Kapitel 1 oder In jedem Anfang liegt die Ewigkeit

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Grün, wie die ersten Blätter die im Frühling aus den kahlen Ästen sprießen . Grün, mit ein paar blassgelben Splittern, die an Eisschollen erinnerten, die alleine auf dem Ozean treiben. Umrandet mit langen, geschwungenen Wimpern, die den Rahmen zu seinen Kunstwerken von Augen bildeten. Alleine diese Augen schienen mich regelrecht anzuziehen, mich aufsaugen zu wollen und nie mehr loszulassen. Doch auch der Rest seines Körpers war engelsgleich. Angefangen von den deutlich hervortretenden Muskeln, die seine Oberarme zierten, bis zu seinen kastanienbraunen, zerzausten Haaren. Alles an ihm zog mich fast magnetisch an und raubte mir den Atem. Und dann seine raubtierhafte Lässigkeit, mit der er sich bewegte, das wunderschöne Lächeln, was sein Gesicht schmückte. Mein Herz schlug Saltos und in meinem Bauch explodierten die Schmetterlinge.

Erst nach einer Weile fiel mir auf, wie komisch ich rüberkam: Starrte einen wildfremden Jungen vor unserer Haustür an, als wäre er ein Glass Nutella. Peinlich berührt schaute ich auf den Boden. " May", sagte der Fremde in einem weichen, fast sanften Ton, der nicht zu seinem draufgängerischen Erscheinungsbild passte. Erstaunt schaute ich wieder zu ihm:" Du kennst meinen Namen?" Er grinste breit und streckte eine Hand aus: " Jayden Warren. Ein neuer Praktikant in der Firma deiner Eltern. Ich wollte mit ihnen was besprechen, sind sie gerade da?" Etwas verwirrt schüttelte ich seine Hand. Sein Händedruck schmiegte sich perfekt in meinen, fast als würden unsere Körper zusammengehören. Einen Augenblick trafen sich unsere Augen. Sein Blick strich zart über mein Gesicht, wie eine sommerliche Brise. Eine zuvor nie da gewesene Geborgenheit gepaart mit einem wunderschönen Glücksgefühl erfasste mich und breitete sich in meinem ganzen Körper aus.

Plötzlich realisierte ich, dass ich ihn schon wieder doof anstarrte. Wieso musste mein Kopf bloß auch in solch einer wichtigen Situation kapitulieren?! " Äh, komm doch rein. Meine Eltern sind gerade noch unterwegs einkaufen, müssten aber jeden Moment kommen", sagte ich wahrheitsgemäß und hielt ihm die Tür auf. Irgendwie machte mich seine Anwesenheit extrem nervös und wortkarg, was sonst eigentlich nie der Fall war. Verträumt beobachtete ich wie er elegant und lässig zugleich in unsere Wohnung kam und mich charmant angrinste. Eigentlich war das ziemlich naiv- einen völlig Fremden einfach in unser Haus zu lassen. Doch irgendetwas sagte mir, dass ich ihm vertrauen konnte. Irgendetwas tief in mir drinnen war sich sicher, das er derjenige war, auf den ich immer gewartet hatte.

" Möchtest du was trinken? Wir haben Hausgemachte Limonade da!", fragte ich ihn, als er das Wohnzimmer betrat. Zugegeben, unser Haus war nicht das größte. Das Geld hatte immer für alles notwendige gereicht, aber ein Leben im Luxus führten wir nicht. " Gerne", erwiderte er und warf mir ein Lächeln zu, während er meine Kinderfotos an der Wand entdeckte und auf sie zusteuerte. Hastig lief ich in die Küche und schenkte zwei Limonaden ein. Als ich wiederkam, stand er immer noch vor der Fotowand. Verträumt betrachtete ich ihn und schreckte zusammen, als er plötzlich auf ein Bild zeigte und fragte:" Wo war das?" Vor Schreck ließ ich ein Glass fallen. Völlig erstaunt beobachtete ich wie sich Jayden mit einer unnatürlichen Geschwindigkeit zu mir bewegte und geschickt das Glass auffing, noch bevor es den Boden berührt hatte. Mir blieb der Mund offen stehen:" Wie... Wie hast du?", war das einzige was ich rausbekam. Er zuckte verlegen mit den Schultern, fast als fühlte er sich bei etwas ertappt. " Schnelle Reflexe", brummte er, als er bemerkte, dass ich immer noch auf eine Erklärung wartete.

Nachdem ich meinen Schrecken überwunden hatte, setzten wir uns aufs Sofa. Erst jetzt fiel mir seine Frage von gerade wieder ein:" Äm, das Bild das ist in unserem Ferienhaus im Norden entstanden", klärte ich ihn auf. Wieso er sich dafür interessierte war mir allerdings ein Rätsel. Aber vielleicht machte gerade das ihn so sympathisch- das er mir das Gefühl gab, sich für mich zu interessieren, was die wenigsten taten. Zugegeben, ich war wahrscheinlich auch nicht sonderlich interessant.

White Wolf HalbmondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt