufzend und lehnte mich an den hölzernen Esstisch der Potters. „Aber mir lässt diese Geschichte keine Ruhe. Ich weiß, was ich gesehen habe, aber ich weiß nicht, wie das zu der Wahrheit passt. Draco Malfoy kann unmöglich in der Muggelwelt leben. Das wäre das absurdeste, das ich seit langem gehört habe. Der Krieg mag zwar alle verändert haben, aber er war keine Gehirnwäsche. An was man einmal glaubt, vergisst man nicht. Und er hatte sich leider dafür entschieden, das Falsche zu glauben. Er würde niemals freiwillig einen Fuß über die Barriere der Zauberwelt setzten."

„Und deswegen glauben war doch auch, dass es eine Verwechslung sein muss, Liebes", sagte Harry und lächelt mich leicht an.

„Nur weil es unwahrscheinlich ist, müsst ihr nicht an meinem Urteilsvermögen zweifeln", antwortete ich.

„An deinem benebelten Urteilsvermögen", warf Ginny leise dazwischen, doch trotzdem hörte ich es. Wütend drehte ich mich zu ihr um.

„Das war's. Es hat ja doch keinen Sinn mit euch zu streiten. Ich gehe." Ohne auf eine Antwort zu warten, disapparierte ich und fand mich wenige Sekunden später in meiner Wohnung wieder. Die Wut brodelte in meiner Brust, doch die gewonnene Distanz zu den anderen schien meinen Herzschlag wieder zu beruhigen.

Ich machte mir einen Kaffee und beobachtete, wie die braune Flüssigkeit aus dem Filter in meine Tasse tropfte und kurz vorm Überlaufen stoppte. Bitter lief er meine Kehle hinunter und lenkte mich von meinen düsteren Gedanken ab.

Mit einem leicht verzogenen Gesicht durchquerte ich die geläufige Küche und trat in das helle Wohnzimmer, welches direkt über der Londoner Altstadt lag. Die Sonne brach sich in den bodentiefen Fenstern und brachte das beige Mobiliar zum Strahlen.

Seufzend ließ ich mich auf das Sofa sinken und legte meine Beine über die Lehne. Die wärmenden Sonnenstrahlen fielen auf mein Gesicht und zauberten ein erschöpftes Lächeln auf meine Lippen.

Noch immer hing das Kleid, welches ich gestern auf der Gala trug, über einem Stuhl. Der feine Stoff funkelte sanft.
Versonnen dachte ich an den gestrigen Abend zurück. Es war eine wunderschöne Nacht gewesen; ausgelassen und unterhaltsam, bis ich auf Draco gestoßen war.

Danach hatte ich keine ruhige Minute mehr. Die Angst, dass er mich erkannt hatte, saß wie ein Geschwür direkt über meinem Herzen und erschwerte das Atmen.

Ich hatte die Flucht ergriffen und Unterschlupf bei meinen Freunden gesucht. Es war das erste und letzte Mal gewesen, dass ich ihn gesehen hatte.

Vielleicht hatten meine Freunde Recht und ich hatte es mir nur eingebildet. Die Erinnerung an die späteren Stunden waren verschwammen. Als würde ich mit getrübten Augen auf sie zurückblicken.

Ein Geräusch der Frustration kam aus meinem Mund und ich drückte mein Gesicht in eines der Sofakissen.

So verbrachte ich einige Minuten und wurde erst durch das Klingeln meines Telefons von den quälenden Gedanken erlöst.

„Ja?", meldete ich mich, nie wissend, ob ich mich mit Hermine Granger oder Copeland melden sollte.

„Hermine, du musst morgen um neun Uhr in der Agentur sein, schaffst du das?" Die Stimme meiner Agentin klang wie immer gehetzt. Ein leises Lachen entwich mir.

„Natürlich schaffe ich das. Wo brennt es?", fragte ich und lehnte mich gegen den Telefontisch. Mein Blick wanderte über die Dächer Londons.

„Es ist ein neuer Auftrag reingekommen und wir müssen entscheiden, ob du ihn annimmst oder nicht." Ich spielte mit meinen Haaren und wartete auf weitere Informationen, doch als diese nicht kamen, sagte ich: „Alles klar, Amanda, wir sehen uns morgen."

Ohne ein weiteres Wort legte sie auf

Ich machte mir über ihre forsche Art keine weiteren Gedanken, war ich es doch inzwischen gewöhnt und ging ins Badezimmer, um meine tägliche Pflegeroutine zu vollziehen.

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