Kapitel 10.

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Wir lagen auf dem Sofa und redeten über allgemeine Dinge. Ich konnte nicht fassen, dass man so einfach und entspannt mit ihm reden kann. Er hat zu allem eine Meinung und eine Geschichte, er zwängt seine Meinung nicht auf und kann diese auch wirklich schlau begründen, es war schön ihm zuzuhören. Ich hatte bisher noch nie stark auf die Stimmen von Menschen geachtet, aber seine Stimme war tief und rau, wirklich angenehm. Ich beobachtete jede Geste die er machte ganz genau und musste automatisch lächeln sobald er es tat.
Mehr Menschen sollten ihm eine Chance geben, ihm einfach mal genau zuhören und wahrnehmen was er eigentlich zu sagen hat, denn es ist gewiss Intelligenter, als das meiste, was die einflussreichsten Menschen die uns regieren, zu sagen haben.
"Cat?"
Ich schaute ihn an und er lächelte über meinen verwirrten Blick, als er mich aus meinem inneren Monolog riss.
"Hm?"
"Ich hab vorhin das Bild an der Wand gesehen." Er nickte mit dem Kopf zu dem Bild von mir und meinen Großeltern.

Ich hatte ein ungutes Gefühl und mir gefiel die Richtung, in die das Gespräch lief, ganz und gar nicht. "Was ist damit?"

"Du lebst also bei deinen Grosseltern?"

Ich legte meine Stirn in Falten, "gut beobachtet."

"Magst du mir erzählen wieso?"

"Lange Geschichte"

Marilyn lächelte sanft. "Also ich hab die ganze Nacht und zur Not auf die ganzen nächsten Wochen Zeit. So schnell wirst du mich nicht wieder los, wie du bemerkt hast."

"Stimmt, du bist schlimmer als jede Art von Parasit." Ich lachte auf als er mich leicht in die Seite knuffte

"Also Storytime, meine Kleine."

"Es war einmal ein Mädchen, dass mit 16 Jahren zu ihren Großeltern zog. Ende."

"Was ist damals passiert? Niemand zieht grundlos aus dem Hause der Eltern aus um zu seinen Großeltern zu ziehen."

Ich schaute auf meine Finger die in meinem Schoß lagen, als Marilyn sanft seine Finger unter mein Kinn legte und es leicht anhob, so dass er mir in die Augen schauen konnte.
"Haben sie dich misshandelt....?", fragte er in einem ruhigen Flüsterton.

Ich schlug seine Hand weg. "Nein, verdammt. Sie haben mir nie etwas getan. Was geht dich das überhaupt -...."
Er legte leicht einen Finger auf meine Lippen und seine linke Hand auf meine.
"Red dich bitte nicht in Rage. Ich mach mir bloss Sorgen um dich. Du erzählst mir nicht was mit dir los ist, ich möchte dich besser verstehen und kennenlernen. Bitte gib mir die Chance. Ich habe keine andere Möglichkeit etwas über dich zu Erfahren, wenn du mir nichts erzä-..."
"Sie sind tot." Diesmal unterbrach ich seinen Redeschwall.
Er blinzelte mich verwundert an.
"Sie sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen."
Ich erwartete, dass er jetzt anfangen würde mich auszufragen, mir eine psychologische Beratungsstelle empfehlen, oder mir anbieten würde ihm alles zu erzählen. So wie alle zuvor.
Ich beobachtete ihn.
Für einen kurzen Moment war er reglos, dann rutschte er auf mich zu und nahm mich in den Arm.
Es war nicht dieses typische "alles wird gut" Umarmen und Gerede inklusive Kopfgetätschel.
Er verstand meinen Schmerz und hielt mich ganz fest. Er versuchte nicht wie alle anderen, den Tod meiner Eltern runterzuspielen und mich aufzuheitern.
Ich kann auch nicht sagen, dass er mich bemitleidete. Er war einfach da und hielt mich, gab mit diese gewisse Sicherheit und Kraft wie schon die Male zuvor. Er verstand einfach was es heisst, wenn man eine lange Zeit Depressionen hatte, wenn einem etwas auf der Seele lastet. Nicht das typische "Zeit heilt alle Wunden", "was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker."
Nein, ich hatte sein Zitat vor Augen. "What doesn't kill you is gonna leave a scar."
Es ist halt nicht immer alles kunterbunt, es gibt keine jellybean-pupsende Einhörner. Das Leben ist, wie es ist.
Als wir uns lösten, schaute er mich ernst an.
"Ich weiss, dass du sehr gut alleine klar kommst. Ich weiss aber auch aus eigener Erfahrung wie gefährlich es ist, wenn man in Trauer, Depression und Melancholie versinkt. Schau mich an. Meine Narben, meine Tattoos, meine ganze Erscheinung -..."
".... Geschweige denn von deiner tollen Ausstrahlung, deiner enormen Intelligenz, deine liebe Art mit Menschen umzugehen und deine Ehrlichkeit gegenüber allen." Beendete ich seinen Satz.
Er lachte. "Ich will einfach nur nicht, dass dich etwas, oder sogar du selbst, so kaputtmachst wie ich mich damals. Im psychischen Sinne. Körperlich war bei mir eh nix mehr zu retten, du bist jedoch zu hübsch um deinen Körper mit Narben zu bedecken. Falls es dir scheisse geht, ruf mich an und ich komm vorbei. Den aufgestauten Hass lässt du dann nicht an dir ab sondern trittst mir halt ein paar mal in die Eier."
"Autsch"
"Keine Sorge meine Dinger da unten sind unkaputtbar." sagte Marilyn und wir brachen in Gelächter aus.
Er stand auf und zog mich mit sich.
Ich hob eine Augenbraue hoch, "was soll das werden wenn es fertig ist?"
"Du bist doch hübsch, oder?"
"Worauf willst du hinaus Marilyn?"
"Und bestimmt posierst du gerne vor der Kamera"
"Ich bin eigentlich eher Kamerascheu, also..."
"Deswegen ist mir eine Idee gekommen"
"Ich mache keine Erotikbilder."
"Das wäre auch nur Plan B gewesen." Zwinkerte er mir zu.
"Und Plan A"
"Warts ab"
"Marilyyyyn", jammerte ich
Er ignorierte mich und zog mich weiter mit sich in mein Zimmer, wo er endlich seinen Griff um mein Handgelenk lockerte.
"Hast du eine Kamera?"
Ich nickte, und kramte gleich darauf meine Spiegelreflexkamera aus dem Schrank.
"Perfekt, ich hab in meiner Tasche meinen Laptop. Dort ist ein Programm zur Bildbearbeitung drauf."
"Also wir machen gleich irgendwelche Bilder und bearbeiten diese?" Fragte ich.
"Nein, nicht irgendwelche. Wir machen uns Erinnerungen."
"Du bist übergeschnappt." lachte ich.
"Und genau deswegen magst du mich."
Er legte locker seinem Arm um meine Schulter und lächelte zu mir runter.
"Cat, bring mir mal kurz dein Make-up."
Dass ich sowas mal von einem Mann hören würde.
Geschickt schminkte er sich und stellte fest, dass er einen besseren Liedstrich hinbekam als ich. Schon deprimierend, wenn man mal darüber nachdenkt."
"Hast du ein dunkles Kleid?"
"Ich war mit einer alten Freundin mal auf einer Goth-Convention und hab mir dafür extra ein Kleid besorgt gehabt und es danach nie mehr getragen."
"Perfekt"
"Ich weiss nicht mal ob es noch passt!", protestiere ich.
"Das werden wir gleich sehen."
Ich öffnete meinen Kleiderschrank und hob das schwarze Tüllkleid mit dem Korsettoberteil heraus. Scheisse war das schwer.
"Wow." Entfuhr es Marilyn, der leicht mit den Fingern über den Stoff streichte.
"Ich geh es anprobieren und mich schminken, okay?"
"Okay, ich baue hier solange alles auf."

Ich verschwand im Bad und überlegte was ich mit meinen Haaren und meinem Gesicht tun sollte. Ich entschied mich dafür, meine Haare hochzustecken mit einer Klammer und mich später um diese zu kümmern. Ich begann mit dem Make-up. Ich war schon immer sehr blass, und fand deshalb selten einen Ton, der mit meiner Haut verblasste. Oft musste ich meine Make-up mit etwas weisser Schminke vermischen um meinen Hautton zu erhalten, was auch diesmal gut klappte.
Ich fuhr mit dem kleinen Schwämmchen über mein Gesicht und sah zu wie meine Sommersprossen verschwanden und einem schönen Teint Platz machten. Die Augen schminkte ich mir Tiefschwarz um mich Marilyn etwas anzupassen, und meine Lippen erhielten ein sehr dunkles Rot. Erneut betrachtete ich mich im Spiegel. Ich liebte es mich in eine ganz andere Cat zu verwandeln, ich liebte was ich sah, ich liebte es mich wie in einer anderen Haut zu fühlen.
Ich zog mir eine schwarze Netzstrumpfhose an und hob das lange schwarze Kleid vom Boden auf und beäugte es kritisch. Mit wenigen Handgriffen war das Korsett hinten so gelockert, dass ich hineinschlüpfen konnte. Es saß perfekt und ich starrte mich fassungslos an. Ich hatte vergessen wie schön das Kleid wirklich war. Die schwarzen Handschuhe streifte ich mir schnell über und versuchte mein Korsett enger zu ziehen. Alleine war das jedoch ziemlich unmöglich also beschloss ich Marilyn damit zu beauftragen.
"Ehm Marilyn?"
Er wirbelte zu mir herum und ließ den Stapel Bücher, den er bis eben in der Hand hielt, fallen.
Sein Mund, sowie seine Augen waren weit geöffnet vor Schock, und mein Selbstbewusstsein schwand mit einem Mal.
"Marilyn?" fragte ich diesmal etwas leiser.
Er stieg mit einem großen Schritt über die auf dem Bodem zerstreuten Bücher und kam auf mich zu. Ich blieb weiterhin an der Tür stehen.
Mit 3 weiteren Schritten war Marilyn bei mir und umfasste meinen Kopf mit seinen großen Händen. Dann gab er mir einen Kuss auf den Scheitel und fasste mir mit einer Hand ins Haar, ohne den Blickkontakt zu brechen, und zog sanft meine Haarklammer aus meinen hochgesteckten Haaren. Meine blonde Mähne fiel mir über die Schultern und er legte seine Stirn an meine.
"Du bist wunderschön" hauchte er.
Ich wurde Rot, einerseits weil er mir Komplimente machte, aber auch wegen seiner Nähe, die mich ganz zittrig werden ließ.
Dieser Mann machte mich fertig. Seine ganze Art, löste in mir Reaktionen aus, die ich zuvor noch nie hatte.
Er hörte nicht auf mich anzuschauen. Er wirkte komplett versunken in seinen Gedanken und ich berührte ihn leicht am Arm, woraufhin er nach meiner Hand griff und mich zu meinem Sessel führte den er vor meinen Regalen platzierte. Alte Bücher mit Ledereinband stapelten sich auf dem Boden und sorgten für etwas Atmosphäre. Genauso wie die Tonpuppen, die mir eine Gänsehaut verpassten.
Marilyn du Arsch.
Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, fing er an albern zu grinsen.
Überall lagen Kissen und Decken. Kerzen waren angezündet und um den Stuhl verteilt. Papier lag auf dem Boden, sowie die Kunstrosen, mir denen ich mein Zimmer dekoriert hatte.
Eins muss man ihm lassen. Die Kulisse war wunderschön.
Er stellte die Kamera auf ein paar weitere Bücher auf den Tisch, so dass die Kulisse im Bild war und stellte den Selbstauslöser ein.
Jede Minute ein Bild.
Er drückte auf den Auslöser und seine verrückte Idee begann.
Ohne zu wissen was grade passierte, hob Marilyn mich in meinem Kleid hoch und schaute mit erhobenem Kinn in die Kamera.
Zack, das erste Bild war im Kasten.
Schon legte er mich auf dem Boden ab und kniete sich über mich und ich griff von unten an sein schwarzes Hemd, während wir Blickkontakt hielten.
Zack, zweites Bild.
Er stieg von mir herunter und kniete sich hin, die Hände vor seinem Gesicht. Ich saß neben ihm und hängte mich um seine Schulter.
Zack.
Er umgriff meine Taille und zog mich auf seinen Schoß und ich lehnte mich nach hinten, während er die Zähne fletschte.
Zack.
Er stand auf und hielt meine Hände, während ich mich immer noch vor ihn kniete.
Zack.
Ich stand auf und er legte von hinten seine Arme um meinen Oberkörper und ich schaute Ausdruckslos in die Kamera, während er hinter mir die Zunge rausstreckte.
Zack.
Ich ließ mich, ohne Vorwarnung, fallen und er erschrak leicht, jedoch fing er mich grade noch rechtzeitig auf
Zack. Ich freue mich schon Marilyns Blick auf diesem Bild später zu sehen.
Ich blieb wie eine Leiche in seinen Armen nach hinten gelehnt hängen, welche meine Taille fest umschlossen.
Zack.
Wir standen voreinander und er hielt meinen Kopf in seinen Händen und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Zack.
Dann nahmen wir eine Tanzhaltung ein.
Zack.
Wir haben in dieser Nacht mindestens 70Fotos gemacht. Auf 20 von ihnen haben wir es nicht hinbekommen uns zu positionieren und halten uns lachend in den Armen oder ziehen Grimassen.
"Willst du, dass ich sie lösche?", fragte ich zaghaft.
Er legte seine Hand auf meine und lächelte. "Auf gar keinen Fall."

Man That You FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt