Der schöne Unbekannte

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Der Sommer ging schnell vorbei und langsam fallen schon einzelne bunte Blätter von den Bäumen. Mein Haus liegt außerhalb der Stadt aber noch nah genug an der Zivilisation. Meine Eltern sind nicht zu Hause. Sie haben beschlossen übers Wochenende weg zu fahren. Ich hatte es vorgezogen allein zu Hause zu bleiben weil meine Eltern ständig unterwegs sind, wenn sie schon mal wegfuhren.

Am Nachmittag schien die Sonne hell über den Waldrand. Von meinem Zimmer aus hat man die schönste Aussicht... Meiner Meinung nach. Ich liebe es wenn die Sonne fast untergangen ist und die gefärbten Blätter anstrahlte. Es kommt einem vor wie ein Film oder ein schönes Kalenderbild. Diesen Nachmittag saß ich auf meinem Balkon. Ich setzte mich ganz an den Rand so dass meine Beine runterbaumelten. Meine Eltern hatten es bisher nicht geschafft bei mir ein Geländer anzubauen. Als ich noch kleiner war, war das ein ziemliches Risiko. Aber jetzt halten sie mich für alt genug um nicht runterzufallen. Was anderes wäre es, wenn ich springen würde. Jedoch nicht um zu sterben, nein. Sondern um den schnelleren Weg in den Wald zu nehmen. Das habe ich schon so oft gemacht dass ich den dreh raus hatte. Nur einmal fiel ich so dumm dass ich mir meinen rechten Arm gebrochen hatte. Aber das war schon lange her. Ich sitze gerne hier. Ich habe das Gefühl dass ich dann den Rest der Welt vergessen könnte. Wenigstens für einen Moment. Ich beobachte die Vögel die langsam in den Süden zogen und die Bäume wie sie rascheln wenn der Wind durchzog.

Soll ich wieder springen? Noch einmal den Adrenalinstoß durchleben der durch meine Adern zog wenn ich für eine Sekunde in der Luft schwebte? Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, war ich in der Luft. „Ich fliege!" wie Rose so schön sagte als Jack sie an der Reling festhielt. Ja. Genau so musste sich das angefühlt haben als die vielen Seemeilen an ihr vorbei zogen. Ich landete weich in einem Laubhaufen den ich heute noch mühsam zusammen gefegt hatte. Langsam richtete ich mich auf und klopfte die übrigen Blätter von meiner Hose. Ich ging auf den Waldweg zu. Eigentlich benutzte ich ihn eher selten, weil ich es schöner fand den Wald ohne vorgegebene Richtung zu durchwandern.

Jedesmal staunte ich wie schön der Wald im Frühherbst schon aussah. Die Bäume waren groß und hell. Die Sonne schien durch einige Löcher in der Walddecke. Es sah aus als würden die Bäume goldene Blätter tragen. Plötzlich sah ich etwas. Etwas Goldenes. Es bewegte sich schnell. Sehr schnell. Ein Wunder dass ich es überhaupt gesehen habe. Es könnten Haare gewesen sein. Ich ging tiefer in den Wald hinein. In diesem Moment war mir nicht klar dass es gefährlich sein könnte. Und da war es schon wieder. Ich drehte mich kurz im Kreis. Ich schaute von links nach rechts, so schnell dass mir ein wenig schwindelig wurde. Es wollte mich in die Irre führen. Als würde es auf mich warten. Normalerweise hätte ich Angst haben sollen... doch so war es nicht. Ich war eher neugierig. Ich drehte mich um und da sah ich ihn. Es war eindeutig ein Junge. Mit Goldblondem Haar. Gut getarnt in dem Goldenen Wald.

„Wer bist du?" rief ich. Jetzt war ich aufgeregt. Meine Gefühle wechselten sich als wäre ich Schwanger. Er antwortete nicht. Wir waren ca. 20 Meter von einander entfernt. Er legte den Kopf schief als hätte er meine Frage nicht verstanden. Dann rannte er weg ehe ich eine andere Frage stellen konnte. Er war schnell. Aber ich konnte ihn noch sehen. Er war offensichtlich kein natürliches Wesen. Geschweige denn ein Mensch. Er umkreiste mich als wäre ich seine Beute.

„Komm her!" schrie ich. Ich wusste nicht was in mich gefahren ist. Irgendwie faszinierte er mich. Dann hörte ich ihn. Er lachte. Es war eher ein freundliches tiefes kichern... als würde er sich freuen mich zu sehen. Aber ich kannte ihn nicht. Ich würde es wissen wenn ich ihn schon mal gesehen hätte. So etwas schönes hatte ich tatsächlich noch nie gesehen. Ich wollte ihn von nahem betrachten doch ich fand ihn nicht mehr...

Ich irrte zwischen den Bäumen umher um ihn zu finden. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben bis eine sanfte männliche Stimme hinter mir sprach.

„Woher kommst du?"

Ich fuhr zusammen. Er stand hinter mir mit einer Selbstverständlichkeit die mich faszinierte.

„Ich wohne hier in der Nähe." Sagte ich wahrheitsgemäß. Ich drehte mich um und sah ihn direkt ins Gesicht... Er war das wunderschönste was ich jemals gesehen habe. Seine Haare, seine Nase und diese perfekte bleiche Haut. Ohne Makel. Seine Augen waren Goldbraun. So etwas habe ich noch nie bei einem Menschen gesehen. Er wurde ohne Zweifel höchstpersönlich von Gott geschaffen, es konnte nicht anders sein. Diese Perfektion zusammengefasst in einem göttlichen Sohn.
„Was machst du hier? Ich habe dich hier noch nie gesehen..." sagte ich.
Er lächelte „Ich bin neu hier. Vor ein paar Tagen hergezogen. Und der Wald sah so schön aus, da wollte ich einen Spaziergang machen." Seine Stimme war so sanft und leicht. Es war als würde ich schmelzen.
„Spaziergang? Es sah aus als wolltest du mich jagen. Du bist unfassbar schnell... unnatürlich schnell für einen normalen Jungen."
„Wer sagt denn dass ich normal bin?" Seine Worte klangen gefährlich. Wie von einem Raubtier das gleich angreifen würde. Meine Augen weiteten sich aber Angst hatte ich nicht... Ich fühlte mich irgendwie wohl. Ein bisschen verboten und in Gefahr aber ich mochte es...

Jasper Hale Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt